Sinclair Lewis

Gesammelte Werke


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Alkohol, sondern auch nach nicht frömmelnder Gesellschaft.

      »Ich will Ihnen was sagen, Ad«, meinte er. »Ich würde nichts lieber machen, aber ich muß mich mit jemand treffen – 'nem sehr wichtigen Kunden – heute nachmittag, und der kann das Trinken auf den Tod nicht leiden. Tatsache – ich weiß bestimmt Ihr Tröpfchen zu schätzen, aber ich glaub', ich hätt' nicht einen Schluck trinken sollen.«

      »Ach, Teufel noch einmal, Elm, ich hab' Pastillen bei mir, die absolut garantiert den Geruch wegnehmen – absolut. Schnaps ist gut für Cholera! Ich möcht wirklich, daß die Jungs den Trinkspruch von Ihnen hören!«

      »Na schön, ich werd' auf 'ne Sekunde reinschauen, und vielleicht kann ich auch gleich mit Ihnen was für spät am Sonntag abend oder für Montag vormittag ausmachen, aber –«

      »Ach, Sie werden mich doch nicht sitzenlassen, Elm?«

      »Schön, ich werd' mal mit dem Menschen telephonieren und mich so verabreden, daß ich nicht vor drei Uhr mit ihm zusammenkommen muß.«

      »Das ist fein!«

      3

      Vom Ishawonga Hotel telephonierte Elmer mit dem Bureau Mr. Eversleys, des strahlendsten Lichtes der Flowerdale-Baptistenkirche. Er bekam keine Antwort.

      »Alles aus seinem Bureau beim Essen. Na, ich hab' ja gemacht, was ich bis jetzt machen konnte«, überlegte Elmer tugendhaft und ging zu den Pequot-Kreuzfahrern in der Ishawonga Bar … Elf Menschen in einer Bude, die Platz für acht hatte. Alle redeten auf einmal. Alle brüllten: »Sie, Kellner, fragen Sie den verdammten Mixer, ob er den Stoff erst machen muß!«

      Nach siebzehn Minuten nannte Elmer alle elf bei ihren Vornamen – meistens bei den falschen Vornamen – und trug zu ihren literarischen Kenntnissen bei, indem er dreimal seinen Trinkspruch aufsagte und die besten Geschichten erzählte, die er kannte. Er gefiel ihnen. In seiner Freude darüber, daß er alle Frömmigkeit und das drohende Leben mit Lulu los war, kam er in schäumende Laune. Sechsmal sagten die Pequotreisenden zueinander: »Da haben wir mal 'nen Kerl, der bei uns in der Firma sein sollte«, und die übrigen nickten dazu.

      Er kam auf die Idee, eine Predigtparodie zu liefern.

      »Ad hat mir ja 'n Riesenspaß gemacht!« donnerte er. »Wißt ihr, wofür er mich zuerst gehalten hat? Für 'nen Prediger!«

      »Nanu, das ist aber gut!« kicherten sie.

      »Na, er hat sich übrigens nicht gar so sehr geirrt. Wie ich noch 'n Junge war, hab' ich bißchen dran gedacht, Geistlicher zu werden. Also, jetzt paßt mal auf, hört zu und sagt, ob ich nicht 'n blendender Prediger geworden wär'!«

      Während sie den Mund aufrissen, kicherten und ihn bewunderten, erhob er sich feierlich, blickte sie feierlich an und dröhnte:

      »Brüder und Schwestern, in dem Hasten und Jagen des Alltagslebens vergeßt ihr sicherlich der höheren und schöneren Dinge. Worin, in allen höheren und schöneren Dingen, worin und wodurch finden wir unsere Leitung, wenn nicht in der Liebe? Was ist Liebe?«

      »Bleiben Sie über Nacht da, dann werd' ich's Ihnen zeigen!« brüllte Ad Locust.

      »Halten Sie jetzt die Klappe, Ad! Wirklich – hören Sie zu. Passen Sie auf, ob ich nicht 'n Prediger sein könnte – IA – ich könnt' bestimmt 'ne große Menge in die Hand kriegen wie irgendeiner von denen. Passen Sie auf … Was ist Liebe? Was ist die göttliche Liebe? Sie ist der Regenbogen, der mit seinen funkelnden Farben die fürchterlichen Wüsten übermalt, über denen jüngst das fürchterliche Unwetter seine rasende Wut ausgelassen hat – der Regenbogen mit seiner zarten Verheißung darauf, daß das Toben, der Aufruhr und die Entsetzen des gräßlichen Sturms ihr Ende finden werden! Was ist Liebe – die göttliche Liebe, meine ich, nicht die fleischliche, sondern die göttliche Liebe, wie sie von der Kirche gelehrt wird? Was ist –«

      »Hören Sie!« protestierte der Gottloseste von den elf. »Sie sollten sich nicht über die Kirche lustig machen, mein ich. Ich selber geh' ja nie in die Kirche, aber vielleicht war' ich 'n besserer Mensch, wenn ich's täte, und auf jeden Fall hab' ich Respekt vor den Leuten, die in die Kirche gehen, und meine Kleinen schick' ich in die Sonntagsschule. Gott verdammt noch einmal, und ob!«

      »Teufel, ich mach' mich nicht über die Kirche lustig«, protestierte Elmer.

