Gastroenterologen sieht es noch schlimmer aus. Gastroenterologen untersuchen den Hals meist gar nicht und verfügen über kein Nachweisverfahren für Atemwegsreflux. Sie wissen leider auch fast nichts darüber und manchen Kollegen fällt es schwer, diese Diagnose überhaupt zu akzeptieren. Hinzu kommt, dass Gastroenterologen nach wie vor der Ansicht sind, dass die Diagnostik für ösophagealen Reflux auch bei Patienten mit refluxinduziertem Husten (also Atemwegsreflux) anwendbar ist. Aber die Untersuchung der Speiseröhre auf Atemwegsreflux ist sinnlos.
Um auf die Frage der empirischen Behandlung als Therapieversuch zurückzukommen, so beruht ihr Versagen als diagnostische Maßnahme auch darauf, dass weniger Säure (erhöhter pH-Wert des Refluats) den Atemwegsreflux selbst nicht beendet und dass Anti-Reflux-Medikamente nicht ausreichen, wenn nicht auch entscheidende Lebensstilfaktoren (wie spätes Essen) verändert werden.1, 67
Da bisher noch keine generell verfügbare und zuverlässige Diagnostik vorhanden ist, gilt der kausale Zusammenhang zwischen Atemwegsreflux und chronischem Husten in der medizinischen und wissenschaftlichen Literatur (in der Lungen- und HNO-Heilkunde und Gastroenterologie) bisher als nicht abschließend geklärt.1,72-77 Der einzige Ort, an dem derzeit in den USA spezifische und präzise Atemwegsreflux-Diagnosen durchgeführt werden, ist meines Wissens meine eigene Praxis.
Ehe wir uns näher mit dem Diagnostizieren von chronischem Husten befassen, sei zu erwähnen, dass zwischen Atemwegsreflux, akuten respiratorischen, also Atemwegserkrankungen (ARE), Funktionsstörungen des Vagusnervs und Husten ein enger Zusammenhang besteht.18, 78
Eine virusbedingte Entzündungsreaktion des „Hustennervs“ (Vagus) kann unabhängig von oder in Kombination mit Atemwegsreflux chronischen Husten hervorrufen. Diese Zusammenhänge werden in Kapitel 3: Postvirale Vagusneuropathie genauer untersucht.
Insgesamt versteht das zu sehr in Fachrichtungen aufgeteilte Gesundheitssystem Patienten mit nicht-pulmonalem chronischem Husten nicht ausreichend, und all jene, die für solche Menschen die erste Anlaufstelle sind – Lungenfachärzte, Allergologen, HNO-Spezialisten und Gastroenterologen – sind auf die Diagnose und Behandlung von refluxinduziertem und neurogenem Husten nicht eingestellt. Unabhängig von ihrer Fachrichtung haben die meisten Mediziner nicht die nötige Diagnostik zur Hand, um neurogene Probleme oder Atemwegsreflux zu ermitteln.
KAPITEL 2
Diagnose und Chronischer-Husten-Index
Welche Maßnahme ergreife ich zuerst, wenn ich einen neuen Patienten mit chronischem Husten vor mir habe? Neue Patienten müssen bei mir seit 35 Jahren kurze, einfache Fragebögen ausfüllen. Mein erster derartiger Fragebogen bestimmte den Refluxsymptom-Index (RSI)39 und wurde entwickelt, um Atemwegsreflux (laryngopharyngealen Reflux, LPR) zu erkennen, insbesondere stillen Atemwegsreflux. Der RSI ist ein validiertes Outcomes-Instrument,39 und ich bitte Patienten schon immer darum, ihn bei jedem neuen Termin auszufüllen, weil er ausgezeichnet dazu geeignet ist, die Symptome bei Atemwegsreflux einzustufen. Hierzu ein Beispiel:
Ein 33-jähriger Psychologe sprach wegen Globusgefühlen (als hätte man einen Kloß im Hals), Erstickungsanfällen und chronischem Husten bei mir vor. Sein RSI lag bei 35 (alles über 15 ist auffällig), und bei der Rachenuntersuchung sah ich Hinweise auf starken Reflux. Aufgrund seiner Arbeitszeiten aß dieser Patient normalerweise sehr spät zu Abend. Ich empfahl ihm eine strenge Anti-Reflux-Ernährung (siehe Kapitel 6: Dr. Koufmans Reflux-Trainingslager). Dabei kommt es unter anderem darauf an, vier Stunden vor dem Schlafengehen nichts mehr zu essen und sich auch nicht hinzulegen. Drei Wochen später ging es ihm bestens, und sein RSI war auf 5 gesunken. Von 35 auf 5 in wenigen Wochen – das ist ein sehr guter Therapieerfolg!
