rot! Oder vielleicht hat sie auch irgendwer vor der Kirche geküßt!«
»O nein –«
Sie sah bekümmert, fast erschrocken aus.
»Ho, brr!« riet er sich. »Du bist aufs falsche Gleis gekommen. Herr Gott, ich glaub' doch nicht, daß sie so 'ne Flausentrude ist, wie ich dachte. Sie ist wirklich ziemlich unschuldig. Armes Ding, 'ne Schande, sie so aufzuregen. Ach, verdammt noch einmal, wird ihr auch nichts schaden, wenn ihr mal bißchen gebildet der Hof gemacht wird!«
Hastig entfernte er den möglichen Flecken auf seinem Klerikerruf:
»Ach, ich hab' ja nur Spaß gemacht. Ich hab' gemeint – 's wär' eine Schande, wenn so ein hübsches Mädel wie Sie nicht verlobt sein sollte. Sie sind natürlich verlobt, was?«
»Nein. Ich hab' einen Burschen hier schrecklich gern gehabt, aber der ist nach Cleveland auf Arbeit gegangen, und ich glaub', er hat mich so ziemlich vergessen.«
»Oh, das ist aber wirklich zu schlimm!«
Nichts konnte stärker, zuverlässiger, tröstlicher sein als der Druck seiner Finger auf ihrem Arm. Sie sah ihn dankbar an; und als sie in das Krankenzimmer kam und Bruder Gantry beten hörte, lang, glühend und mit den auserlesensten Worten über den Tod, der weder wirklich wichtig wäre noch wirklich weh täte (die alte Frau hatte Krebs), da sah Lulu auch verehrungsvoll aus.
Auf dem Rückweg machte er die endgültige Probe:
»Aber auch wenn Sie nicht verlobt sind, Schwester Lulu, so gibt's hier doch sicher eine Menge junge Burschen, die ganz verrückt nach Ihnen sind.«
»Nein, es sind wirklich keine da. Ach, ich geh' bißchen mit einem Vetter zweiten Grads von mir – Floyd Naylor – aber, ach je! der ist so langsam, er ist gar nicht flott.«
Der Rev. Mr. Gantry hatte vor, Flottheit zu liefern.
4
Elmer und Frank waren am Samstag nachmittag hinausgefahren, um die Kirche für den Danksagungsgottesdienst zu schmücken. Um sich die Reise nach Babylon und wieder zurück zu ersparen, sollten sie die Nacht zum Sonntag im großen Farmhaus des Diakons Bains zubringen, und Lulu Bains und ihre ledige Cousine, Miß Baldwin, halfen beim Dekorieren – mit anderen Worten, sie dekorierten. Sie verkleideten den hinteren Teil des Raums mit Föhrenzweigen und arrangierten vor der Kanzel ein Erntemahl aus Kürbissen, gelbem Mais und sammetweichem Sumach.
Während Frank und die ledige Cousine der Bains' den künstlerischen Wert der Kürbisse diskutierten, meinte Elmer zu Lulu:
»Ich brauch' Ihren Rat, Lulu – Schwester Lulu. Glauben Sie nicht, daß es heilsam wäre, wenn ich in meiner Predigt morgen erklärte –«
(Sie standen Seite an Seite. Wie süß waren ihre kleinen Schultern, ihre weichen Miezekätzchenbäckchen! Er mußte sie küssen! Er mußte! Er neigte sich zu ihr. Der Teufel sollte Frank und dieses Baldwinweib holen! Warum scherten sie sich nicht hinaus?)
»– erklärte, daß alle diese Erntegüter, so wertvoll sie auch an sich und so notwendig fürs Essen sie sind – für die Festtafel, doch nur Symbole und Hinweise auf – Setzen Sie sich, Lulu; Sie sehen bißchen müd' aus. – auf die tieferen, geistlichen Segnungen sind, mit denen er uns gleichfalls überschüttet, und nicht nur zur Erntezeit, und das ist ein sehr wichtiger Punkt –«
(Ihre Hand streifte im Herabfallen sein Knie; lag ganz weiß, auf dem braungrauen Holz des Kirchenstuhls. Ihre Brüste waren jung und unverbraucht unter ihrer karierten Bluse. Er mußte ihre Hand anfassen. Seine Finger krochen auf sie zu, berührten sie zufällig, ganz sicher zufällig, während sie fromme Ergebenheit ausstrahlte und er Erhabenheit intonierte.)
