Elena Brandenburg

Karl der Große im Norden


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de profectione Danorum in Terram Sanctam.

      Ein Frater X., canonicus hat die Handschrift einem hochgestellten Geistlichen Dominus K. gewidmet. Die Verbindung von frater mit canonicus kann nur auf einen regulierten Chorherrn zutreffen, also auf einen PrämonstratenserPrämonstratenser oder Augustinerchorherrn. Dem Werk geht ein Widmungsbrief voraus mit der Überschrift: Reverendo et diligendo Domino K., Frater X. canonicus debitam in omnibus obedientiam. Die Auswertung des Widmungsbriefes führte zur Annahme, der Bericht sei eine Auftragsarbeit von Dominus K. an Frater X. Beim Adressaten Dominus K. handelt es sich vermutlich um einen Ordensobern, am ehesten noch den Dompropst von BørglumBørglum.3 Da der Text norröne Schreibformen sowie Sprichwörter enthält, besteht Grund zur Annahme, der Schreiber des Berichts sei ein norwegischer Ordensbruder gewesen, der sich aufgrund der Beziehungen zwischen dem Mutterkloster Børglum und dessen Tochterkloster Tønsberg gerade in Børglum aufgehalten habe.4

      Inhaltlich handelt sich hierbei um den Bericht eines missglückten dänisch-norwegischen Kreuzzuges ins Heilige Land im Jahre 1191. Dabei sind die detaillierten Beschreibungen der Vorbereitung und der Durchführung der ProfectioDe profectione danorum in Hierosalymam eher apologetischen als narrativen Charakters, obwohl die Intention die Bewahrung der Erinnerung dieses Kreuzzuges für die Nachwelt explizit erwähnt wird. Vier Jahre nach dem Fall Jerusalems im Jahre 1187 wird eine gemeinsame dänisch-norwegische Expedition mit vier Schiffen entsandt. Doch sowohl die ungünstigen Wetterbedingungen als auch der späte Zeitpunkt der Abreise verhindern eine erfolgreiche Durchführung des Vorhabens. Noch ehe die Skandinavier das Heilige Land erreichen, wird ein dauerhafter Waffenstillstand zwischen Richard Löwenherz und Saladin vereinbart, so dass die Mission, nämlich die Befreiung Jerusalems, als vollends gescheitert betrachtet werden kann. Der anonyme Chronist hatte angesichts dessen, „dass Angehörige der vornehmsten Familien des Landes weder in Bezug auf das eigentliche Ziel irgendetwas erreicht noch mit navigatorischen Glanzleistungen aufgewartet hatten“,5 die undankbare Aufgabe, den betriebenen finanziellen und personellen Aufwand in narrativer Form zu legitimieren.

      Die drängende Pflicht zum Kreuzzug wird dabei rhetorisch durch die religiöse Begründung wie durch die Erinnerung an die heidnischen Vorfahren, welche für den Ruhm mannigfaltige Gefahren auf sich nahmen, ausformuliert. Durch diesen Vergleich werden heidnische Seeräuber nicht nur zum moralischen Vorbild für die Kreuzzugsfahrer, sondern dienen zur Abgrenzung der Kreuzfahrertruppe als spezifisch ‚dänisch‘ im Kontext anderer ethnischer Gruppen.Roland6 Dass die Teilnehmer der ProfectioDe profectione danorum in Hierosalymam darüber hinaus als eine von Gott auserwählte Gruppe dargestellt werden, ist dabei charakteristisch für die Kreuzzugsliteratur.7

      Daneben folgt die Chronik auch in weiteren Zügen dem Kreuzzugsdiskurs, der neben päpstlichem Aufruf mühsame Vorbereitungsschilderungen sowie religiös geprägte Darstellungen der Ereignisse während der Reise enthält. Hier, so Scheel, weist die ProfectioDe profectione danorum in Hierosalymam Parallelen zu den gleichzeitig entstandenen Chroniken über Friedrich Barbarossas Kreuzzug auf, der Historia de expeditione Friderici imperatoris und der Historia peregrinorum, so dass man von einem gemeinsamen kulturellen Hintergrund der Autoren ausgehen kann.8

      Diese Kreuzzugschronik bleibt der einzige erhaltene Beitrag der skandinavischen PrämonstratenserPrämonstratenser zur mittelalterlichen Geschichtsschreibung. Es ist anzunehmen, dass im Gegensatz zu anderen Orden, beispielsweise den Dominikanern, die Prämonstratenser kein bildungsorientiertes Programm verfolgten. In seiner Studie zum intellektuellen Profil des Ordens kommt Wolfgang Grassl zur Konklusion: „Premonstratensians overall did not consider themselves as a ‚learned order‘“.9 Sicherlich haben die Ordensbrüder durch die klösterlichen Netzwerke, die einen Austausch zwischen den Mutter- und Tochterstiften ermöglichten, Studienaufenthalte an der Universität in Paris und anderen Städten absolviert und auf diese Weise durchaus kulturelle Impulse erhalten, diese manifestierten sich jedoch nicht in einer spezifischen Textproduktion.

