dort und erstand einen bescheidenen zweireihigen braunen Anzug und drei prächtige, aber einfache Krawatten. Er hetzte Mr. Goldfarb und erreichte, daß die Änderungen um halb zehn fertig waren, um zehn Uhr schlich er großartig vor dem Erweckungszelt herum … An diesem Tag hätte er in die nächste Stadt weiterfahren sollen.
Sharon erschien erst um elf Uhr, um ihren Mitarbeiterinnen einen Vortrag zu halten; mittlerweile jedoch stürzte Elmer sich in eine Bekanntschaft mit Art Nichols, einem hageren Yankee, der früher Barbier gewesen war und jetzt in dem drei Mann starken Orchester, das Sharon mit sich führte, Piston und Waldhorn blies.
»Ja, es ist ja ein ganz gutes Geschäft«, sagte Nichols langsam. »Besser als Barbieren und besser als die Jahrmarktsgeschichten – oh, ich bin ein richtiger Komödiant; hab' in Buden gespielt – das hier ist leichter. Keine Straßenumzüge, und außerdem tun wir wohl ziemlich viel Gutes, Seelen retten und so weiter. Nur scheinen diese frommen Leute noch mehr miteinander zu streiten als Künstler.«
»Wohin geht Ihr von hier?«
»In fünf Tagen machen wir Schluß, dann sammeln wir ein, hauen ab von da und springen rüber nach Lincoln, Nebraska; dort fangen wir dann drei Tage später an. Richtiger Katzensprung – wir kriegen nicht mal 'nen Pullman – fahren von hier im gewöhnlichen Personenwagen um elf Uhr abends weg und kommen um eins in Lincoln an.«
»Sonntag abend fahrt Ihr weg, so? Komisch. Ich werd' im gleichen Zug sein. Muß selber auch nach Lincoln.«
»Na also, dann können Sie dort ja auch zu uns kommen. Beim ersten Meeting spiel' ich immer ›Jerusalem, du Goldene‹ auf dem Piston. Das schmeißt sie alle um. Da sagen sie immer, daß nur das Salbadern die Sünder in Schuß bringt und hereinlockt, aber glauben Sie das nicht – die Musik macht's. Wissen Sie, ich kann mit meinem E-moll-Piston mehr dreckige Sünder zum Heulen bringen, als neun Evangeliumskünstler, die sich gleichzeitig die Lunge herausreden!«
»Ich glaub's gern, daß Sie das können, Art. Hören Sie, Art – ich bin ja selber auch Prediger, nur vorübergehend geschäftlich tätig, während ich alles für eine neue Stellung vorbereite.« Art machte eine Miene, als dächte er nicht daran, Geld herzuleihen. »Aber ich glaub' den ganzen Unsinn nicht, daß man sich nie amüsieren darf; Paulus hat ja auch gesagt, man soll ein bißchen Wein für seinen Magen nehmen; die Stadt hier ist trocken, aber ich komm' noch vor Sonnabend in eine nasse, und wenn ich 'ne Flasche Korn in der Tasche hätt' – wie wär' das?«
»Na, ich hab' meinen Magen schrecklich gern – und tu' auch gern was für ihn!«
»Was für'n Mensch ist denn der Engländer? Wohl die rechte Hand von Miß Falconer.«
»Ach, der ist ein ganz feiner Kerl, aber mit uns Jungens scheint er nicht auszukommen.«
»Hat sie ihn gern? Wie heißt er?«
»Cecil Aylston heißt er. Ach, Sharon hat ihn zuerst ja 'ne Weile gemocht, aber 's soll mich nicht wundern, wenn sie jetzt seine Superklugheit satt hat, und seine Art, nie gemütlich zu werden.«
»Na, ich muß Miß Falconer eine Sekunde sprechen. Freut mich, Sie kennen gelernt zu haben, Art. Auf Wiedersehen Sonntag abend im Zug.«
Sie hatten vor einem der zwölf Zelteingänge gesprochen. Elmer beobachtete Sharon Falconer, als sie rasch ins Zelt trat. Jetzt war sie keine Hohepriesterin im griechischen Gewand, sondern eine Geschäftsfrau mit Strohhut, grauem Kostüm, weißer Hemdbluse, Leinenmanschetten und Kragen. Nur eine blaue Schleife und das edelsteinbesetzte Kreuz an ihrer Uhrkette unterschieden sie von den Frauen in Bureaux. Doch Elmer, der jede Einzelheit an ihr sammelte wie ein Nuggets zusammenkratzender Goldgräber, wußte jetzt, daß sie nicht flachbrüstig war, wie es in dem weiten Gewand ausgesehen hatte.
Sie sprach zu den »persönlichen Arbeiterinnen«, den jungen Frauen, die freiwillig in den Hütten Gebetsandachten abhielten und von Haus zu Haus gingen, um eventuelle geistliche Kundschaft zu interessieren.