      »Teufel, er macht sich nicht über die Kirche lustig. Er verhohnepipelt nur die Prediger«, versicherte Ad Locust. »Prediger sind genau so gewöhnliche Menschen wie wir auch.«

      »Freilich; Prediger können fluchen und lieben genau so wie jeder andere. Ich weiß Bescheid! Was sie alles ausfressen, während sie so tun, als ob sie anders wären,« sagte Elmer in traurigem Ton, »davor würde Ihnen grausen, meine Herren, wenn Sie es wüßten.«

      »Also, auf jeden Fall bin ich der Ansicht, daß Sie sich nicht über die Kirche lustig machen sollten.«

      »Teufel, er macht sich nicht lustig über die Kirche.«

      »Natürlich, ich mach' mich nicht lustig über die Kirche. Aber laßt mich doch mit meiner Predigt zu Ende kommen.«

      »Natürlich, laßt ihn mit seiner Predigt zu Ende kommen.«

      »Wo war ich? … Was ist Liebe? Sie ist der Abend- und der Morgenstern – diese ungeheuren Himmelskörper, die während ihrer Fahrt durch die purpurnen Abgründe des riesigen Firmaments in ihrem goldenen Glanz die Verheißung bergen auf höhere und schönere Dinge, die – die – na, sagt mal, ihr gescheiten Affenschwänze, würd' ich 'nen großartigen Prediger abgeben oder nicht?«

      Der Beifall war derartig, daß der Mixer kam und sie düster betrachtete; und Elmer mußte mit allen trinken. Das heißt, er trank mit vieren von ihnen.

      Doch er war außer Übung. Außerdem hatte er zu Mittag nichts gegessen.

      Er wurde kreideweiß; Schweiß stand auf seiner Stirn und in zwei Tropfenreihen auf seiner Oberlippe, seine Augen wurden plötzlich leer.

      Ad Locust schrie: »Paßt auf! Elm macht schlapp!«

      Sie führten ihn hinauf in Ads Zimmer, auf jeder Seite stützte ihn ein Mann, und einer schob von hinten nach, gerade bevor er bewußtlos umfiel, und diesen ganzen Nachmittag, an dem er mit dem Flowerdale-Baptisten-Ausschuß hätte zusammenkommen sollen, schnarchte er auf Ads Bett, bis auf die Schuhe und den Rock völlig angezogen. Um sechs Uhr kam er zu sich, als Ad sich besorgt über ihn beugte.

      »Gott, ist mir schrecklich!« ächzte Elmer.

      »Hier. Was Sie brauchen, ist ein ordentlicher Schluck.«

      »Ach du lieber Gott, ich darf nichts mehr trinken,« sagte Elmer, danach greifend. Seine Hand zitterte so, daß Ad genötigt war, ihm das Glas an den Mund zu halten. Er wußte, daß er Diakon Eversley sofort anrufen mußte. Nach zwei weiteren Schlucken fühlte er sich besser, seine Hand wurde fest. Die Pequotleute begannen hereinzukommen und redeten vom Dinner. Er verschob sein Telephongespräch mit Eversley bis nach dem Dinner; er verschob es weiter; dann fand er sich, um zehn Uhr morgens am Ostersonntag, bei einem völlig fremden jungen Weib in einer völlig fremden Wohnung und hörte Ad Locust im Nebenzimmer singen: »Hab' ich 'nen Durst.«

      Elmer bereute und stöhnte fleißig vor seinem ersten Morgentrunk, dann tröstete er sich: »Herr Gott, jetzt kann ich unmöglich in diese Kirche. Na, ich werd' dem Ausschuß erzählen, daß ich krank war. He, Ad! Wie sind wir bloß daher gekommen? Können wir in dem Loch irgendwas zum Frühstück kriegen?«

      Er trank zwei Flaschen Bier, sprach voller Güte mit der jungen Dame im Kimono und den roten Pantoffeln und kam sich im ganzen wie ein Prachtkerl vor. Mit Ad, denjenigen von den Elf, die noch nicht tot waren, und einem Häufchen kreischender junger Damen fuhr er am Ostersonntag nachmittag zu einem Tanzlokal am See hinaus, dann kehrten sie wieder zu Hummern und Lustbarkeiten nach Monarch zurück.

      »Jetzt ist aber Schluß damit. Morgen früh mach' ich mich an die Arbeit, such' den Eversley auf und verabred' alles«, gelobte