      Die Überlieferungslage speziell im Kloster BørglumBørglum lässt keinerlei Rückschlüsse auf lokale Textproduktionsumstände und Interessen dahinter zu, wie es beispielsweise für die Sammlung der erhaltenen Texte aus dem Kloster VadstenaVadstena möglich ist. Umso bedeutender erscheinen in diesem Kontext die beiden mit Børglum verknüpften Texte De profectione danorum in HierosalymamDe profectione danorum in Hierosalymam sowie die Karl Magnus Krønike, die unter anderem auch die Kreuzzugsthematik sowie die Reise Karls des Großen nach Jerusalem behandeln. Die Profectio legitimiert dabei das „imperiale Ausgreifen jenseits der Ostsee“10 im Zuge der von der Forschung als Kreuzzüge aufgefassten Wendenzüge und anderer kriegerischer Auseinandersetzungen Dänemarks11 ab der Mitte des 12. Jahrhunderts bis hin zum postreformatorischen Zeitalter. Ob die Kreuzzugsthematik dabei die literarische Produktion in Børglum bis ins Jahr 1480 bestimmt hat, kann aufgrund der Überlieferungslage nicht mehr beantwortet werden. Ebenfalls offen bleibt die Frage nach den Transmissionswegen der Karl-Materie vom norwegischen Hof bis nach Jütland. Doch wenn Hákon Hákonarson um 1230 das Kloster Marieskog in Dragsmark gestiftet hat, welches wiederum das Tochterkloster von Børglum war, ist der Weg der am norwegischen Hof entstandenen Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans bis nach Børglum über Marieskog nicht ausgeschlossen. In diesem Fall wäre der Kulturtransfer der matière de France sowohl über das royale Bildungsprogramm Hákons auch über den Prämonstratenserorden realisiert worden.

      4. Kontextstudien – Kontextualisierungen im Codex

      Die Tatsache, dass die altostnordischen Zeugnisse der Karlsdichtung ausschließlich in SammelhandschriftenSammelhandschrift erhalten sind, ist in vielerlei Hinsicht beachtenswert. Es lohnt sich daher nicht nur der philologische Blick auf die einzelnen Texte, sondern auch auf deren Kontextualisierungen innerhalb einer Sammelhandschrift. Einzelne Texte wurden im Mittelalter stets kopiert, umgeschrieben und verändert; auf diese Weise wurden sie in verschiedenen Sammelhandschriften wechselnden gattungsbezogenen und sprachlichen Kontexten zugeordnet. Keith Busby bezeichnet diese Eigenart der mittelalterlichen Kompilationen als „dynamic of the codex“.1 Nimmt man an, dass die Schreiber/ Kompilatoren der Handschriften mit Bedacht die in Frage kommenden Texte auswählten und diese in eine bestimmte Reihenfolge setzten, erfuhren letztere durch den variierenden Bezugsrahmen stets neue Kontextualisierungen. Dies bietet gleichfalls die Möglichkeit zu weiterreichenenden Neuinterpretationen. Eine intrinsische Logik der mittelalterlichen Sammelhandschriften offenbart sich nicht unmittelbar. Die Codices sind durch eine Genre- und Sprachendiversität geprägt: Häufig finden sich volkssprachige neben lateinischen Texten, oder – wie im Falle der Børglumer Handschrift – Texte auf Dänisch und Niederdeutsch. Eine sorgfältige Analyse der Texte und deren Interaktionen untereinander kann jedoch behilflich sein, das dynamische Potenzial dieser Sammelhandschriften zu erfassen. Im Folgenden wird dieser Dynamik Rechnung getragen, indem Karl Magnus in Verbindung mit anderen Texten der jeweiligen Handschrift gesetzt wird. Angesichts der Heterogenität der Handschriften sind solch intertextuelle Verbindungen selten offensichtlich. In diesem Fall wird versucht, durch die Verortung der Texte in ihrer kontinentaleuropäischen, lateinischen oder volkssprachigen Tradition eine gemeinsame Linie in der Transmission, Rezeption oder Re-Intrepretation zu entziffern. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass nicht alle Texte sich durch narrative oder rezeptionsästhetische Aspekte mit einem roten Faden zu Karl Magnus zurückverfolgen lassen. Es wird gewiss pragmatische und praktische Gründe bei der Zusammenstellung einzelner Handschriften gegeben haben, oder aber persönliche Interessen der Auftraggeber, die sich aus der heutigen Sicht nicht mehr gänzlich nachverfolgen lassen.

      Die vier schwedischen Handschriften, welche die Texte um Karl den Großen enthalten, nämlich Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4, Cod. Holm. D4aCod. Holm. D4a, Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3 und AM 191 fol.AM 191 fol., können der Kategorie der Laienhandschriften, lekmannahandskrifter, zugeordnet werden. Sie enthalten neben historischen, politischen, religiösen und unterhaltenden Werken auch Fachtexte.2 Im Gegensatz zu Klosterhandschriften beinhalten diese in der Regel öfter Verstexte; eine Tatsache, welche die Forschung zur Annahme verleitet, diese seien mündlich gedichtet und erst später niedergeschrieben worden.3 Sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Layouts sind die profanen Handschriften aus dem laikalen Umfeld homogener gestaltet: Größtenteils sind sie in der Kursivschrift