Sinclair Lewis

Sinclair Lewis: Die großen Romane


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Ludelmeyer einkaufen würdest und nicht bei Howland & Gould, die jetzt immer zu Doktor Gould gehen, mit allen, die zu ihnen gehören. Ich seh' nicht ein, warum ich denen mein gutes Geld für Lebensmittel bezahlen soll, damit sie's an Terry Gould weitergeben!«

      »Ich bin zu Howland & Gould gegangen, weil es bei ihnen besser und auch sauberer ist.«

      »Ich weiß. Ich mein' ja nicht, daß du überhaupt nicht mehr zu ihnen gehen sollst. Natürlich ist Jenson ein durchtriebenes Luder – er wiegt schlecht – und Ludelmeyer ist so hilflos wie ein dummes Schwein. Aber trotzdem, ich meine, lassen wir das Geld bei unseren Leuten, solang es geht, verstehst du, wie ich's meine?«

      »Ich verstehe.«

      »Na, 's wird wohl Zeit zum Schlafengehen sein.«

      Er gähnte, ging hinaus, um einen Blick auf das Thermometer zu werfen, schlug die Tür zu, streichelte ihr den Kopf, knöpfte sich die Weste auf, gähnte, zog die Uhr auf, ging hinunter, um die Heizung nachzusehen, gähnte wieder und ging polternd hinauf ins Schlafzimmer, sich am dicken wollenen Unterhemd kratzend.

      Bis er hinunterbrüllte: »Kommst du überhaupt noch schlafen?« blieb sie unbeweglich sitzen.

      Achtes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      1

      Sie war in die Wiese getrippelt, um den Lämmern einen hübschen Tanz beizubringen, und hatte gefunden, daß die Lämmer Wölfe waren. Sie war bedrückt und sah keinen Ausweg. Sie war von Klauen und boshaften Augen umgeben.

      Sie konnte den versteckten Hohn nicht länger ertragen. Sie wollte fliehen. Sie wollte sich in der Gleichgültigkeit einer großen Stadt verstecken. Sie übte sich, Kennicott zu sagen: »Ich denke, ich werde auf ein paar Tage nach St. Paul fahren.« Aber sie konnte sich nicht zutrauen, es gleichgültig zu sagen; sie hätte seinen Fragen nicht standhalten können.

      Die Stadt reformieren? Alles, was sie wollte, war: geduldet werden!

      Sie konnte die Leute nicht offen ansehen. Sie wurde rot und zuckte zusammen vor Bürgern, die ihr noch vor einer Woche amüsante Studienobjekte gewesen waren, und in den ihr zugerufenen Grüßen glaubte sie grausamen Hohn zu hören.

      Sie traf Juanita Haydock in Ole Jensons Lebensmittelgeschäft. Sie rief beschwörend: »Oh, guten Tag! Himmel, was ist das für herrlicher Sellerie!«

      »Ja, sieht frisch aus, nicht. Harry muß ganz einfach am Sonntag seinen Sellerie haben. Der Teufel soll den Mann holen!«

      Carola eilte aus dem Laden und jubelte: »Sie hat sich nicht lustig über mich gemacht … oder doch?

      Nach einer Woche hatte sie sich von ihrem Gefühl der Unsicherheit, der Schande und bekrittelten Popularität erholt, doch sie behielt ihre Gewohnheit, den Leuten aus dem Weg zu gehen, bei. Über die Straßen bewegte sie sich mit gesenktem Kopf. Wenn sie Frau McGanum oder Frau Dyer vor sich erblickte, ging sie auf die andere Straßenseite und tat angestrengt, als ob sie einen Anschlag studierte. Immer spielte sie Theater, für jeden, den sie sah – und für die auf der Lauer liegenden scheelen Augen, die sie nicht sah.

      Außer Dave Dyer, Sam Clark und Raymie Wutherspoon gab es keinen Geschäftsmann, bei dessen Gruß sich Carola sicher fühlte. Sie wußte, daß sie selbst den Hohn in die Grüße der anderen hineinlegte, aber sie konnte ihren Verdacht nicht loswerden, konnte sich aus ihrem psychischen Zusammenbruch nicht herausarbeiten. Abwechselnd tobte und erschrak sie vor dem Stolz der Kaufleute. Diese wußten nicht, daß sie grob waren, sie wollten nur zu verstehen geben, daß sie wohlhabend waren und »vor keiner Doktorsfrau Angst hatten«. Sie sagten oft: »Ein Mann ist soviel wert wie der andere – und noch zehnmal mehr.« Diese Devise rühmten sie aber nicht Farmern gegenüber, die schlechte Ernten gehabt hatten. Die Yankee-Kaufleute waren mürrisch; und Ole Jenson, Ludelmeyer und Gus Dahl aus dem »Alten Land« wollten für Yankees gehalten werden. James Madison Howland, in New Hampshire, und Ole Jenson, in Schweden geboren, bewiesen beide, daß sie freie amerikanische Bürger waren, indem sie knurrten: »Ich weiß nicht, ob noch was da ist oder nicht«, oder »Also, es kann gar keine Rede davon sein, daß ich's schon zu Mittag da hab'.«

      Für die Kunden gehörte es sich, die Antwort nicht schuldig zu bleiben. Juanita Haydock schnatterte lustig:

      »Sie haben's um zwölf da, oder ich reiß' dem frechen Botenjungen die Haare aus.« Doch Carola hatte nie die Fähigkeit besessen, das Spiel freundlicher Grobheit zu spielen, und jetzt war sie sicher, daß sie es nie lernen würde. Sie gewöhnte sich aus Feigheit daran, zu Axel Egge zu gehen.

