Jan Stöhlmacher

Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt


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ein und ich sammle kontinuierlich Erfahrungen, wie sich eine Unterredung meistern lässt. Dadurch kann ich meine Gespräche selbst verbessern.

      In der schon erwähnten explorativen Befragung, die Lothar Schäffner von der Universität Hannover durchgeführt hat, stand für fast alle Teilnehmer fest, dass Ärztinnen und Ärzte das für einen empathischen Umgang mit den Patienten notwendige Geschick und auch das Wissen dafür bereits in den Beruf mitbringen müssten. Ohne diese menschlichen Ressourcen würden auch die langen Jahre an der Universität nichts ausrichten. Offenbar trauten die befragten Patienten ihren Ärzten kein sonderliches Entwicklungspotenzial nach dem Studienabschluss zu. So weit würde ich nicht gehen. Gäbe es für Medizinstudenten so eine Art Nürnberger Trichter, dann könnte man da neben den dicken Lehrbüchern auch gleich noch zwischenmenschliche Fähigkeiten mit hineinschütten. Leider gehört so ein Ding in die Welt der Legenden. Doch es gibt erfahrene Kolleginnen und Kollegen, von denen man unweigerlich lernt, umso mehr, je intensiver man deren Rat sucht und bewusst in sein eigenes Handeln integriert. Aus meiner Erfahrung bringt einem das mehr für die tägliche Arbeit als der Besuch von Fortbildungen, die sich mit diesem Thema theoretisch beschäftigen. Man muss diese Situationen direkt erleben, um die Wucht der eigenen Worte und die Vielfalt der Reaktionen, verbal und nonverbal, kennenzulernen. Das bekommen Sie mit Rollenspielen in einem Seminar nicht in dieser Form hin.

      Vielleicht haben Sie es auch schon erlebt, dass Ihre Ärztin Sie vor dem geplanten Gespräch gefragt hat, ob es in Ordnung wäre, wenn noch ein junger Kollege mit dabei wäre, einfach zum Zuhören. Das geht natürlich nur mit Ihrem Einverständnis. Sonst bräuchte man auch kein Schild an der Tür des Sprechzimmers, um Ihre Intimsphäre zu schützen. Ich erinnere nur wenige Patienten, die Bedenken geäußert haben, und dann sind die Kollegen natürlich rausgegangen. Für mich als junger Arzt waren das genau die Situationen, in denen ich ganz viel gelernt habe. Und später saßen immer mal wieder Kolleginnen oder Kollegen mit in meiner Sprechstunde. Interessant für mich war, dass häufig, wenn ein anderer Arzt mit im Zimmer saß, die Kommunikation mit den Patienten nicht so locker ablief, wie ich es kannte, was indirekt darauf hinwies, dass es uns gelungen war, ein wenig Vertrauen aufzubauen.

      Als ich einmal eine junge Ärztin mit zu Frau Witkowski in meine Sprechstunde nahm, erlebte ich eine kleine Überraschung. Ich hatte einen, ich würde sagen, vernünftigen Draht zu dieser Patientin, aber es war eher eine Arbeitsbeziehung und nicht betont emotional. An diesem Vormittag berichtete sie, nicht zum ersten Mal, von ihren Unterleibsschmerzen, die auf viele kleine Tumorabsiedlungen in ihrem Bauchfell, einer Art dünnem Bindegewebe, welches die Organe im Bauchraum an ihrem Platz hält, zurückzuführen waren. Unvermittelt wandte sie sich an die junge, ihr unbekannte Ärztin: „Sie können sicher besser verstehen, wie sich die Schmerzen hier unten anfühlen.“ Es war eine talentierte Kollegin, die keinerlei Scheu vor dem Kontakt mit Frau Witkowski hatte und mit ihrer Art und wohl auch der Tatsache, dass sie nun mal eine Frau war, im weiteren Gespräch die Patientin förmlich aufschloss. Frau Witkowski schien erleichtert darüber zu sein, sich erstmals richtig verständlich machen zu können. In diesem Fall half mir meine langjährige Praxiserfahrung gar nichts.

      An eine andere Grenze bin ich mit meinem älteren Bruder Ralf gestoßen, der auch eine Krebsdiagnose erhalten hatte. An sich waren die Voraussetzungen des Arztverhältnisses bestens: Ich denke, Ralf fühlte sich gut aufgehoben, denn sein behandelnder Arzt stellte ihm verschiedene Therapieangebote vor und schaffte es auch, die gleichwertigen Behandlungswege verständlich zu erklären. Ralf kannte also die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Optionen, und eigentlich, sollte man meinen, hätte er nun eine Entscheidung fällen können, welchen Weg er einschlagen wollte. Aber so war es nicht. Ralf fragte mich, ob er seinen Lungenkrebs, der damals lokal begrenzt war, also nicht gestreut hatte, operieren oder mit einer kombinierten Strahlen-Chemotherapie behandeln lassen sollte. Beide Methoden können in bestimmten Stadien dieser Erkrankung alternativ eingesetzt werden. Belastungen und Nebenwirkungen sind dabei sehr verschieden.

