Michael Schart

Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität


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zu nutzen, die sich aus der Integration von fachlichen und sprachlichen Lernprozessen ergeben.

      2.4.1 Begriffliche Vielfalt

      Dieser gemeinsame Grundgedanke gerät jedoch leicht aus dem Blickfeld angesichts der Vielzahl an Begriffen, die sich in den letzten Jahrzehnten im Umfeld dieses didaktischen Ansatzes herausgebildet haben. Das führte uns als Forschungsteam zu der Frage, welche der Bezeichnungen für den von uns untersuchten Kontext eigentlich geeignet wären. Wir konnten uns – dem europäischen Sprachgebrauch folgend – für das Label CLIL (Content and Language Integrated Learning) entscheiden oder aber für die im nordamerikanischen Diskurs dominierenden Begriffe CBI (Content-Based Instruction) bzw. CBLT (Content-Based Language Teaching). Auch die Akronyme LAC (Language Across the Curriculum; Grenfell 2002), SCLT (Sustained Content Language Teaching; Murphy/Stoller 2011), EMI (English Medium Instruction; (Macaro 2018), EAP (English for Academic Purposes, Chazal 2014), TBLI (Theme-Based Language Instruction, James 2006) oder ICLHE (Integrated Content and Language in Higher Education; Schmidt-Unterberg 2018) boten sich als alternative Möglichkeiten an. Von vornherein ausschließen konnten wir eigentlich nur die im deutschen Sprachraum weit verbreitete Bezeichnung bilingualer Unterricht oder Sachfachunterricht (Hallet/Königs 2013) bzw. das englischsprachige Pendant Bilingual Education (Mehisto 2012). Sie werden für den tertiären Bildungsbereich nicht verwendet und stellen daher die Besonderheiten des fach- und sprachintegrierten Unterrichts bis zur Sekundarstufe heraus, etwa die Bindung an die nationalen bzw. regionalen Lehrpläne, die klare Zuordnung zum Fachunterricht oder die Leitung durch muttersprachliche Fachlehrende (siehe Dalton-Puffer 2017:155).

      Diese begriffliche Vielfalt bei den fach- und sprachintegrierten Konzepten ist weit mehr als das Resultat einer zu ehrgeizigen akademischen Profilbildung. Sie ergibt sich vor allem aus den sehr unterschiedlichen Konstellationen, unter denen diese Form von Unterricht entworfen und durchgeführt wird. Nehmen wir als Beispiele den bilingualen Geschichtsunterricht an einer deutschen Realschule und einen Deutschkurs für angehende Pflegekräfte, die sich am Goethe Institut in Hanoi auf eine zukünftige Tätigkeit in Deutschland vorbereiten. Zumindest bei flüchtiger Betrachtung trennt die beiden Lehr- und Lernsituationen mehr voneinander als sie verbindet. Und man braucht mit den Unterschieden nicht bis ins Detail vertraut zu sein, um zu verstehen, dass die konkrete Gestaltung fach- und sprachintegrierter Kursangebote von zahlreichen Faktoren geprägt wird, von sprachenpolitischen Entscheidungen beispielsweise, von der Einbindung in Institutionen mit ihren Bildungszielen, curricularen Richtlinien oder personellen Ressourcen und nicht zuletzt von den Erwartungen und Einstellungen der Beteiligten. Und dennoch handelt es sich in beiden Fällen letztlich nur um Spielarten des fach- und sprachintegrierten Ansatzes.

      Die Vielgestaltigkeit ist dem Phänomen somit inhärent und eine beständig anwachsende Zahl an Akronymen erscheint mir kein geeignetes Mittel zu sein, um sie begrifflich zu fassen. Löst man sich hingegen von den Details und betrachtet die Heterogenität der Konzepte aus einiger Distanz, dann stößt man auf einen Aspekt, der sich als wesentliches Kriterium der Unterscheidung anbietet. Es ist die Frage, ob die Lehr- und Lernprozesse eher aus der Perspektive eines Sachfachs entworfen werden oder eher von fremdsprachendidaktischen Überlegungen geprägt sind. Der Bereich des fach- und sprachintegrierten Unterrichts entfaltet sich also entlang eines Kontinuums. Den Extrempunkt auf der einen Seite bilden fachdominierte Konzepte wie etwa die auf Englisch gehaltenen Fachvorlesungen an deutschen Universitäten. Das Ende des Kontinuums auf der anderen Seite markieren fremdsprachendidaktisch geprägte Programme wie beispielsweise themenbasierte Kursangebote (Brinton/Snow 2017:8; Cameron 2010:180ff; Lyster 2017:87). Dalton-Puffer (2017:154) schlägt vor, diese Extrempunkte mit den Bezeichnungen hard CLIL-type und soft CLIL-type zu versehen.