      Axel war nicht respektabel und grob. Er war noch immer ein Fremder und war auch darauf gefaßt, es zu bleiben. Er hatte ein schwerfälliges Benehmen und fragte nicht viel. In keinem kleinen Dorfladen könnte es phantastischer aussehen als in seinem Geschäft. Niemand außer Axel selbst konnte etwas finden. Ein Teil seines Kinderstrumpflagers lag auf einem Regal unter einer Decke, ein Teil in einer Gewürzkuchenbüchse aus Zinnblech, der Rest häufte sich wie ein Nest schwarzer Baumwollschlangen auf einer Mehltonne, die von Besen, von norwegischen Bibeln, getrocknetem Kabeljau für »Ludfisk«, Kisten mit Aprikosen und eineinhalb Paaren Holzfällerstiefeln mit Gummisohlen umgeben war. Das Geschäftslokal war voller skandinavischer Bauernfrauen, die in Tüchern und alten braunen Jacken mit Schinkenärmeln müßig herumstanden und auf die Rückkehr ihrer Männer warteten. Sie sprachen norwegisch oder schwedisch und blickten Carola verständnislos an. Sie waren eine Erleichterung für sie – sie flüsterten sich nicht zu, sie posiere.

      Aber sie redete sich ein, Axel Egge sei »so pittoresk und romantisch«.

      Wenn sie den Mut hatte, in ihrem neuen karierten Kleid mit dem schwarz gestickten gelben Kragen einkaufen zu gehen, war es so gut, als hätte sie ganz Gopher Prairie (das für nichts so viel Interesse hatte wie für neue Kleider und deren Preis) eingeladen, sie zu mustern. Es war ein elegantes Kleid mit einem Schnitt, den die zipfenden gelben und rosa Röcke des Ortes nicht kannten. Der Blick, der aus der Veranda der Witwe Bogart kam, besagte: »Na, so was hab' ich noch nie in meinem Leben gesehen!« Frau McGanum hielt Carola am Kramladen an, um zu bemerken: »Je, ist das ein hübsches Kleid – war es nicht schrecklich teuer?« Die Bande von Jungen vor der Drogerie gab das Kommentar: »Du, Pudgie, spiel' mal 'ne Partie Schach auf dem Kleid.« Carola konnte es nicht ertragen, sie zog ihren Pelzmantel über dem Kleid zusammen und knöpfte ihn hastig zu, während die Jungen kicherten.

      2

      Keine Gruppe ärgerte sie so sehr wie diese jungen Roués.

      Sie sah sie in dem übelriechenden Zimmer hinter Del Snafflins Friseurladen Billard spielen, im »Rauchhaus« würfeln und, in einen kichernden Haufen zusammengeballt, den »saftigen Geschichten« Bert Tybees, des Mixers aus dem Minniemashie-Hotel, zuhören. Sie hörte sie bei jeder Liebesszene im Filmpalast Rosenknospe mit feuchten Lippen schmatzen. In der griechischen Konditorei verschlangen sie ein fürchterliches Durcheinander von nicht mehr ganz guten Bananen, sauren Kirschen, Schlagsahne und breiigem Gefrorenen und schrien einander dabei zu: »Geh weg, laß mich in Frieden«, »Hör auf, du Schweinskerl, schau, was du gemacht hast, du hast fast mein Glas Wasser ausgeschüttet«. »Einen Dreck hab' ich«, »Du, gib acht, ja, steck nicht deinen Sargnagel in mein Gefrorenes«, und »Ach, du, Batty, wie war's gestern beim Tanzen mit Tillie McGyer? Feste geknutscht, was?«

      Jetzt war ihr bekannt, daß diese Lausbuben alles von ihr wußten; daß sie auf irgendeine Affektiertheit warteten, über die sie in wieherndes Gelächter ausbrechen konnten. Kein Schulmädchen ging an ihrem Beobachtungsposten mit röteren Wangen vorüber als Frau Dr. Kennicott. Voll Scham wußte sie, daß die Burschen bewundernde Blicke nach ihren schneeigen Überschuhen warfen und Betrachtungen über ihre Beine anstellten. Sie hatten keine jungen Augen, es gab überhaupt keine Jugend in der ganzen Stadt. Sie waren alt, böse und alt und lauernd und tadelsüchtig auf die Welt gekommen.

      Als sie