dem größten deutschen Marktforschungsunternehmen, durchgeführte Umfrage, wonach zwei Drittel der Befragten als Grund für einen Arztwechsel angaben, dass sie sich „von oben herab behandelt“ gefühlt hätten. Zweifellos trägt der Arzt die Hauptverantwortung dafür, dass Sie einander auf Augenhöhe begegnen und sich unterhalten können. Voraussetzung für das Entstehen eines partnerschaftlichen Gespräches ist aber auch Ihre wahrheitsgemäße und selbstbestimmte Darstellung. Schildern Sie die Dinge offen und ehrlich, kann er seine Entscheidungen aufgrund richtiger und vollständiger Angaben fällen. Und Sie müssen sich später nicht vorwerfen, dass eine Behandlung in eine Sackgasse geraten ist, bloß weil Sie Symptome nicht ganz oder nicht richtig erzählt haben. Für Ihre Offenheit dürfen Sie Respekt und Wertschätzung erwarten.
Weitere Gründe, die Patienten angaben, warum sie nicht die ganze Wahrheit erzählt hatten: Sie wollten nicht hören, dass ein bestimmtes Verhalten ungesund ist. Es steht ja nun auf jeder Zigarettenpackung, dass Rauchen schädlich ist. Das will man sich vom Arzt ebenso wenig anhören wie die Ermahnung, dass es einfach nicht gut ist, jeden Tag Alkohol zu trinken. Anderen Teilnehmern der Befragung wäre es unangenehm gewesen zuzugeben, dass sie Empfehlungen, zum Beispiel zu Ernährung oder Sport, nicht umgesetzt hatten. Also haben Sie die Details weggelassen oder dem Arzt gegenüber nicht wahrheitsgemäß geantwortet.
Wenn Sie ehrlich sind – kommt Ihnen das bekannt vor? Irgendwie führt an der Erkenntnis kein Weg vorbei: Ein Arztbesuch aufgrund einer gesundheitlichen Krise findet außerhalb der eigenen Komfortzone statt und er geht ans Eingemachte. In dieser Situation ist es natürlich wichtig, wie vertrauensvoll Ihr Gegenüber wirkt. Über Ihren Schatten springen müssen Sie aber auf jeden Fall. Die ärztlichen Entscheidungen können nur auf den Informationen basieren, die Sie zur Verfügung stellen. Denken Sie an Ihre neue Wohnung. Hätten Sie gewusst, dass das Bad von Schimmel befallen ist, wären Sie nicht eingezogen, sondern hätten erst einmal auf der Beseitigung bestanden.
Erlauben Sie Ihrer Ärztin, am Anfang einen eigenen Eindruck ausschließlich aufgrund Ihrer Beschwerden zu gewinnen. Zweifellos haben Sie sich eigene Gedanken gemacht, bevor Sie in die Praxis gekommen sind, vor allem bei besorgniserregenden Symptomen. Bestimmt haben Sie das Internet, Erfahrungsberichte von Bekannten und Verwandten oder andere Quellen zu Rate gezogen. Wenn Sie jetzt aber Ihrer Ärztin gegenübersitzen, lassen Sie Ihre Vermutungen besser erst einmal in der Warteschleife. Wenn diese sich aufgrund einer sachlichen Darstellung ein Bild gemacht hat, können Sie immer noch über Ihre Befürchtungen sprechen. Die Fachfrau kann Ihnen dann auch viel klarer antworten und verschiedene Deutungen bewerten.
Stellen Sie sich vor: Über ein Inserat haben Sie endlich eine Wohnung gefunden, die Ihren Vorstellungen entsprechen könnte. Bei der zügig vereinbarten Besichtigung sind Sie dann mit der Einrichtung des Vormieters konfrontiert, der noch beim Auszug ist. Alles steht voll. Wie wollen Sie inmitten dieser fremden Wohnentscheidungen beurteilen, welche Möglichkeiten die Wohnung Ihnen bietet? Mir wäre eine besenreine Wohnung lieber. Es wäre viel einfacher, die einzelnen Räume auszumessen. Ich könnte mir besser vorstellen, ob mir der Zuschnitt der Zimmer zusagt, genauer beurteilen, ob die Wände ausgebessert werden müssen. Für mich als Arzt ist ein möglichst klares, unverfälschtes Bild Ihrer Beschwerden die beste Arbeitsgrundlage. Eigene Überlegungen zur möglichen Erkrankung oder Therapie lassen sich zu einem späteren Zeitpunkt besser diskutieren, beispielsweise wenn ich Sie mit einer Verdachtsdiagnose konfrontiere. Deckt sich meine Vermutung nicht mit Ihren Recherchen, ist nun ein guter Moment, um ins Gespräch zu kommen.
Wollen Sie zu diesem ersten Besuch allein gehen? Das ist eine Frage, die Sie gut überlegen sollten. Einige Vorteile, den Arzttermin mit Begleitung wahrzunehmen, liegen auf der Hand. Die Wahrscheinlichkeit, etwas Wesentliches zu vergessen, sinkt, da jemand da ist, der Sie erinnern und unterstützen kann. Und: Was die Ärztin oder der Arzt sagt, wird von mehreren Personen aufgenommen. Gerade wenn Sie aufgeregt sind, kann es hilfreich sein, dass noch jemand zuhört. Wie bereits in den einleitenden Worten zu diesem Buch erwähnt, war es für meinen Bruder sehr beruhigend, dass ich bei seinem Gespräch dabei war. Auf diese Weise gingen nicht nur weniger Informationen verloren, weil wir zwei Leute waren, die zuhörten. Wir konnten uns im Nachgang auch über das Gehörte austauschen und Widersprüche aufklären. Ein weiterer Vorteil war, dass ich einspringen konnte, als ich den Eindruck hatte, dass Frank dem Gespräch nicht mehr gewachsen war. Diese halbe Stunde als Angehöriger im Sprechzimmer war für mich, wie gesagt, eine wirklich wichtige Erfahrung.
