Sie sind doch der Geistliche, und ich bin ganz einfach niemand.«
»Oh, doch, Sie sind schon wer!«
»O nein, ich bin niemand.«
Sie lachten recht herzlich.
»Hören Sie, Lulu, Kindchen. Denken Sie dran, daß ich noch immer 'n Junge bin – genau fünfundzwanzig in diesem Monat – nur so fünf oder sechs Jahre älter als Sie. Jetzt versuchen Sie, mir Elmer zu sagen, und probieren Sie, wie's klingt.«
»Oh, je! Das würd' ich mich nicht trauen!«
»Also, versuchen Sie's!«
»Ach, ich könnte nicht! Sich das nur vorzustellen!«
»Angsthase!«
»Das bin ich nicht.«
»Jawohl sind Sie's!«
»Nein, ich bin's nicht!«
»Ich will's haben!«
»Na – Elmer, also! So, jetzt!«
Sie lachten vertraulich, und in dieser ungestümen Fröhlichkeit ergriff er ihre Hand, preßte sie und rieb sie an seinem Arm. Er ließ sie nicht los, aber es war nichts anderes als ein sehr, sehr freundschaftlicher und kaum intensiver Druck, mit dem er sie festhielt, während er säuselte:
»Sie haben wirklich keine Angst vor dem armen alten Elmer?«
»Ja, doch, ein ganz klein wenig!«
»Ja, warum denn?«
»Ach, Sie sind so groß und stark und würdig, als ob Sie viel, viel älter wären, und dann haben Sie so eine dröhnende Stimme – ach, ich hör' sie ja gern, aber ich krieg' immer Angst dabei – ich glaub' immer, Sie müssen auf mich losfahren und sagen, ›Sie schlimmes kleines Mädel‹, und daß ich dann beichten muß. Ja! Und dann sind Sie auch noch so schrecklich gebildet, Sie wissen solche lange Wörter, und Sie können alle die Sachen mit der Bibel erklären, die ich nie begreifen kann. Und außerdem sind Sie natürlich ein richtiger geweihter Baptistengeistlicher.«
»Mm, äh – aber verhindert mich das, außerdem noch ein Mann zu sein?«
»Ja, das tut's! Bißchen!«
Dann war nichts Spielerisches mehr, sondern ein finsteres Drängen in seiner Stimme:
»Dann können Sie sich also nicht vorstellen, daß ich Sie küss'? … Schauen Sie mich an! … Schauen Sie mich an, sag' ich Ihnen! … So! … Nein, schauen Sie nicht wieder weg. Nanu, Sie werden ja rot! Sie liebes, armes, herziges Ding! Sie können sich vorstellen, daß ich Sie küss' –«
»Ich sollt' aber nicht!«
»Schämen?«
»Ja!«
»Hören Sie, Liebe. Sie halten mich für so schrecklich erwachsen, und natürlich muß ich auch auf alle Leute Eindruck machen, wenn ich auf der Kanzel steh', aber Sie können das ja durchschauen und – ich bin wirklich nur ein großes schüchternes Kind und hab' Ihre Hilfe so notwendig. Wissen sie, Liebe, Sie erinnern mich an meine Mutter –«
5
Frank Shallard redete im Schlafzimmer auf Elmer ein, während sie sich vor dem Abendessen wuschen – sie waren das erstemal allein, seitdem Lulu und Miß Baldwin sie zur Bains-Farm gefahren hatten, wo sie die Nacht vor dem Danksagegottesdienst schlafen sollten.
»Hören Sie, Gantry – Elmer. Ich glaub', es hat nicht gut ausgesehen, wie Sie Miß Bains in der Kirche ins Hinterzimmer genommen und dort behalten haben – es muß eine halbe Stunde gewesen sein – und wie ich hineingekommen bin, seid Ihr beide aufgesprungen und habt schuldbewußt ausgesehen.«
»Huhu, unser kleiner Freund Franky ist also richtig ein altes Weib, das sich in alles hineinmischt!«
Der Raum, in dem sie die Nacht verbringen sollten, war eine große dämmerige Höhle unter dem Dach. Der Krug auf dem schwarzen Nußbaumwaschtisch war goldgetüpfelt und überreichlich mit den unmöglichsten Knöspchen geschmückt. Elmer stand da und glotzte, seine kräftigen Unterarme waren nackt und trieften, er spritzte seine Finger über dem Teppich aus, bevor er nach dem Handtuch griff.