»Meine lieben Freundinnen, ich bin ja sehr froh, daß Ihr alle betet, aber es kommt eine Zeit, in der man auch noch ein bißchen Sohlenleder dran setzen muß. Während Ihr Euch nach dem Reich sehnt – hat der Teufel seine sehnsuchtsvollen Nächte, und bei Tag schießt er herum, um die Leute aufzusuchen und mit ihnen zu reden! Schämt Ihr Euch, hineinzugehen und die Leute aufzufordern, sie mögen zu Christus kommen – oder wenigstens zu unseren Meetings kommen? Ich bin durchaus nicht zufrieden. Durchaus nicht, meine lieben jungen Freundinnen. Meine Tabellen zeigen, daß im südöstlichen Bezirk von drei Häusern immer nur eines besucht worden ist. Das wird nicht genügen! Ihr müßt den Gedanken loswerden, daß der Dienst des Herrn ein nettes Spiel ist, wie Osterlilien auf den Altar zu stellen. Hier bleiben nur noch fünf Tage, und Ihr seid noch nicht aufgewacht und an die Arbeit gegangen. Ich will auch keine Dummheiten hören, wie daß Ihr zaudert, die Leute um Geld anzugehen, und sie ordentlich anzugehen! Wir können nicht die Miete für dieses Grundstück, die Beleuchtung, den Transport und die Gehälter von diesen vielen Leuten, die ich mit mir führe, nur so aus der Luft bezahlen! Also Sie – Sie hübsches Mädel dort mit dem roten Haar – mein Gott! Ich wollte, ich hätt' solches Haar! – was haben Sie getan, wirklich und ernsthaft getan, in der letzten Woche?«
Nach zehn Minuten hatte sie alle so weit, daß sie weinten und darauf brannten, hinauszulaufen und Seelen und Dollars hereinzubringen.
Sie wollte aus dem Zelt gehen, da stolzierte Elmer heran und stürzte mit ausgestreckter Hand auf sie zu.
»Schwester Falconer, ich möchte Ihnen zu Ihren wunderbaren Meetings gratulieren. Ich bin Baptistengeistlicher – der Reverend Gantry.«
»Ja?« sehr scharf. »Wo ist Ihre Kirche?«
»Also, äh, im Augenblick hab' ich gar keine Kirche.«
Sie betrachtete sein gesundes, geschniegeltes Aussehen, den Tabaksgeruch; ihre strahlenden Augen hatten ihn zu Ende gemustert, sie fragte:
»Was ist diesmal los? Alkohol oder Weiber?«
»Aber, das ist ein glatter Irrtum! Ich bin ganz überrascht, daß Sie so sprechen, Schwester Falconer! Ich bin durchaus in Ordnung! Es ist nur – ich widme mich eine Zeitlang dem Geschäft, um verstehen zu lernen, wie der Geist des Laien arbeitet, bevor ich in meinem Dienst fortfahre.«
»Hm. Das ist ja großartig. Na, meinen Segen haben Sie, Bruder! Wollen Sie mich jetzt entschuldigen? Ich habe eine Zusammenkunft mit dem Ausschuß.«
Sie warf ihm ein unfreundliches Lächeln zu und lief davon. Er kam sich begossen, tölpelhaft, unsagbar albern vor, aber er fluchte: »Der Teufel soll dich holen, ich krieg' dich, und wenn du ganz in deine Geschäfte und deine verdammte Wichtigtuerei eingewickelt bist, und dann werd' ich schon Leben in dich bringen, mein Mädel!«
2
Er mußte in fünf Tagen die Arbeit von neun Tagen tun, neun Städte besuchen, aber er war am Sonntag abend wieder in Sautersville, er war im Elfuhrzug nach Lincoln – in seinem neuen braunen Anzug.
Sein Interesse für Sharon Falconer war zu zitternder Leidenschaft geworden, der ersten wirklichen Leidenschaft in seinem Leben.
Es war zu spät am Abend für einen großen Abschied, aber mindestens hundert Brüder und Schwestern waren auf dem Bahnhof, sangen »Gott leite dich, bis wir einander wiedersehen« und drückten Sharon Falconer die Hand. Elmer sah seinen pistongewaltigen Yankeefreund, Art Nichols, bei den übrigen von der Evangelistenmannschaft stehen – da war der Assistent Cecil Aylston, der fette, sentimentale Tenorsolist, die Pianistin, der Geiger, der Kinderevangelist und die Direktrice für persönliche Arbeit. (Der Pressechef, dieser wichtige Mitarbeiter, war in Lincoln und bereitete alles für die Ankunft des Herrn vor.)
Sie boten das Bild einer verschlafenen Theatertruppe, wie sie da auf ihren Koffern herumsaßen und die Einfahrt des Zuges erwarteten, und ganz wie Komödianten sahen sie erschreckend anders aus als in ihren Bühnenrollen. Die blutarme hübsche Pianistin, die für die Öffentlichkeit seraphische Silbergewänder trug, war jetzt ganz einfach ein Kleinstadtmädchen in zerdrücktem blauen Serge; die Direktrice für