der Sachkundigen Meinung gehorchen, zerrüttet haben, lohnt es wohl noch zu leben nach dessen Zerrüttung? Dies ist aber doch der Leib? oder nicht?
Kriton: Ja.
Sokrates: Lohnt es nun wohl zu leben mit einem abgeschwächten und zerrütteten Leibe?
Kriton: Keinesweges.
Sokrates: Allein wenn jenes zerrüttet ist, soll es doch noch lohnen zu leben, was eben durch Unrechthandeln beschädiget wird durch Rechthandeln aber gewinnt? Oder halten wir das etwa für schlechter als den Leib, was es auch sei von dem unsrigen, worauf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sich beziehen?
Kriton: Keinesweges.
(48) Sokrates: Sondern für edler?
Kriton: Bei weitem.
Sokrates: Also keinesweges, o Bester, haben wir das so sehr zu bedenken, was die Leute sagen werden von uns, sondern was der Eine, der sich auf gerechtes und ungerechtes versteht, und die Wahrheit selbst. So daß du schon hierin die Sache nicht richtig einleitest, wenn du vorträgst, wir müßten auf die Meinung der Leute vom Gerechten, Schönen und Guten und dem Gegenteil Bedacht nehmen. Aber doch, könnte wohl jemand sagen, haben die Leute es ja in ihrer Gewalt uns zu töten.
Kriton: Offenbar freilich auch dieses; und so könnte es leicht Jemand sagen, o Sokrates.
Sokrates: Ganz wahr. Allein, du Wunderlicher, nicht nur dieser Satz selbst, den wir durchgenommen, erscheint mir wenigstens noch immer eben so wie vorher, sondern betrachte nun auch diesen, ob er uns noch fest steht oder nicht, daß man nämlich nicht das Leben am höchsten achten muß, sondern das gut leben.
Kriton: Freilich besteht der.
Sokrates: Und daß das gute mit dem gerecht und sittlich leben einerlei ist, besteht der oder besteht er nicht?
Kriton: Er besteht.
Sokrates: Also von dem Eingestandenen aus müssen wir dieses erwägen, ob es gerecht ist daß ich versuche von hier fortzugehen ohne daß die Athener mich fortlassen, oder nicht gerecht. Und wenn es sich als gerecht zeigt, wollen wir es versuchen : wo nicht, es unterlassen. Die du aber vorbringst, o Kriton, die Überlegungen wegen Verlust des Geldes und des Rufs und Erziehung der Kinder daß das nur nicht recht eigentlich Betrachtungen dieser Leute sind, die leichtsinnig töten und eben so hernach gern wieder lebendig machten wenn sie könnten, alles ohne Vernunft; und daß nur nicht im Gegenteil für uns, da ja unsere Rede es so festsetzt, gar nichts anderes zu überlegen ist, als wie wir eben sagten, ob wir gerecht handeln werden, wenn wir denen, welche mich von hier fortbringen wollen, Geld zahlen und Dank dazu, und wenn wir selbst, ihr mich fortbringt, und ich mich fortbringen lasse, oder ob wir nicht in Wahrheit unrecht handeln werden indem wir dies alles tun! Und wenn sich zeigt, wir können dies nur ungerechterweise ausführen, daß wir dann nur nicht jenes, ob wir sterben müssen, wenn ich hier bleibe und mich ruhig verhalte, oder was sonst erleiden, gar nicht in Anschlag bringen dürfen gegen das Unrecht handeln.
Kriton: Schön dünkt mich das gesagt, Sokrates. Sieh aber, was wir tun wollen.
Sokrates: Gemeinschaftlich, du Guter, wollen wir das überlegen; und hast du etwas einzureden, wenn ich rede, so rede ein, und ich will dir folgen. Wo aber nicht, so höre auf mir immer dieselbe Rede zu wiederholen, ich solle wider der Athener Willen von hier fortgehn. Denn es ist mir ja wohl viel wert wenn du mich überredest dieses zu tun, nur nicht wider meinen Willen. (49) Betrachte also den Anfang der Untersuchung ob er dir genützt, und suche das Gefragte zu beantworten nach deiner besten Meinung.
Kriton: Das will ich versuchen.
