Xiaolong Zhou

Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes


Скачать книгу

Gottes herauszufinden, interpretiert Kapitel 5 die Erkenntnistheorie in der Dialektik, wo Schleiermacher die Grenze der Erkenntnis deutlich in den Vordergrund stellt. Auf dieser Grundlage kritisiert er alle Formeln der Idee Gottes bzw. des transzendentalen Grundes. Damit wird die Denkbarkeit Gottes durch die Vernunft vollständig abgelehnt. Kapitel 6 beantwortet die Frage, ob sich ein Widerspruch zur radikalen Unerkennbarkeit Gottes in der Darstellung des religiösen Gefühls verbirgt. Das Kapitel weist darauf hin, dass nur in der zweiten Auflage der Glaubenslehre ein vorausgesetztes Wissen über Gott vermieden wird.

      Einen grundlegenden Vergleich nehme ich im dritten Teil vor. Durch die Beschränkung der Erkenntnis auf die Erfahrung wird Gott ein Problem für den Verstand. Gott wird in die Welt der Noumena verschoben. Schleiermacher nimmt diese Tradition auf. Deshalb bildet die Unerkennbarkeit Gottes eine gemeinsame Voraussetzung oder die Grundlage für Kant und Schleiermacher. Obwohl die Unerkennbarkeit Gottes eine zentrale Herausforderung für beide Philosophen ist, haben sie je ihre eigenen Weisen erarbeitet, Gott zu denken. Meines Erachtens möchte Kant die Aporie über Gott innerhalb der Grenze der Vernunft lösen, indem er das allerrealste Wesen (das ens realissimum) durch das Prinzip der durchgängigen Bestimmung aus der Vernunft entwickelt. Im Unterschied dazu betrachtet Schleiermacher Gott als Dasein außerhalb unserer Vernunft, jedoch mit der Überlegung, dass Gott immer tätig und handelnd in der Welt ist. Wir werden entdecken, dass die jeweiligen Betrachtungsweisen ihre eigenen Schwierigkeiten in sich bergen. Was Kant betrifft, liegt die Aporie seiner Theorie darin, dass die Existenz Gottes nicht direkt aus dem Begriff vom enti realissmo abgeleitet werden kann. Damit soll die Idee eines lebendigen Gottes nur auf aposteriorische Weise ergänzt werden. Im Gegensatz dazu ist die Existenz Gottes für Schleiermacher unmittelbar durch das religiöse Bewusstsein gesichert. Außerdem ist der lebendige Gott eine Voraussetzung für Schleiermachers Religionstheorie. Jedoch liegt im Ausschluss eines vorausgehenden Wissens um Gott ein innerer Widerspruch: Ohne über Gott theoretisch nachzudenken, wäre es unmöglich zu bestimmen, ob das im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl mitgesetzte X Gott ist. Um ihre aposteriorischen Erkenntnisse Gottes zu vergleichen, gebe ich der Moraltheologie Kants und der Religionstheorie Schleiermachers jeweils den Namen Moral-​Physikotheologie und Bewusstseins-​Kosmotheologie. Daraus ergibt sich, dass Kant den Verstand und den Willen Gottes für symbolisch und aus der Zweckmäßigkeit der Welt abgeleitet hält, während Schleiermacher alle Eigenschaften Gottes durch die Wirkung Gottes auf das religiöse Bewusstsein erkennen möchte, wobei die Zweckmäßigkeit der Welt keine Rolle spielt.

      Aufgrund dieser Auslegungen kommt diese Untersuchung zum Schluss, dass die apriorischen und aposteriorischen Erkenntnisse Gottes untrennbar sein müssen. Darin liegt der Grund, warum m.E. die kantische Theorie logisch konsequenter als die Religionsphilosophie Schleiermachers ist. Es wird darauf hingewiesen, dass die Gottesbezogenheit für Schleiermachers Darlegungen über das religiöse Gemüt notwendig ist. Damit erscheint der Vorwurf der „Subjektivität“ als wenig stichhaltig.

      A. Kant: Moral als Zugang zu Gott

      Die Gottesfrage ist eines der Kernprobleme in der kantischen Philosophie. Kant diskutiert über Gott in seinen umfangreichen Schriften, nicht nur in den Schriften aus seiner vorkritischen und seiner kritischen Periode, sondern auch in nachgelassenen Schriften und Vorlesungen. Die Forschung interessiert sich dafür, wie sein Konzept von Gott systematisch und einheitlich zu verstehen ist. Allerdings beschäftigt sich diese Untersuchung nicht mit einer systematischen Erklärung der Gottesgedanken Kants, sondern mit den metaphysischen Grundlagen, die für eine systematische Interpretation nötig sind. Nur auf diesen Grundlagen kann ein Vergleich zwischen Kant und Schleiermacher gerechtfertigt werden und erfolgreich sein.

      Dieser Teil wird in folgende drei Kapitel gegliedert: In Kapitel 1 werde ich darauf hinweisen, dass Kant auf die transzendentale oder apriorische und aposteriorische Weise die Eigenschaften Gottes bestimmt hat. In Kapitel 2 wird dargelegt, dass die Gewissheit der Existenz Gottes dadurch aber nicht garantiert wird, mit anderen Worten, man kann niemals dogmatisch das Dasein Gottes ableugnen oder daran festhalten. Deswegen werde ich in Kapitel 3 ausführen, wie Kant durch die praktische Vernunft und Moralität die Gewissheit der Existenz Gottes wieder begründet.