Rückblickend muss ich allerdings zugeben, dass ich nicht gut vorbereitet war. Im Unterschied zu vielen anderen Angehörigen hatte ich mich aufgrund meines Fachwissens auf die Diagnose bereits einstellen können. Anders als es Ihnen oder Ihrer Begleitung möglicherweise ergeht, bin ich nicht „aus allen Wolken“ gefallen. Aber wie mein Bruder reagieren würde, wenn es wirklich eine schlimme Nachricht gäbe, darüber hatte ich nicht genug nachgedacht. Auf die Möglichkeiten und Herausforderungen für die Begleiter werde ich später ausführlich zurückkommen. Drei Aspekte scheinen mir aber bereits für den ersten Besuch wichtig.
Zunächst einmal: Versuchen Sie, sich auf eine weitere Person zu beschränken. Ihre Ärztin muss ihre Aufmerksamkeit auf alle anwesenden Personen aufteilen. Sie werden im Mittelpunkt stehen, aber Ihr Gegenüber kann Ihre Begleitung nicht ignorieren. Außerdem ist es gut, sich im Vorfeld Gedanken über Ihre Beziehung zu machen: Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen und der Begleitperson, die Sie mit in die Sprechstunde nehmen wollen? Manchmal ist eine Freundin geeigneter als der Partner. Das kann verschiedene Gründe haben. Vielleicht wollen Sie Ihren Partner nicht unnötig beunruhigen oder Sie erinnern sich, dass Ihre Freundin schon einmal ein ähnliches Problem hatte, und Sie daher sehr gut verstehen wird. Wichtig ist, dass Sie der mitgebrachten Person vertrauen und sich ihrer Unterstützung sicher sind. Wenn Schuldgefühle oder Spannungen das Verhältnis belasten, sollten Sie genau abwägen und im Zweifel lieber allein ins Sprechzimmer gehen.
Schließlich ein dritter Punkt, an den Sie in der Aufregung vielleicht nicht denken: Sie haben sich für jemanden entschieden. Aber Sie haben ein Geheimnis, das Ihre Begleitung nicht erfahren soll, Ihre Ärztin aber erfahren muss. Dies könnte eine Erkrankung sein, die Sie bisher für sich behalten haben, ein früherer Schwangerschaftsabbruch, eine komplizierte familiäre Situation oder die Tatsache, dass Sie schon seit Jahren täglich mehrere Gläser Wein trinken. In einem solchen Fall können Sie das Gespräch mit Ihrer Ärztin erst einmal allein führen und die Begleitung später dazu bitten. Signalisieren Sie der Ärztin klar, dass die geteilten Informationen nur für diese bestimmt sind. Sie wird sich daran halten. So können Sie entspannter in das Gespräch gehen, denn Ihre Ärztin wird Sie nicht in Anwesenheit Ihrer Begleitung zum Beispiel durch eine Frage zu Ihren Trinkgewohnheiten in Verlegenheit bringen. Sie sind also von dieser Seite vor unangenehmen Überraschungen gefeit und können sich voll auf den Inhalt des Gespräches konzentrieren.
Und wie ging es bei Michael weiter, der so felsenfest überzeugt war, dass der Doktor es schon richten würde? Er erzählt: „Nach der Untersuchung meines Halses meinte der Arzt, dass es sich am ehesten um eine Muskelverhärtung handelt, und hat mich zur Physiotherapie geschickt. Dass es sich für mich eigenartig anfühlte, habe ich ihm nicht gesagt. Er hat auch nichts weiter gefragt. Der Therapeutin kam die Stelle ungewöhnlich vor. Und ich habe mich auch nach der Behandlung nicht wieder hundertprozentig fit gefühlt. Aber eine Muskelverhärtung ist ja keine schlimme Sache, also habe ich zunächst nichts weiter unternommen. Starke Beschwerden hatte ich nicht. Den Arzt habe ich wie einen Mechaniker fürs Auto gesehen. Die Probleme meines Autos diagnostiziere ich auch nicht selbst, sondern bringe es in die Kfz-Werkstatt.“
Bei dieser Einstellung gab es für Michael offenbar keinen Grund, seinen Arzt mit der Einschätzung der Physiotherapeutin zu konfrontieren – und vor allem mit der Tatsache, dass er sich weiterhin nicht vollkommen gesund fühlte. Sie ahnen es sicher schon, dass die Geschichte einen ungünstigen Verlauf nahm, da es sich leider nicht um eine Muskelverhärtung handelte. Wie es mit Michaels Geschichte weiterging, erfahren Sie im vierten Kapitel „Die Herausforderung annehmen“. Aus meiner Sicht wäre es notwendig gewesen, dem Arzt gegenüber die fortbestehenden Beschwerden zu erwähnen, damit er weiter nach der Ursache sucht. Wenn Sie keine Probleme äußern, wird er annehmen, es gebe keine. Gleichzeitig ist Michaels Verhalten auch nachvollziehbar: Irgendetwas stimmt nicht; aber man will sich ja nicht anstellen … Womit wir wieder beim Anfang dieses Kapitels