»Ich bin kein Mensch, der sich in alles hineinmischt, das wissen Sie, Gantry. Aber Sie sind der Priester hier, und es ist Ihre Pflicht, wegen der Wirkung auf die anderen, auch den Anschein des Bösen zu vermeiden.«
»Schlimm für den, der Schlimmes denkt. Vielleicht haben Sie das auch schon mal gehört!«
»O ja, Elmer, ich glaube, ich werd's wohl schon gehört haben!«
»Ein argwöhnischer, schmutzig denkender Puritaner, das sind Sie, wenn Sie Böses sehen, wo nicht einmal daran gedacht worden ist.«
»Die Leute hassen die Puritaner nicht, weil ihr Argwohn ungerechtfertigt ist, sondern weil ihr Argwohn nur zu verdammt berechtigt ist. Hören Sie jetzt, Elmer. Ich will nicht unangenehm sein –«
»Das sind Sie aber!«
»– aber Miß Bains – sie sieht ja bißchen knutschig und kokett aus, aber ich bin felsenfest davon überzeugt, daß sie so anständig ist wie nur möglich, und ich hab' nicht vor, daneben zu stehen und zuzuschauen, wie Sie probieren, mit ihr zu, äh, zu liebeln.«
»Na, Sie Obergescheiter, und wenn ich sie heiraten wollte?«
»Wollen Sie?«
»Wenn Sie so gut zu schimpfen wissen, müßten Sie auch das wissen, ohne zu fragen!«
»Wollen Sie?«
»Ich hab' nicht gesagt, daß ich will.«
»Ihre Rhetorik ist zu kompliziert für mich. Ich will annehmen, daß Sie's vorhaben. Das ist schön! Ich werde Diakon Bains von Ihren Absichten verständigen.«
»Den Teufel werden Sie! Jetzt passen Sie mal auf, Shallard! Ich werd' mir nicht gefallen lassen, daß Sie Ihre große Nase in meine Angelegenheiten stecken, und weiter gibt's da nichts, verstanden?«
»Ja, wenn Sie ein Laie wären und ich nicht amtlich mit diesen Leuten zu tun hätte. Ich halt' nicht allzuviel davon, sich hinzustellen und für andere Leute moralisch zu sein. Aber Sie sind der Priester hier – Sie sind ordinierter Geistlicher – und ich bin mit Ihnen verantwortlich für die Wohlfahrt dieser Kirche, und verdammt will ich sein, wenn ich zusehen werd', wie Sie das erste Mädel verführen, das Sie unter Ihre dreckigen Pfoten kriegen – ach, Sie brauchen gar nicht die Fäuste zu ballen. Selbstverständlich könnten Sie mich verprügeln, aber Sie werden nicht. Ganz besonders nicht hier, im Haus des Diakons. Sie würden sich im Dienst zugrunde richten … Du mein lieber Gott, und solche Leute wie Sie lassen wir freundlich in den Baptistendienst! Ich hab' gesagt: Ich hab' nicht vor, mir anzusehen, wie Sie Ihre Verführungsversuche –«
»Also jetzt, bei Gott, wenn Sie glauben, daß ich mir gefallen lassen werd' – ich will Ihnen sagen, gleich jetzt auf der Stelle, Sie sind die ärgste Dreckseele, von der ich in meinem Leben gehört hab'! Wie kommen Sie dazu, zu denken, daß ich auch nur eine einzige Sekunde vorhab', was anderes als bloß freundlich, offen und aufrichtig mit Lulu zu sein – mit Miß Bains – ach, Sie Dummkopf, wie ich dort drin war, hab' ich mir von ihr erzählen lassen, wie sie in einen verliebt war, der dann davongegangen ist, nach Chicago, und sie sitzen gelassen hat, und das war alles, und was für einen Grund haben Sie, zu glauben –«
»Ach, stellen Sie sich doch nicht so dumm an, Gantry! Wenn Sie in meinem Zimmer im Sem sitzen und prahlen, wenn Sie und Zenz damit prahlen, wieviel Geschichten Sie gehabt haben –«
»Also, es ist das letztemal gewesen, daß ich in Ihrem verdammten Zimmer gesessen bin!«
»Ausgezeichnet!«
»Denken Sie sich, was Sie wollen. Und gehen Sie zum Teufel! Und selbstverständlich laufen Sie klatschen, bei Pop Trosper und dem ganzen anderen Lehrkörper!«
»Na,