Sokrates: Sagen wir, man müsse auf gar keine Weise vorsätzlich unrecht tun? oder auf einige zwar nur auf andere nicht? oder ist auf keine Weise das Unrechthandeln weder gut noch schön, wie wir oft ehedem übereingekommen sind, und auch jetzt eben gesagt worden? oder sind uns alle jene Behauptungen von ehedem seit diesen wenigen Tagen verschüttet? Und so lange, o Kriton, haben wir, so bejahrte Männer, nicht gemerkt, daß wir im ernsthaftesten Gespräch mit einander, doch nichts besser waren als die Kinder? Oder verhält es sich ja auf alle Weise so, wie wir damals sagten, die Leute mögen es nun annehmen oder nicht, und es mag uns nun deshalb noch härter ergehen als itzt, oder auch besser, das Unrechttun ist doch dem der es tut schädlich und schändlich auf alle Weise? Wollen wir dies sagen oder nicht?
Kriton: Das wollen wir.
Sokrates: Auf keine Weise also soll man unrecht tun?
Kriton: Nein freilich.
Sokrates: Also auch nicht der, dem unrecht geschehen ist, darf wieder unrecht tun, wie die meisten glauben, wenn man doch auf keine Weise unrecht tun darf?
Kriton: Es scheint nicht.
Sokrates: Und wie doch? darf man mißhandeln, oder nicht?
Kriton: Man darf es wohl nicht, Sokrates.
Sokrates: Aber wie, wieder mißhandeln, nachdem man schlecht behandelt worden, ist das wie die meisten sagen, gerecht oder nicht?
Kriton: Auf keine Weise.
Sokrates: Denn Jemanden schlecht behandeln ist nicht unterschieden vom unrecht tun.
Kriton: Wahr gesprochen.
Sokrates: Also weder wiederbeleidigen darf man, noch irgend einen Menschen mißhandeln, und wenn man auch was es immer sei von ihm erleidet. Und siehe wohl zu, Kriton, wenn du dies eingestehest, daß du es nicht gegen deine Meinung eingestehest. Denn ich weiß wohl, daß nur Wenige dieses glauben und glauben werden. Welche also dies annehmen, und welche nicht, für die gibt es keine gemeinschaftliche Beratschlagung; sondern sie müssen notwendig einander gering achten, wenn Einer des Andern Entschließungen sieht. Überlege also auch du recht wohl, ob du Gemeinschaft mit mir machst, und dies auch annimmst, und wir hievon unsere Beratung anfangen wollen, daß niemals weder beleidigen noch wiederbeleidigen recht ist, noch auch wenn einem übles geschieht sich dadurch helfen, daß man wieder übles zufügt; oder ob du abstehst und du keinen Teil haben willst an diesem Anfang. Ich meines Teils habe schon immer dieses angenommen und auch jetzt noch. Du aber, nimmst du irgend etwas anderes an, so sprich und trage es vor; bleibst du aber bei dem ehemaligen, so höre nun das Weitere.
Kriton: Allerdings bleibe ich dabei, und nehme es mit dir an. Also sage.
Sokrates: Ich sage also hierauf weiter, oder vielmehr ich frage, ob, was Jemand Jemanden billiges versprochen hat, er auch leisten müsse, oder ob er betrügen dürfe?
Kriton: Leisten muß er es.
Sokrates: Von hier aus nun schaue um. Wenn wir ohne die Stadt zu überreden von hier weggehn, ob wir dann Jemanden (50) schlecht behandeln, und zwar die, welchen es am wenigsten geschehen sollte, oder ob nicht? und ob wir an dem halten, was wir billiges versprochen haben, oder ob nicht?
Kriton: Darauf weiß ich nicht zu antworten, Sokrates, was du fragest: denn ich verstehe es nicht.
Sokrates: Erwäge es denn so. Wenn indem wir von hier davon laufen wollten, oder wie man dies sonst nennen soll, die Gesetze kämen und das gemeine Wesen dieser Stadt, und uns in den Weg tretend fragten: Sage nur, Sokrates, was hast du im Sinne zu tun? Ist es nicht so, daß du durch diese Tat welche du unternimmst, uns den Gesetzen und also dem ganzen Staat den Untergang zu bereiten gedenkst, soviel an dir ist? Oder dünkt es dich möglich, daß jener Staat noch bestehe und nicht in gänzliche Zerrüttung gerate, in welchem die abgetanen Rechtssachen keine Kraft haben, sondern von Einzelmännern können ungültig gemacht und umgestoßen werden? Was sollen wir hierauf und auf mehr dergleichen sagen, Kriton? Denn noch gar vieles könnte einer, und