      1 Zwei Methoden, die Eigenschaften Gottes zu denken

      Zunächst ist eine fundamentale Tatsache zu betonen: Kant behauptet zwar manchmal, dass Gottes Natur unerforschlich sei, so in den Prolegomena: „Wir gestehen dadurch: daß uns das höchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich unerforschlich und auf bestimmte Weise sogar undenkbar sei“.1 Doch das bedeutet nicht, dass Kant es aufgegeben hat, Gott zu denken,2 noch viel weniger wäre Kant in das sogenannte „Menon-​Paradox“ geraten, das die Unmöglichkeit beschreibt, einen ihm unbekannten Gegenstand zu suchen.3 In diesem Kapitel wird bewiesen, dass die Unerforschbarkeit und Undenkbarkeit Gottes bei Kant sich nur auf sein Dasein bezieht; es ist doch gänzlich möglich, Gottes Eigenschaften genau zu denken, obwohl Gott als Ding an sich nicht ein Gegenstand der Wahrnehmung und des Verstandes ist. Tatsächlich hat Kant auf viele verschiedene Arten versucht, Gottes Eigenschaften zu bestimmen.

      Damit wird Abschnitt 1.1 dieses Kapitels zuerst aufzeigen, dass Kant, ausgehend sowohl vom transzendentalen Weg (a priori) als auch von der Erfahrung (a posteriori), Gott zu denken versucht. Beide Methoden, nämlich die apriorische (transzendentale) und aposteriorische Methode, lassen sich aus den unterschiedlichen Texten Kants zusammenfassen. Danach wird die transzendentale Methode im zweiten Abschnitt des Theologie-​Hauptstückes der KrV, dessen Titel „von dem transzendentalen Ideal“ heißt, in Abschnitt 1.2 analysiert. Hier bezeichnet Kant Gott als das ens realissimum. Der Begriff vom enti realissimo schafft die Grundlage des Theologie-​Hauptstückes, bzw. die Grundlage der Kritik an drei traditionellen Gottesbeweisen. Daneben werde ich in Abschnitt 1.3 weiter über die aposteriorische Methode diskutieren und beobachten, welche wichtige Rolle die Analogie spielt, um Gott zu denken. Nachdem diese beiden Methoden erklärt worden sind, werde ich in Abschnitt 1.4 darauf hinweisen, dass beide Methoden auf Gott als den Urheber der Materie und der Form der Welt hinführen.

      1.1 Die Denkbarkeit Gottes bei Kant

      Kurz vor dem Ende der Transzendentalen Dialektik, nämlich in dem Abschnitt Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft, hat Kant eine schöne Zusammenfassung seiner transzendentalen Theologie vorgelegt:

      „Frägt man denn also (in Absicht auf eine transscendentale Theologie) erstlich: ob es etwas von der Welt Unterschiedenes gebe, was den Grund der Weltordnung und ihres Zusammenhanges nach allgemeinen Gesetzen enthalte, so ist die Antwort: ohne Zweifel […] Ist zweitens die Frage, ob dieses Wesen Substanz, von der größten Realität, nothwendig etc. sei: so antworte ich, daß diese Frage gar keine Bedeutung habe […] Ist endlich drittens die Frage, ob wir nicht wenigstens dieses von der Welt unterschiedene Wesen nach einer Analogie mit den Gegenständen der Erfahrung denken dürfen: so ist die Antwort: allerdings, aber nur als Gegenstand in der Idee und nicht in der Realität, nämlich nur so fern er ein uns unbekanntes Substratum der systematischen Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welteinrichtung ist, welche sich die Vernunft zum regulativen Princip ihrer Naturforschung machen muß.“1

      In diesem Absatz drückt Kant folgende Meinung aus: Es gibt bestimmt etwas, auf dessen Grund die Weltordnung und ihre Zusammenhänge basieren. Wir haben allerdings hinsichtlich der Eigenschaften dieser übersinnlichen Dinge keinerlei Erkenntnis wegen der Unfähigkeit unseres Verstandes, die Grenze der Sinnenwelt zu überschreiten. Trotzdem können wir nach einer Analogie mit den Gegenständen der Welt dieses übersinnliche Wesen denken, doch bezieht sich diese Analogie nur auf die systematische Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welteinrichtung. Daraus wird ersichtlich, dass das berühmte regulative Prinzip eng mit der Analogie verbunden ist.2

      Ein Satz aus diesem Zitat verdient besondere Beachtung: „Ist zweitens die Frage, ob dieses Wesen Substanz, von der größten Realität, nothwendig etc. sei: so antworte ich, daß diese Frage gar keine Bedeutung habe.“ Kants Meinung dazu widerspricht offensichtlich dem Inhalt des zweiten Abschnitts des Theologie-​Hauptstückes, in dem Kant, ausgehend vom „Prinzip der durchgängigen Bestimmung“, Gott als das ens realissimum