Anhand des RSI kann ich die Fortschritte meiner Patienten im Blick behalten und ich überprüfe bei jedem Folgetermin, ob ihr RSI besser, schlechter oder unverändert ist. Seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2002 hat sich der RSI zu einem der weltweit am häufigsten angewandten Symptomindizes bei Atemwegsreflux entwickelt.
Da ich auch viele Patienten mit Stimmstörungen behandele, habe ich einen vergleichbaren Beurteilungsbogen für die Glottisinsuffizienz entwickelt (die Symptomatik entsteht aufgrund eines unzureichenden Verschlusses der Stimmlippen).
Dieser Glottisverschluss-Index (GCI von Glottal Closure Index)55 ist ein sehr sensibler Maßstab für Symptome aufgrund von Stimmbandlähmung oder -parese (eine Schwäche oder teilweise Lähmung), die bei Stimmstörungen häufig auftreten. Bei der Mehrheit der Patienten mit Stimmstörungen und chronischem Husten liegt Reflux mit oder ohne Stimmlippenparese vor.
Ich erinnere mich an einen 66-jährigen Geistlichen mit einer linksseitigen Stimmbandlähmung nach operativer Entfernung eines bösartigen Schilddrüsentumors. Um den Tumor entfernen zu können, hatte man auch den Stimmlippennerv entfernen müssen. Der Patient sprach mit einem kaum hörbaren Flüstern, sein GCI lag bei 20 (alles über 8 ist in diesem Index auffällig). Zusätzlich hatte er Aspirationsprobleme (Nahrung, die in die Luftröhre gelangte). Einige Tage später operierte ich diesen Patienten, um seine Stimme durch eine Repositionierung der Stimmlippen wieder herzustellen.79, 80 Als er eine Woche später zum Fädenziehen wiederkam, war er überglücklich: Er hatte seine alte Stimme zurück, und sein GCI war auf 3 gesunken. Der GCI ist also ein sehr guter Anhaltspunkt für die Bestimmung der Stimmlippenfunktion.
Vor einigen Jahren wurde mir bewusst, dass ich in meiner Praxis eine große Anzahl von Menschen mit chronischem Husten behandele, denen ich durchgängig Fragen vorlege, die refluxinduzierten von neurogenem Husten abgrenzen sollen.1
Wenn jemand beispielsweise heftig hustend aus dem Schlaf schreckt und wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappt, beruht diese Reaktion ausschließlich auf Atemwegsreflux. Das ist kein Asthma (siehe Kapitel 7: Ist das wirklich Asthma?). Auch Husten nach dem Essen, beim Hinlegen oder beim Bücken ist typisch für refluxinduzierten Husten.
Oder husten Sie, wenn Sie einen klimatisierten Raum betreten, beim leisen Lachen oder Sprechen? Das ist typisch für neurogenen Husten. Regelmäßiges Husten über den Tag verteilt oder als Reaktion auf bestimmte Dämpfe und Gerüche wie Parfüm oder Abgase im Verkehr sind charakteristisch für neurogenen Husten.
Denken wir an die 50 Patienten zurück, die an meiner ursprünglichen Studie zu chronischem Husten teilgenommen hatten.1 Bei 14 Prozent lag rein neurogener Husten vor, bei 40 Prozent rein refluxinduzierter Husten und bei 46 Prozent eine Mischform aus beidem.1 (Bitte lesen Sie geduldig weiter, diese Diagnosen werden in den Kapiteln 4 und 5 besprochen.)
Patientinnen und Patienten, die mich wegen chronischem Husten aufsuchen, ist der Begriff „neurogener Husten“ in der Regel nicht bekannt. Und Atemwegsreflux wird als Ursache für Husten meist übersehen. Vielmehr haben die meisten Betroffenen trotz refluxinduziertem Husten von einem Gastroenterologen erfahren, dass sie keinen Reflux haben, weil dieser die Diagnosekriterien für GERD (Gastroösophageale Refluxkrankheit) auf einen Atemwegsreflux angewendet hat. In diesem Buch konzentrieren wir uns auf refluxinduzierten und neurogenen Husten, weil dies die Hauptursachen für nicht-pulmonalen chronischen Husten sind.
Alle meine Patienten mit chronischem Husten füllen drei Fragebögen aus – für den Glottisverschluss-Index (GCI), den Refluxsymptom-Index (RSI) und den Chronischer-Husten-Index (kurz CCI für Chronic Cough Index). Das sollten auch Sie tun. Gehen Sie bitte die folgenden drei Fragebögen durch.
Diese Indizes liefern einen Hinweis auf eine Verdachtsdiagnose. In den nachfolgenden Kapiteln finden Sie weitere Informationen, um dem Dauerhusten auf den Grund zu gehen.
Bitte markieren Sie immer eine Antwort und lassen Sie keine Frage aus. Auch wenn Sie unsicher sind, entscheiden Sie sich bitte für die eher in Frage kommende Option.
Betrachtet man diese drei