1
Die Glut Lulus, der Stolz auf die eigene Kirche in Schoenheim, das Vergnügen zusehen zu können, wie Frank Shallard, dieser schwache Mensch, auf der Draisine keuchte, alles das konnte Elmer nicht für die Langeweile entschädigen, unter der er in den Seminarkursen von Montag bis Freitag litt – jene Langeweile, die alle Geistlichen mit Ausnahme einiger jagdliebender Landpfarrer und einiger Leiter von Stiftungskirchen mit Fabrikbetrieb ihr ganzes Leben lang ertragen müssen.
Oft dachte er daran, abzudanken und Geschäftsmann zu werden. Da honigsüße Worte und ein wichtiges Auftreten im Geschäftsleben denselben Wert haben würden wie in der Kirche, widmete er die ehrfürchtigste Aufmerksamkeit der Vorlesung des Mr. Ben T. Bohnsoc, »Professors der Rhetorik und Literatur, Lehrers für Stimmbildung«. Bei ihm hatte Elmer ein immer goldeneres (doch stahlhartes) Kanzelbenehmen gelernt, ferner, coram publico keine Sprachfehler zu machen, und daß Hinweise auf Dickens, Victor Hugo, James Whitcomb Riley, Josh Billings und Michelangelo einer Predigt etwas sehr Elegantes, an Chicago Gemahnendes gäben.
Elmers Beredsamkeit wuchs wie ein Kürbis im August. Er ging in den Wald, um sich zu üben. Einmal kam ein kleiner Junge hinter ihm her und stellte sich in einer Lichtung auf einen Baumstumpf, als er aber mit den Worten »Ich führe Klage über die Greuel Eurer geilen und wollüstigen, äh, Greuel«, begrüßt wurde, entfloh er heulend und wurde nie wieder der sorglose Knabe von früher.
In den Augenblicken, da er überzeugt war, er könnte das leichte, aber stiere Leben des Geistlichen fortführen, achtete Elmer auf die Vorlesungen des Dekans Trosper über praktische Theologie und Homiletik. Dr. Trosper erzählte den strebsamen, frommen Priestern, was zu sagen wäre, wenn man zu Kranken gerufen würde, wie man es vermeiden sollte, von Chorsängerinnen kompromittiert zu werden, wie man sich erbaulicher oder erheiternder Anekdoten entsinnen könnte, indem man sie katalogisierte, wie man Predigten vorzubereiten hätte, wenn man nichts zu sagen wüßte, in was für Büchern die am besten vorgekauten Predigtentwürfe zu finden seien, und, höchst nützlich für alle, wie sich Geld eintreiben ließe.
Eddie Fislingers Kollegheft für praktische Theologie (das Elmer vor Prüfungen auch als Elmers Kollegheft betrachtete) war mit praktischer Theologie folgender Art angefüllt:
Seelsorgerbesuch:
Keine Parteilichkeit.
Dienstmädchen nicht übersehen, freundlich sein.
Unterhaltend sein, gefällige Manieren, Lachen, eventuell eine komische Geschichte, aber keinen Skandal oder Kritik anderer.
Nur 15-30 Minuten bleiben.
Fragen, ob Mitbeten erwünscht, nicht darauf bestehen.
An gute Gelegenheiten bei Krankheit, Kummer, Hochzeit denken.
Scherzend fragen, warum Gatte nicht öfter in der Kirche.
Die Hymnologie-Vorlesung fand Elmer erträglich; die Vorlesungen: Auslegung des Neuen Testaments, Kirchengeschichte, Theologie, Missionswesen und Vergleichende Religionswissenschaft ertrug er stumpfsinnig, verfluchte er hitzig. Wer zum Teufel scherte sich darum, ob Adoniram Judson durch die Lektüre seines Griechischen Neuen Testaments Baptist geworden sei? Wozu der ganze Blödsinn mit der Menge Prophezeiungen in der Offenbarung – er dachte nicht daran, über so neunmalkluge Sachen zu predigen! Und von ihnen zu erwarten, daß sie mit diesem Filioque-Beweis in der Theologie etwas anfangen könnten! Zu dumm!
Die Dozenten für das Neue Testament und für Kirchengeschichte waren Geistliche, die von bewundernden, doch gelangweilten Großstadtgemeinden die Treppe hinaufgeworfen worden waren. Zu beiden hatten höfliche Diakone gesagt: »Wir halten Sie im wesentlichen für einen Gelehrten, Bruder, mehr als für einen Seelsorger. Sie sind überaus gelehrt. Wir sind an der Arbeit, Ihnen die große Ehre zu verschaffen, die Ihnen zukommt – die Berufung auf den Lehrstuhl in einem unserer Baptistenseminare. Sie werden vielleicht ein etwas geringeres Gehalt bekommen, dafür aber um so mehr von den Ehren, die Sie in so hohem Ausmaße verdienen, und viel leichtere Arbeit haben, sozusagen.«
Die dankbaren Weisen hatten angenommen und verbrachten den Rest ihres Lebens damit, daß sie Meinungen aus fünfzehnter Hand lasen, friedliche Schläfchen machten und die gähnenden Studenten mit der blutlosen, weitschweifigen Bücherweisheit anödeten, die sie Wissenschaft nannten.
