Jan Stöhlmacher

Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt


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schwieriger, als ich vermutet hatte. Zwar verfüge ich als Facharzt für Krebserkrankungen über das Wissen, um meinem Bruder seine Diagnose und Therapiemöglichkeiten zu erklären. Doch als Angehöriger war ich unsicher. Was will mein Bruder? Was ist ihm jetzt wichtig? Welche Erwartungen hat er an mich? Wie kann ich ihm konkret helfen?

      Von der eigentlichen Diagnose wurde ich nicht wirklich überrascht. Frank hatte im Vorfeld mehrere Symptome beschrieben, die aus meiner Sicht auf ein ernstes Erkrankungsgeschehen hindeuteten. Trotzdem fühlte ich mich im ersten Moment überwältigt und auch hilflos. Im Nachhinein habe ich mir gesagt: Das ist normal. In einer solch schwierigen Situation, die keiner planen kann, ist es in Ordnung, sich zunächst zu orientieren und nicht sofort zu wissen, was genau zu tun ist. In der Position des begleitenden Bruders zu sein erschien mir viel schwieriger als in der mir vertrauten Rolle des behandelnden Arztes.

      An der Seite meines kranken Bruders ist mir auf eine sehr persönliche Art bewusst geworden, dass das Mitteilen einer Diagnose, die das Leben so einschneidend verändert, eine gehörige Portion Empathie und Einfühlungsvermögen von ärztlicher Seite erfordert. Jedenfalls mehr, als er und ich gemeinsam erlebt hatten. In einer solchen Situation kommt jedoch auch den Angehörigen eine wichtige Rolle zu. Sie können einen wesentlichen Anteil daran haben, die Begegnung des Patienten mit dem Arzt zufriedenstellend und gut zu gestalten.

      Aus mehr oder weniger heiterem Himmel erfährt man, dass man ein schwer kranker Mensch ist. Dabei muss es sich nicht immer um eine Krebsdiagnose handeln. Eine langsam voranschreitende rheumatische Erkrankung oder ein schwerer Schlaganfall sind nur einige andere Beispiele. Auch ein viel zu früh geborenes Kind verändert das Leben von Grund auf. Eine Flut an Gedanken, Gefühlen und Fragen ist die unausweichliche Folge. Plötzlich dreht sich anscheinend alles nur noch um die eigene Gesundheit. Je mehr man versucht, wieder Ordnung in das Chaos an Gefühlen und Gedanken zu bringen, desto mehr wird einem bewusst, dass es nicht nur die Sorge um den eigenen Körper ist, die einen schlecht schlafen und nicht zur Ruhe kommen lässt. Wie sage ich es der Familie, wird diese Verbindung halten oder stehe ich plötzlich alleine da? Wie lange kann ich noch arbeiten? Was wird nun aus den eigenen Träumen, den gemeinsamen Plänen? Was ist nun wirklich wichtig? In dieser Achterbahnfahrt wird einem bewusst, wie selbstverständlich man sein ganzes Leben auf einer guten Gesundheit aufgebaut hat. Und nun steht die Welt auf dem Kopf. Nichts ist mehr wie zuvor. So sieht es zumindest zunächst aus.

      Fragen, Bedürfnisse und Wünsche bezüglich einer guten Begegnung im Sprechzimmer stehen im Mittelpunkt des Buches.

      Prof. Dr. med. Jan Stöhlmacher

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      Eine echte Lebenskrise lässt sich nicht einfach durch gute Gespräche oder Gedanken in den Griff bekommen. Es beginnt ein Prozess, an dem viele Menschen beteiligt sind und der nur gelingt, wenn alle – Patientin oder Patient, Ärztin oder Arzt und Angehörige – emotional und sachlich ihr Bestes geben. Dabei hat jeder seine eigene Rolle. Nach einer einschneidenden Diagnose muss jede und jeder nach den eigenen Maßstäben entscheiden, wie es weitergehen soll. Der Lebensentwurf muss überdacht, Dinge müssen neu geordnet werden. Das betrifft auch die Angehörigen. Deren Unterstützung ist in dieser Situation enorm wichtig und vielschichtig. Sie können den Patienten zur Seite stehen und in Gesprächen vermitteln, ähnlich wie ich es bei meinem Bruder getan habe. Bei den vielen Entscheidungen, die in einer solchen Lebensphase anstehen, können sie unterstützen, trösten und beschützen. Der Arzt schließlich kann fachlich kompetent und empathisch die medizinischen Prozesse koordinieren und den Patienten begleiten. Das Gespräch ist hierbei ein zentraler Baustein.

      Aus der geschilderten persönlichen Erfahrung heraus entstand mein Bedürfnis, das Treffen zwischen Patienten, Angehörigen und Arzt besser zu verstehen. Welche Prozesse werden in Gang gesetzt? Was sind die Erwartungen der Beteiligten? Wann gelingt das Zusammenspiel und wo hakt es typischerweise? Was kann man verbessern? Ich habe angefangen, persönliche Erfahrungsberichte zu sammeln, und dabei ist mir klar geworden: Wir reden häufig aneinander vorbei. Wir Ärzte bemühen uns zu selten, die Erkrankungssituation mit den Augen der Betroffenen zu sehen.