      Ein solches Kontinuum wird natürlich die von Smit (2015:92) kritisierte zunehmende Verwässerung der Begrifflichkeiten nicht eindämmen können. Gleichwohl halte ich es für ein sehr hilfreiches gedankliches Konstrukt. Denn es ermöglicht nicht nur eine erste Orientierung in diesem unübersichtlichen Bereich, sondern es eignet sich in seiner Flexibilität auch als ein heuristisches Instrument, um Programme, Kurse oder einzelne Unterrichtsstunden zu charakterisieren. So lässt sich vor dieser Folie erklären, weshalb sich die Zuordnung des hier untersuchten Kurses zu einem der eingangs genannten Begriffe so problematisch gestaltet: das sich über vier Studienjahre erstreckende Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Keio Universität Tokio deckt ein relativ breites Spektrum des Kontinuums ab. Mit dem Übergang von einer Niveaustufe in die nächste verschiebt sich zugleich der Schwerpunkt kontinuierlich von einem eher fremdsprachendidaktisch angelegten Angebot hin zu einem fachlich orientierten. Dabei kann aber auch die Position der einzelnen Kurse durchaus variieren, wie ich weiter unten am Beispiel des Grundstufenunterrichts aufzeigen werde. Angesichts dieser Unbestimmtheit haben wir uns dafür entschieden, den Gegenstand dieser Studie sehr allgemein als fach- und sprachintegrierten Unterricht zu bezeichnen. Aber auch CLIL – als ein Oberbegriff verstanden und nicht als Synonym für bilingualen Unterricht (Coyle 2007:545) – halten wir für eine geeignetes Label, um dieses Projekt in der derzeitigen Fachdiskussion zu verorten.

      Solche Bemühungen um begriffliche Klärung sind natürlich nur dann ergiebig, wenn sie in einem nächsten Schritt dazu führen, die Ebene der konkreten Gestaltung von Unterricht zu thematisieren. Bevor ich mich eingehend dieser Aufgabe zuwende, möchte ich jedoch zurückblicken auf die Ursachen des gewachsenen Bewusstseins für die inhaltliche Dimension des Fremdsprachenunterrichts.

      2.4.2 Inhaltliche Relevanz

      Eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen sach- und fachintegrierter Lehr- und Lernprozesse setzte erst in den 1980er und 1990er Jahren ein1. Im Hinblick auf das Schulsystem in europäischen Ländern waren dafür die länderübergreifenden sprachenpolitischen Initiativen ein ausschlaggebender Faktor. Ein weiterer wichtiger Impuls für diese Entwicklung ging jedoch auch von den Problemen aus, die sich in der Praxis des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts abzeichneten. Gemeint ist hier vor allem die Tendenz, die Auswahl und die Gestaltung von Texten und Aktivitäten vorrangig an sprachlichen Lernzielen bzw. der Förderung einzelner sprachlicher Fertigkeiten zu orientieren und damit die Inhalte zu vernachlässigen oder sogar zu trivialisieren (vgl. Legutke/Thomas 1991:15; Pennycook 1990:13).

      Die Folgen lassen sich bis heute an vielen Lehrwerken ablesen, die oft ein buntes Sammelsurium an mehr oder weniger beziehungslos aneinandergereihten und eher oberflächlich aufbereiteten Themen enthalten2. Auf diese Weise erhöhen sich zwar die Chancen, ein breites Spektrum an Interessen der Lernenden abzudecken, doch der inhaltliche Tiefgang leidet. Beispielsweise wird das Potenzial, das jeder Gegenstand bietet, um die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven anzustoßen und damit Differenzerfahrungen zu ermöglichen, tendenziell nicht ausgeschöpft. Die dezidierte Kritik an dieser Schwachstelle kommunikativ ausgerichteter Settings setzte bereits in den 1980er Jahren ein, sie wurde in der Folgezeit vor allem von Überlegungen zum literarischen und interkulturellen Lernpotenzial des Fremdsprachenunterrichts vorangetrieben (z.B. Bredella/Legutke 1985; Hunfeld 1990; Kramsch 1993) und hat bis heute nichts an Überzeugungskraft eingebüßt (vgl. Byram/Wagner 2018).

      Zweifellos lassen sich – diese Kritik beiseiteschiebend – viele gute Gründe dafür finden, den Fremdsprachenunterricht auf das Training sprachlicher Fertigkeiten für den alltäglichen Gebrauch zu konzentrieren, wie es im Deutschunterricht an japanischen Universitäten überwiegend der Fall ist (vgl. JGG-Komitee 2013:32). Das bedeutet jedoch, die Möglichkeiten der kommunikativen Didaktik auf einen engen Ausschnitt zu begrenzen. Der fach- und sprachinte­grierte Ansatz ruft in Erinnerung, dass diese ihre Legitimität aus der Relevanz der Interaktion im Klassenraum gewinnt. Es geht nicht in erster Linie darum, die fremde Sprache einzuüben oder ihren Gebrauch zu imitieren. Die Lernenden sollen sie vielmehr als ein Instrument erleben, das ihnen neue Sicht- und Denkweisen erschließt, das ihnen hilft, ihr Selbstverständnis weiterzuentwickeln und das es ihnen nicht zuletzt ermöglicht, gemeinsam mit anderen zu handeln. Thematische Beliebigkeit und Belanglosigkeit tragen dazu bei, diese Basis der kommunikativen Fremdsprachendidaktik zu untergraben (vgl. auch Grenfell 2002:26; Stoller/Grabe 2017).

      Der fach- und sprachintegrierte Ansatz stellt somit keinen Gegenentwurf zur kommunikativen