Doch die schlimmste von Elmers Plagen war die Vorlesung Dr. Bruno Zechlins, Professors für Griechisch, Hebräisch und Exegese des Alten Testaments.
Bruno Zechlin war Bonner Dr.phil. und Edinburgher S.T.D. Er war einer von dem Dutzend ernst zu nehmender Gelehrter, die es an sämtlichen theologischen Instituten Amerikas gibt, und zufällig war er ein völliger Versager. Er las stockend, er schrieb undeutlich, er konnte nicht von Gott reden, als ob er ihn persönlich kenne, und konnte nicht freundlich zu Dummköpfen sein.
Das Mizpah-Seminar gehörte zum rechten Flügel der Baptisten; es repräsentierte, was zwanzig Jahre später als »Fundamentalismus« bekannt werden sollte; und in Mizpah stand Dr. Zechlin unter dem Verdacht der Ketzerei.
Überdies hatte er einen lohfarbenen deutschen Bart und war nicht in Kansas oder Ohio geboren, sondern in einer Stadt, die lächerlicherweise Frankfort hieß.
Elmer verachtete ihn, weil er einen Bart trug, weil er von der hebräischen Syntax begeistert war, weil er keine nützlichen Tips für ehrgeizige, junge Berufspropheten wußte, und weil es ihm anscheinend besondere Freude bereitet hätte, Elmer in Griechisch durchfallen zu lassen.
Doch Frank Shallard liebte Dr. Zechlin, ihn als einzigen von den Mitgliedern des Lehrkörpers.
2
Frank Shallards Vater war ein freundlicher Baptistengeistlicher, gelehrt, gemäßigt liberal, nicht ohne Erfolg; seine Mutter stammte aus einer etwas heruntergekommenen Main-Line-Familie. Er war in Harrisburg geboren und in Pittsburgh aufgewachsen, immer unter dem Schatten der Kirche – in seinem Fall einem freundlichen, heiteren Schatten, obgleich sein Vater sich lange bei Familiengebeten aufhielt und seinen Jungen lehrte, alle weltlichen Unreinheiten zu vermeiden, wozu auch das Tanzen, das Theater und die frivolen Werke Balzacs gehörten.
Es war die Rede davon, Frank an die Brown-Universität oder nach Pennsylvanien zu schicken, aber als er fünfzehn Jahre alt war, erhielt sein Vater einen Ruf an eine große Kirche in Cleveland, und die Lehrer des Oberlin-Colleges in Ohio durften für Frank die Zeugnisse des Christentums, die in Plautus, Homer, dem Rechnen, Basketball und der Geschichte der französischen Revolution zu finden sind, interpretieren und verherrlichen.
Es steckte viel von einem geborenen Dichter in ihm, und, wie es bei Dichtern nicht allzu selten der Fall ist, etwas von forschendem und wissenschaftlichem Geist. Aber sowohl Phantasie wie Verstand waren in einer Frömmigkeit aufgegangen, in der Zweifel nicht nur sündhaft, sondern, viel schlimmer noch, taktlos war. Seine Gaben, die sich Rosen und dem Gesang hätten zuwenden können, fliegenden Fahnen und aufschneiderischer Bravour, oder auch Mitleid mit den hoffnungslosen Arbeitern, waren in Anspruch genommen von der schrecklichen Majestät des jüdischen Jehova, der wärmenden Gnade unseres Herrn, den Erzählungen von seiner Geburt – juwelengeschmückte Könige und das Lagerfeuer der Hirten, der strahlende Stern und das Kindlein in der Krippe; Mythen, schimmernd wie Emailleknospen – und er war bezaubert von den Mysterien der Offenbarung.
Er war nicht nur in Theologie eingehüllt worden, seine ganze Erfahrung stammte aus Büchern, statt aus den Worten arbeitender Menschen. Im College war er ein Einsiedler gewesen, heiter, aber anspruchsvoll, von der Manierlosigkeit und dem rohen Lachen seiner Klassengefährten angewidert.
Sein Denken war nach innen gewendet, von jeder Untersuchung der Menschen als Säugetiere abgekehrt und einem Leid zugeführt worden: daß sündige und leidende Seelen nicht mehr voller Bereitschaft die Sicherheit eines mystischen Prozesses suchten, der als Bekehrung, Reue und Erlösung bekannt war und, wie ihm die edelsten und gelehrtesten Männer seines Bekanntenkreises versicherten, zuversichtlich allem Weh abhelfen sollte. Seine eigene Erfahrung bestätigte das nicht durchaus. Auch nachdem