      Dieses Buch richtet sich allerdings nicht in erster Linie an meine Kollegen. Es ist für Patientinnen und Patienten geschrieben, die an einer chronischen oder schweren Erkrankung leiden, und für ihre Angehörigen. Ich möchte Sie ermuntern und Ihnen praktische Hinweise an die Hand geben, wie Sie das Gespräch mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin aktiv mitgestalten können. Denn Sie können viel einbringen; oft sind es die berühmten Kleinigkeiten, damit es ein partnerschaftliches Gespräch wird. Und nur dann wird es ein gutes Gespräch. Seien Sie mutig und werden Sie aktiv! Einen überarbeiteten oder gar überheblichen Arzt ohne Empathie werden Sie nicht ändern. Aber nach der Lektüre haben Sie ein klares Bild, wie ein Gespräch auf Augenhöhe aussehen sollte. Dies schließt auch das Wissen darüber ein, wann es, als letzte Konsequenz, angezeigt ist, sich einen anderen Arzt zu suchen.

      Der Umgang mit schwerer, chronischer Krankheit ist mir gut vertraut, als Angehöriger und als Mediziner. Die Geschichten und Gedanken in diesem Buch basieren auf eigenen Erfahrungen und persönlichen Gesprächen mit Betroffenen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Ich habe bewusst mit Menschen gesprochen, zu denen ich ein enges Vertrauensverhältnis habe, um zu erfahren, was sie in solchen Momenten wirklich bewegt hat. Ihre Fragen, Bedürfnisse und Wünsche bezüglich einer guten Begegnung im Sprechzimmer stehen im Mittelpunkt des Buches. Die einzelnen Kapitel widmen sich dabei Themen, die von Patienten und Angehörigen im Austausch mit Ärzten als besonders wichtig erachtet, aber von uns häufig als nebensächlich abgetan werden. Dazu zählen Fragen wie:

      Sollte ich mich auf den Arztbesuch vorbereiten?

      Was mache ich, wenn ich den Arzt nicht verstehe?

      Wann bespreche ich am besten die Ergebnisse meiner Internetsuche oder ähnliche Erkrankungsbeispiele aus der eigenen Familie mit dem Arzt?

      Was kann ich selbst beitragen, damit das Gespräch gelingt?

      Wie beuge ich typischen Konflikten in der DreiecksbeziehungPatient-Arzt-Angehöriger vor?

      Wodurch unterstütze ich als Angehöriger meine Partnerin, mein Kind, meine Eltern oder meinen Freund am besten?

      Ich hoffe, auf den folgenden Seiten kann ich Ihnen Einblicke geben und Aha-Erlebnisse vermitteln, die ich selbst im Lauf meiner Recherche gehabt habe. Ich werde versuchen, Ihnen ganz praktische Wege aufzuzeigen, damit Sie das Sprechzimmer Ihrer Ärztin beziehungsweise Ihres Arztes beim nächsten Mal zufriedener verlassen. Denn gute Gespräche im Arztzimmer sind ein wesentlicher Baustein der Bewältigung Ihrer Erkrankung beziehungsweise der Behandlung Ihres Angehörigen.

       »Der Doktor macht das schon«

       Ihre Beschwerden und der erste Arzttermin

      Beim Blick in den Spiegel hab ich keine Auffälligkeiten gesehen. War es doch nur Einbildung? Ich habe mich seit Jahren problemlos mit dem kleinen Apparat rasiert. Nun blieb ich dabei immer wieder links unterm Kinn hängen. Habe ich meinen Hals befühlt, dann war da so eine kleine Verdickung, so groß wie eine Erbse vielleicht. Weh tat es nicht, ging aber auch nicht weg. Schließlich hat mich der kleine Knoten gestört und ich bin doch zum Arzt gegangen. Ist doch so: Wenn man nicht genau weiß, was los ist, geht man zum Arzt und lässt ihn machen. Er ist der Experte und sollte wissen, was zu tun ist.“

      So hat mir Michael, ein guter Freund, den Beginn seiner Odyssee erzählt. Sie kennen das sicher selbst: Irgendetwas stimmt nicht. Aber man will sich nicht anstellen und ist auch nicht begeistert von der Vorstellung, die Tagesplanung über den Haufen zu werfen und sich in ein Wartezimmer zu setzen. Sicher ist es nur eine Kleinigkeit. Kann ich selbst etwas dagegen tun? Irgendwann ist man doch beunruhigt: Vielleicht ist es etwas Schlimmes … Muss ich ins Krankenhaus? Im Vorfeld geistert einem alles Mögliche durch den Kopf. In den Gedankensalat ein wenig Ordnung zu bringen, so eine Art roten Faden zu finden, wäre schön.