Xiaolong Zhou

Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes


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und dem im 3. und 5. Abschnitt des Theologie-​Hauptstückes beschriebenen kosmologischen Beweis, jedoch nicht ohne Differenz.2 (3) Im 2. Abschnitt des Theologie-​Hauptstückes bestimmt Kant, ausgehend vom Prinzip der durchgängigen Bestimmung, Gott als das ens realissimum. Allerdings ist die Rolle, die diese drei verschiedenen Weisen, die Idee Gottes abzuleiten, spielen, gänzlich unvergleichbar. Die erste Weise bindet die rationale Psychologie, die rationale Kosmologie und die transzendentale Theologie in ein System durch die kategorischen, hypothetischen und disjunktiven Vernunftschlüsse; allerdings hat diese Weise fast keine Wirkung in der folgenden Diskussion, obwohl Kant an eine innere Einheit zwischen ihr und der dritten Weise glaubt.3 Gleichzeitig kritisiert Kant die zweite Weise nicht nur in seiner Darstellung der vierten Antinomie, sondern auch im Theologie-​Hauptstück. Im Gegensatz zur ersten und zweiten Weise spielt die dritte eine wichtige maßgebliche Rolle für die Idee Gottes bei Kant. Das ens realissmum als ein transzendentales Ideal repräsentiert nun Kants eigene charakteristische Idee Gottes und wird von den Forschern kontrovers diskutiert. Außerdem ist es auch der Kernbegriff des Theologie-​Hauptstückes. So kommentiert Joseph Schmucker: „Denn das transzendentale Ideal wird hier von Kant ausdrücklich als entscheidendes Kriterium jeder Theologie, insbesondere auch der ihm vorschwebenden Moraltheologie anerkannt und gefordert.“4 Kant wird nicht müde zu betonen, dass dieses Ideal nicht realisiert, hypostasiert, personifiziert werden dürfe.5 Aufgrund dessen kritisiert er die drei traditionellen Gottesbeweise. In seiner vorkritischen Zeit gibt es außerdem eine Realisierung, Hypostasierung und Personifizierung dieses Ideals vom enti realissimo im kantischen ontotheologischen Gottesbeweis. Deswegen gilt die Kritik an den traditionellen Gottesbeweisen auch als eine Selbstkritik seines ontotheologischen Beweises.

      Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit diesem Ideal. Er versucht zu entwickeln, wie Kant endlich das ens realissimum als Gott begreift und wird folgendermaßen gegliedert: In Unterabschnitt 1.2.1 werde ich den 2. Abschnitt des Theologie-​Hauptstückes rekonstruieren, jedoch den Inhalt auf den Prozess der Erreichung dieses Ideals beschränken und die Kritik an der Realisierung, Hypostasierung und Personifizierung auf das 2. Kapitel verschieben. Nach der Rekonstruktion werde ich in Unterabschnitt 1.2.2 die wichtigsten Eigenschaften des entis realissimi mit Hilfe der Vorlesung über Rationaltheologie analysieren.

      1.2.1 Gott als das „ens realissimum“

      Ich lenke zunächst meine Aufmerksamkeit auf den Abschnitt Von dem transzendentalen Ideal des Theologie-​Hauptstückes. In diesem Abschnitt (insbesondere in den Paragraphen 1–15) beschreibt Kant vom Prinzip der durchgängigen Bestimmung aus das ens realissimum, das transzendentale Ideal, als den Gegenstand der transzendentalen Theologie. Dies kann als Fortsetzung und Umwandlung des ontotheologischen Beweises vom Sein Gottes in der vorkritischen Zeit verstanden werden.1 Wir folgen hier dem Vorschlag von Giovanni B. Sala, den Prozess der Herleitung der Idee von Gott in drei Schritte zu unterteilen: (1) Vom Prinzip der durchgängigen Bestimmung zum Inbegriff aller möglichen Prädikate als transzendentale Voraussetzung; (2) den Inbegriff aller möglichen Prädikate zur Idee von einem All der Realität zu verfeinern. (3) Die Idee von einem All der Realität ist die Idee des entis realissimi und der Gottesbegriff im transzendentalen Sinn.2 Ich werde diese drei Schritte im Folgenden näher betrachten:

      (1) Kant weist darauf hin, dass alle Dinge zum Prinzip der durchgängigen Bestimmung gehören: „nach welchem ihm von allen möglichen Prädikaten der Dinge, so fern sie mit ihren Gegentheilen verglichen werden, eines zukommen muß.“3 Für Kant hat jedes reale Prädikat sein negatives Gegenteil, z. B. licht zu finster, gut zu böse usw. Außerdem steht jedes Wesen zwischen absoluter Realität und absoluter Negation (dem Nichts), nämlich, jedes Seiende ist partim realia, partim negativa, genau wie Kant in der Vorlesung über Rationaltheologie sagt:

