Sinclair Lewis

Gesammelte Werke


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schwieg.

      »Und wenn, so war's höchstens ein Witz.«

      Geduldig suchte sie zu verstehen, sie saß neben ihm und bat: »Ich weiß nicht, was ich getan hab. Ich weiß es ganz einfach nicht. Bitte, sei doch so gut – ach, bitte, erklär mir's doch und gib mir Gelegenheit, es wieder gutzumachen!«

      »Ach, zum Teufel!« Er sprang auf, den Hut in der Hand, und griff nach seinem Mantel. »Wenn du's nicht begreifst, kann ich nicht meine Zeit auf Erklärungen verschwenden!« Und er war gegangen, erleichtert, aber ganz und gar nicht stolz.

      Doch am Dienstag bewunderte er sich wegen seines Entschlusses.

      Dienstag abend kam ihre Entschuldigung; kein sehr guter Brief, etwas verwirrt, in zweifelhafter Orthographie, und, da sie keine Ahnung hatte, wofür sie sich entschuldigte, nicht sehr lichtvoll.

      Er beantwortete ihn nicht.

      Während seiner Predigt am nächsten Sonntag sah sie zu ihm auf und wartete auf ein Lächeln, aber er achtete darauf, ihrem Blick nicht zu begegnen.

      Während er ausführlich das Verbrechen erklärte, das Nadab und Abihu begangen hatten, indem sie fremdes Feuer in ihre Weihrauchfässer taten, dachte er in Selbstbewunderung: »Armes kleines Ding. Sie tut mir leid. Tut mir wirklich leid.«

      Er sah, daß sie nach dem Gottesdienst an der Tür hinter ihren Eltern herumzögerte, ließ aber seine halbe Gemeinde zurück, ohne ihnen die Hände zu drücken oder ihre Bekenntnisse anzuhören, murmelte Diakon Bains zu: »Tut mir leid, daß ich so schnell weg muß«, und floh zur Eisenbahnstrecke.

      »Wenn du dich so aufführen und mich absichtlich verfolgen willst,« raste er, »werd' ich ein ernstes Wort mit dir zu reden haben, meine schöne junge Dame!«

      Er wartete an diesem zweiten Sonntag auf einen anderen Entschuldigungsbrief. Es kam keiner, aber am Donnerstag, als er in aller Unschuld beim Drogisten Bombery, in der Nähe des Seminars, eine Vanillemilch-Soda trank, als er sich gerade besonders gut, edel und männlich vorkam, mit seinem fertigen Missionsaufsatz und zwei prächtigen Fünfcentzigarren in der Tasche, sah er sie draußen stehen und zu ihm hereinstarren.

      Er erschrak. Sie sah aus, als ob sie nicht ganz bei sich wäre.

      »Wenn sie's ihrem Vater gesagt hat!« stöhnte er.

      Er haßte sie.

      Er stolzierte mutig hinaus, er redete bombastisch von seinem Entzücken, sie hier in der Stadt zu treffen.

      »Nanu, nanu, nanu, Lulu, das ist aber mal 'ne angenehme Überraschung! Und wo ist Papa?«

      »Er ist mit Ma drüben beim Doktor – wegen Mas Ohrenweh. Ich hab' ihnen gesagt, daß ich mich mit Ihnen im Boston Bazar treff'. Elmer!« Ihre Stimme klang wie ein vibrierender gespannter Draht. »Ich muß mit dir reden! Du mußt – geh mit mir die Straße hinunter.«

      Er sah, daß sie versucht hatte, sich die Wangen zu schminken. Das war 1906 im ländlichen Mittelwesten nicht üblich. Sie hatte es schlecht gemacht.

      Es war im Anfang des Frühjahrs. Diese ersten Märztage waren die Tage der zarten Knospen, und Elmer seufzte: wenn sie nicht eine so tyrannische Nörglerin wäre, hätte er romantische Gefühle für sie haben können, während sie auf die Gerichtswiese und das Denkmal des Generals Sherman zuschritten.

      Er hatte ihre Erziehung im Freimut der Rede ebenso vervollkommnet wie ihren Wortschatz; und mit einem nur kleinen Zaudern, einem kurzen Aufblicken zu ihm, einem kleinen Versuch, ihre Finger auf seinen Arm zu legen, bis er sie abschüttelte, kam sie damit heraus:

      »Wir müssen was tun. Weil ich glaube, ich werd' ein Baby bekommen.«

      »Du allmächtiger Gott! Teufel!« sagte der Reverend Elmer Gantry. »Und du hast wohl bei deinen Alten darüber getratscht!«

      »Nein, das hab' ich nicht.« Sie war still und würdevoll – so würdevoll ein beschmutztes graues Kätzchen eben sein konnte.