      Zu diesem Zeitpunkt war unser gemeinsamer Bruder Frank trotz einer Chemotherapie bereits an seinem Prostatakarzinom gestorben. Das machte es mir nicht leichter, Ralf zu vermitteln, dass auch die Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie erfolgreich sein kann, genauso wie eine Operation keinesfalls garantiert, dass der Tumor besiegt wird. Er war ein intelligenter Mann und hat die Unterschiede in den Behandlungen verstanden. Am Ende aller Diskussionen hat er dann aber doch mich gebeten, ihm zu sagen, was er machen soll, Operation oder Strahlen-Chemotherapie? Ich habe mich gewunden, habe versucht, mich um eine Antwort zu drücken. Frank hatte ich doch schon verloren. In dieser Zeit gab es Tage, an denen wollte ich von Ralf nicht nach Erklärungen gefragt werden, ich wollte keinen Rat abgeben und auch nichts entscheiden. Ich suchte nach Ablenkung, aber ich konnte mich nicht entziehen, denn unweigerlich war Ralfs Erkrankung ein Stück weit auch zu meiner geworden. Das konnte ich gar nicht verhindern. Im Empfinden einer diffusen Ungerechtigkeit der Welt meiner Familie gegenüber war ich gedanklich immer wieder damit beschäftigt, dass nun auch noch mein zweiter Bruder seinem Krebsleiden erliegen könnte. Mir fiel es schwer, mich zu konzentrieren. Ich versuchte, meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse zurückzustellen, um Ralf, der alleine lebte, zu unterstützen und fachlich kompetent zur Seite zu stehen. Aber das war nicht einfach.

      In meiner eigenen Sprechstunde in der Uniklinik, bei Menschen, die ich nur von dort und als Patienten kannte, gelang es mir besser, die viel beschworene „gesunde Distanz“ aufrechtzuerhalten. Oft berührte mich das Schicksal einer Patientin oder eines Patienten mehr als bei anderen, sei es aufgrund der Lebensumstände oder einfach wegen der Persönlichkeit selbst. Das ist nicht ungewöhnlich. Aber die Krankheitsverarbeitung kann ich Ihnen als Arzt nicht abnehmen, und daher sollte ich auch nicht so tun, als wäre ich dazu in der Lage. Ich habe immer darauf geachtet, die Probleme einzelner Patienten nicht zu meinen eigenen zu machen. Wie gesagt, das fiel mir manchmal leichter und dann gab es Begegnungen, bei denen ich mich bewusst an die notwendige Distanz erinnern musste.

      Aus Gesprächen weiß ich, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen viel Wert auf diese Distanz gelegt haben, zur eigenen Seelenhygiene und um Ressourcen zu schonen. Aus meiner Sicht hat es etwas mit den eigenen Fähigkeiten zu tun, emotionale Situationen professionell zu gestalten. Einige Menschen sind emotionaler oder offener als andere, die eher kühl wirken. Da gibt es auch bei Medizinern eine große Bandbreite. Ich empfinde eine gewisse Distanz jedoch nicht nur als wichtig für mich, sondern auch für Sie. Distanz ist nicht immer schlecht und Nähe ist nicht immer gut. In Konkurrenz zu Ihren Verwandten oder Freunden zu treten nach dem Motto „Wer hat das größte Herz, wer das beste Verständnis?“ halte ich für keine gute Idee. Mich sehen Sie nur wenige Minuten, auch kenne ich Sie nicht so gut. Ihr Partner oder Ihre Tochter haben viel bessere Möglichkeiten, Sie zu unterstützen.

      In der erwähnten explorativen Studie der Universität Hannover, die auch die Erwartungen der Ärzte in Erfahrung bringen wollte, war dieser Punkt nicht unumstritten. Offenbar gehört es für einige Ärzte zum Selbstverständnis, sich auch persönlich auf die Erkrankung der Patientin oder des Patienten einzulassen. Doch es gibt ebenso gegenteilige Meinungen. Für mich ist es grundsätzlich keine Option, mich persönlich zu involvieren, denn es erschwert mir, Sie kraftvoll in medizinischer und emotionaler Hinsicht zu unterstützen. Die Ablenkung wäre einfach zu groß. Ich bin der Überzeugung, dass Sie dies nicht erwarten sollten. Sie würden dann oft enttäuscht, weil viele Ärzte eine derartige Anteilnahme nicht leisten können oder auch nicht wollen. Bei meinen Brüdern konnte ich mich natürlich nicht raushalten, weder bei dem jüngeren noch bei dem älteren.

      In der Diskussion mit Ralf habe ich sehr mit mir gerungen. Einerseits wollte ich ihn unbedingt unterstützen und ihm bei seiner Entscheidung helfen, andererseits konnte und wollte ich sie ihm nicht abnehmen. Wie schwer es sein kann, eine Entscheidung mit erheblicher Tragweite für das eigene Leben zu fällen, obwohl man Vor- und Nachteile kennt, verstehe ich seitdem besser. Selbst musste ich eine solche Prüfung glücklicherweise noch nicht bestehen. Im Endeffekt habe ich ihm zu keiner der beiden Möglichkeiten direkt geraten, denn auch als Bruder bin ich letztlich eine außenstehende Person, die nicht das letzte Wort haben kann.

      Versuchen Sie, derartig wichtige Weichenstellungen für Ihr eigenes Leben in eigener Verantwortung zu treffen! Das ist leicht gesagt. Aber nicht leicht getan, wenn Ihre Gesundheit davon abhängt. Vertrauen Sie darauf: Ein Richtig oder Falsch im rationalen