      „Ein jedes Ding muß etwas Positives haben, das ein Seyn in ihm ausdrückt. Ein bloßes Nichtseyn kann kein Ding konstituieren. Der Begriff de ente omni modo negativo ist der Begriff eines non entis. Da folglich ein jedes Ding Realität haben muß; so werden wir unter allen möglichen Dingen uns entweder ein ens realissimum oder ein ens partim reale, partim negativum vorstellen können […] Ein höchstes Ding wird als ein solches seyn müssen, das alle Realität hat; denn in diesem einzigen Falle habe ich ein solches Ding, mit dessen Begriffe zugleich seine durchgängige Bestimmung, weil es in Ansehung aller möglichen praedicatorum oppositorum durchaus vollständig bestimmt ist. Der Begriff eines entis realissimi ist folglich eben der Begriff eines entis summi, denn alle andere Dinge außer ihm sind partim realia, partim negativa, und eben daher ist ihr Begriff nicht durchgängig bestimmt.“4

      Daraus können wir dreierlei schließen: das ens realissimum, das alle Realität beinhaltet und durch sich selbst durchgängig bestimmt wird; der Begriff de ente omni modo negativo, was keine Realität hat und ein Nichtsein ist; dazwischen sind andere Dinge, die partim realia, partim negativa sind und durch das ens realissimum durchgängig bestimmt werden. Hier benützt Kant ein Beispiel: vom Begriff eines vollkommensten Menschen können wir das Alter, die Größe und den Ausbildungsstand nicht bestimmen. Das will so viel sagen als: „um ein Ding vollständig zu erkennen, muß man alles Mögliche erkennen und es dadurch, es sei bejahend oder verneinend, bestimmen.“5 Das bedeutet, wir sollen „jedes Ding noch im Verhältniß auf die gesamte Möglichkeit [betrachten], als den Inbegriff aller Prädicate der Dinge überhaupt“,6 um ein Ding vollständig zu erkennen. Danach möchte Kant „den Inbegriff aller Prädicate der Dinge“ genauer bestimmen.

      (2) „Der Inbegriff aller möglichen Prädikate“ ist nicht die Summa in Menge. Kants nächste Aufgabe besteht darin, den Inbegriff aller möglichen Prädikate zu verfeinern, das heißt, Prädikate auszuschließen, die nicht geeignet sind, die Prädikate des entis realissimi zu sein. Dazu sagt Kant: „so finden wir doch bei näherer Untersuchung, daß diese Idee als Urbegriff eine Menge von Prädicaten ausstoße, die als abgeleitet durch andere schon gegeben sind, oder neben einander nicht stehen können, und daß sie sich bis zu einem durchgängig a priori bestimmten Begriffe läutere und dadurch der Begriff von einem einzelnen Gegenstande werde.“7 Daraus folgt, dass das ens realissimum nicht direkt mit dem Inbegriff aller möglichen Prädikate identifiziert werden kann, weil jenes zwei Arten von Prädikaten dieses Inbegriffs ausschließt: die abgeleiteten Prädikate und die nicht nebeneinander stehenden Prädikate.8

      Die abgeleiteten Prädikate, nämlich negative Prädikate, z. B. finster, arm und unwissend, können nur mit Hilfe der realen Prädikate, z. B. licht, reich und wissend, verstanden werden. Negative Prädikate können nur als Mangel der realen Prädikate betrachtet werden. Daher enthält das ens realissimum keine negativen Prädikate wie finster, arm und unwissend. Die nicht nebeneinander stehenden Prädikate bedeuten die mit den Prädikaten des entis realissimi nicht koexistierenden und in Widerspruch stehenden Prädikate. Dafür gibt Kant keine weitere Erklärung, aber wir können die Bedeutung von „nicht nebeneinander stehenden Prädikaten“ verstehen mit Hilfe der Realrepugnanz im Beweisgrund: „Die Undurchdringlichkeit der Körper, die Ausdehnung u.d.g. können nicht Eigenschaften von demjenigen sein, der da Verstand und Willen hat.“9 Das heißt, die körperlichen Attribute wie Undurchdringlichkeit und Ausdehnung stehen im Widerspruch zu spirituellen Attributen wie Verstand und Willen. Weil das ens realissimum die spirituellen Attribute hat, werden Prädikate wie Undurchdringlichkeit und Ausdehnung definitiv ausgeschlossen. Daher wird der Inbegriff aller möglichen Prädikate gereinigt und schließlich zur omnitudo realitatis. Dies bedeutet, dass die Idee von der omnitudo realitatis und damit auch das ens realissimum nicht die Summa oder das Aggregat aller Prädikate in der Menge ist.

      (3) Durch den Beweis, dass der Inbegriff aller möglichen Prädikate dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung zugrunde liegt, und durch die Verfeinerung des Inbegriffes kommt Kant zur omnitudo realitatis, dem „Urbegriff“, und daraus wird das ens realissimum geschlossen: „Es ist aber auch durch diesen Allbesitz der Realität der Begriff eines Dinges an sich selbst als durchgängig bestimmt vorgestellt, und der Begriff eines entis realissimi ist der Begriff eines einzelnen Wesens.“10

      Jetzt können wir den Prozess mit dem Absatz der Reflexion zusammenfassen: „Das princip der durchgängigen Bestimmung