      »Na, das ist wenigstens noch gut. Na, da werd' ich wohl was unternehmen müssen. Verdammt noch einmal!«

      Er dachte mit rasender Geschwindigkeit. Von den Damen der Freude, die er in der Stadt Monarch kannte, konnte er Informationen bekommen – aber –

      »Du, paß jetzt mal auf!« schnaubte er. »Das ist nicht möglich!« Er sah ihr in die Augen, auf dem Ziegelweg durch die Gerichtswiese, unter den gußeisernen Schwingen der verrosteten Justitia. »Auf was willst du hinaus? Gott ist mein Zeuge, daß ich dir in jeder Weise beistehen will. Aber ich will mich nicht reinlegen lassen, von niemand! Woraus schließt du, daß du schwanger bist?«

      »Bitte, Lieber! Sag' nicht dieses Wort!«

      »Hu! Das ist allerhand! Also, jetzt red' mal. Woraus schließt du das?«

      Sie konnte ihn nicht ansehen; sie sah lediglich zu Boden; und seine tugendhafte Entrüstung stieß auf sie herab, während sie ihre Gründe stammelte. Nun hatte Lulu Bains von niemand viel Physiologie lernen können, und es war klar, daß sie zusammenkratzte, was sie für richtige Symptome hielt. Sie konnte nur immer wieder murmeln, während die Tränen Schmutzrinnen in ihre plumpe Schminke gruben, während ihre gekrümmten Finger an ihrem Kinn zitterten: »Ach, es ist – ich fühl' mich so schlecht – ach, bitte, Lieber, laß mich nicht weiter erklären.«

      Er hatte genug davon. Er griff nach ihrer Schulter, nichts weniger als zärtlich.

      »Lulu, du lügst! Du bist eine schmutzige, verlogene, falsche Seele! Ich hab' schon darüber nachgedacht, was denn eigentlich an dir ist, das mich gestört und davon abgehalten hat, dich zu heiraten. Jetzt weiß ich's! Gott sei Dank, hab' ich's noch zu rechter Zeit herausgefunden. Du lügst!«

      »Ach, Lieber, ich lüg' nicht. Ach, bitte!«

      »Paß mal auf. Ich werd' dich zu einem Doktor bringen. Gleich jetzt. Da werden wir die Wahrheit hören.«

      »Ach, nein, nein, nein! Bitte, nein! Ich kann nicht.«

      »Warum kannst du nicht?«

      »Ach, bitte!«

      »Huhu! Und das ist alles, was du für dich zu sagen hast! Komm mal her! Schau rauf zu mir!«

      Sie mußten weh tun, seine kräftigen Finger, die sich in ihr Fleisch bohrten, er aber fühlte sich dabei als Gerechter, er kam sich vor wie die alttestamentarischen Propheten, die seine Sekte bewunderte. Und er hatte etwas gefunden, worüber er wirklich mit ihr streiten konnte.

      Sie sah nicht zu ihm auf, trotz allem Kneifen. Sie konnte nur hoffnungslos weinen.

      »Du hast also gelogen?«

      »Ach, ja! Ach, Liebster, wie kannst du mir so weh tun?« Er lockerte seinen Griff und schaute höflich drein. »Ach, ich meine nicht, daß du mir an der Schulter weh tust. Das macht nichts. Ich meine, daß du mir weh tust! So kalt zu mir! Und ich dachte, wenn wir verheiratet sein würden, könnte es vielleicht – ich würde alles tun, um dich glücklich zu machen. Ich würde überallhin mit dir gehen. Es würde mir nichts ausmachen, auch wenn wir ein ganz, ganz kleines, winzig kleines Haus hätten –«

      »Und du – du – erwartest, daß ein Diener des Evangeliums überhaupt ein Haus mit einer Lügnerin teilen kann! Ach, du Schlange, die – ach, zum Teufel, ich will nicht wie ein Prediger reden. Ich bild' mir nicht ein, daß ich immer recht getan hab', kann schon sein. Obwohl ich bemerkt hab', daß es dir ganz ordentlich Spaß gemacht hat, rauszuschlüpfen und dich mit mir zu treffen! Aber wenn eine Frau, eine Christin, wohlüberlegt lügt und einen Mann in seinen heiligsten Empfindungen zu täuschen versucht – das ist zu viel, ganz egal, was ich auch getan hab'! Daß du's nicht noch einmal wagst, mit mir zu reden! Und wenn du deinem Vater davon erzählst und mich zur Heirat zwingst, dann – dann – dann bring ich mich um!«

      »Oh, das werd' ich nicht tun! Wirklich, ich werd's nicht tun!«

      »Ich werde meine eigene Schuld unter bitteren Tränen bereuen, und was dich angeht,