»– ein sehr wichtiger Punkt, unbestreitbar; das ganze Jahr empfangen wir diese größeren seelischen Segnungen, und mehr für diese als für irgendwelche materiellen – äh, materiellen Gewinste sollten wir unsere Stimmen beim Danksagungsgottesdienst erheben. Glauben Sie nicht, daß es für uns alle von Wert sein könnte, wenn ich das vorbringen würde?«
»O ja! Ich glaub' wirklich! Ich find', das ist ein herrlicher Gedanke!«
(Es juckte ihn in den Armen. Er mußte sie um sie legen.)
Frank und Miß Baldwin hatten sich niedergesetzt und waren in einer unerträglich langen Debatte begriffen, darüber, was man mit dem schrecklichen kleinen Cutler-Jungen anfangen sollte, der gesagt hatte, er glaube nicht, daß die Raben Elias überhaupt Brot und Fleisch gebracht hätten, wenigstens nicht, wenn er etwas von diesen alten Krähen verstünde! Frank erklärte, daß er nicht wünsche, ehrlichen Zweifel zu tadeln; aber wenn dieser Junge sich hinstellte und ein regelrechtes Geschäft daraus machte, übermütig zu sein, und alberne Fragen zu stellen –
»Lulu!« sagte Elmer drängend. »Kommen Sie auf einen Augenblick mit mir in den anderen Raum nach hinten. Ich muß Sie wegen der Kirchenarbeit was fragen und will nicht, daß die's hören.«
Es gab zwei Räume in der Schönheimer Kirche: den Andachtsraum und eine große Kammer zur Aufbewahrung der Gesangbücher, Wischlappen, Besen, Klappstühle und Abendmahlskelche, die ihr Licht durch ein verstaubtes Fenster bekam.
»Schwester Bains und ich gehen die Tabellen mit den Sonntagsschulaufgaben durchsehen«, rief Elmer laut und schallend.
Daß sie es nicht ableugnete, band sie im geheimen aneinander. Er saß auf einem umgekehrten Eimer; sie hockte auf einer Stehleiter. Es war schön, in ihrer Gegenwart klein zu sein und zu ihr aufzusehen.
Was das »was wegen der Kirchenarbeit« war, worüber er sie befragen sollte, davon hatte er keine Ahnung, aber Elmer war ein sehr schlagfertiger Redner in Anwesenheit junger Frauen. Er schoß los:
»Ich brauch' Ihren Rat. Ich hab' noch nie jemand gesehen, in dem gewöhnlicher Menschenverstand und seelische Werte so vereint wären wie in Ihnen.«
»Oh, nein, Sie schmeicheln mir ja nur, Bruder Gantry!«
»Nein, das tu' ich nicht. Wirklich nicht! Sie wissen sich selber nicht zu würdigen. Das kommt daher, daß Sie immer in dem kleinen Flecken da gelebt haben, aber wenn Sie in Chicago wären oder irgendeiner anderen großen Stadt, dann würde man schon zu schätzen wissen, glauben Sie mir, was an Ihrer, äh, an Ihrem wunderbaren Sinn für seelische Werte und so weiter ist.«
»Oh – Chicago! Herrje! Ich würde ja Todesängste ausstehen!«
»Na, ich werd' Sie einmal dorthin mitnehmen und Ihnen die Stadt zeigen müssen! Ich glaub', dann würden die Leute über ihren schlimmen alten Prediger aber zu reden anfangen!«
Sie lachten beide von Herzen.
»Aber ernsthaft, Lulu, was ich wissen möcht' – äh – Oh! Was ich Sie fragen wollte: Meinen Sie, ich sollte rauskommen und Mittwoch-Gebetsmeetings abhalten?«
»Ach, ich glaub', das wär' schrecklich nett.«
»Aber, sehen Sie, ich muß auf der alten Draisine herauskommen.«
»Das ist wahr.«
»Und Sie können keine Ahnung haben, wie angestrengt ich jeden Abend im Seminar studieren muß.«
»O ja, das kann ich mir vorstellen!«
Sie seufzten beide in Mitgefühl, er legte seine Hand auf die ihren, dann seufzten sie wieder, und er entfernte seine Hand fast spröde.
»Aber natürlich möcht' ich mich in keiner Weise schonen. Es ist das Vorrecht des Pastors, sich für seine Gemeinde zu opfern.«
»Ja, das ist wahr.«
»Aber andererseits, bei den Straßen, wie sie hier sind, besonders im Winter und überhaupt, und wo die meisten von der Gemeinde weit draußen auf Farmen leben und überhaupt – da ist es schwer für sie, hereinzukommen, was?«
»Das ist wahr. Die Straßen werden schlecht. Ja, ich glaub', Sie haben recht, Bruder Gantry.