Sinclair Lewis

Gesammelte Werke


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sich einigermaßen wie ein Narr vorkommend, zog er das Gewand an. Es war aus purpurrotem Sammet, mit schwarzen Symbolen bestickt, die er nicht kannte, mit einem Kragen aus schweren Goldfäden. Er war nicht ganz sicher, was er tun sollte, und wartete gehorsam. Sie stand theatralisch in der Tür, er staunte. Sie war ganz schlank und hoch, ihre Hände – den Rücken nach oben, die Finger gekrümmt – bewegten sich neben ihr wie Lilien auf einem Strom. Sie sah phantastisch aus, in einem purpurroten Gewand, das mit goldenen Sternen, Halbmonden, Gnostiker- und Antoniuskreuzen geschmückt war; ihre Füße staken in Silbersandalen; und auf dem Haar hatte sie eine Tiara aus Silbermonden, mit Stahlflittern besetzt, die im Kerzenlicht funkelten. Ein Nebel von Weihrauch umflutete sie, schien von ihr aufzusteigen, und als sie langsam die Arme hob, fühlte er in kindlichem Entsetzen, daß sie wirklich eine Priesterin war.

      Wieder war ihre Stimme unter dem Bann des Schlafwandels, als sie seufzte: »Komm! In die Kapelle.«

      Sie ging auf eine Tür zu, die zum Teil vom Sofa verdeckt war, und führte ihn in einen Raum –

      Jetzt war er nicht mehr zum Teil verliebt, zum Teil neugierig, er verspürte nichts als Unruhe.

      Was für einen Hokuspokusbau man da ausgeführt hatte, begriff er nicht; vielleicht war nur der Fußboden über diesem kleinen Zimmer entfernt worden, so daß es sich über zwei Stockwerke erstreckte; aber auf jeden Fall war es da – ein Heiligtum, das unten hell strahlte, sich aber durch Dunkelheit bis in den Himmel zu erheben schien. Die Wände waren mit schwarzem Sammet verhängt, es gab keine Stühle; der Brennpunkt des ganzen Raums war ein großer Altar. Es war ein grotesk wahnsinniger Altar, drapiert mit chinesischen Tüchern, purpurrot, aprikosenfarben, smaragdgrün, gold. Zwei Stufen aus blaßrotem Marmor. Über dem Altar hing ein riesiges Kruzifix, auf dem der Christus aus den Nagelmälern und der Seitenwunde blutete; und auf der oberen Stufe standen Gipsbüsten der Jungfrau Maria, der Heiligen Theresa, der Heiligen Katharina, ein kitschiges Heiliges Herz, ein sterbender St. Stephanus. Aber auf der unteren Stufe stand ein wahnsinniger Haufen von Dingen, die Elmer »heidnische Götzen« nannte: Götter mit Affenköpfen, Götter mit Krokodilsköpfen, ein Gott mit drei Köpfen und ein Gott mit sechs Armen, ein Buddah aus Jade und Elfenbein, eine nackte Venus aus Alabaster, und im Zentrum aller dieser die schöne, entsetzliche, furchtbare, lockende Statuette einer Silbergöttin mit dreifacher Krone und einem Gesicht, das ebenso schmal und lang und leidenschaftlich war wie das Sharon Falconers. Vor dem Altar lag ein langes Sammetkissen, sehr dick und weich. Hier kniete Sharon plötzlich nieder, zog ihn auf die Knie und rief:

      »Es ist die Stunde! Heilige Jungfrau, Mutter Hera, Mutter Frigga, Mutter Ishtar, Mutter Isis, hehre Mutter Astarte mit den bewegten Armen, deine Priesterin ist es, sie ist es, die nach Jahrhunderten der Blindheit und Jahren des Umhertappens der Welt kund tun wird, daß ihr eins, daß ihr alle in mir geoffenbart seid, und daß in dieser Offenbarung allgemeiner Friede und Weisheit kommen wird, das Geheimnis der Sphären und der Brunnen des Erkennens. Ihr, die ihr euch über mich gebeugt und eure unsterblichen Finger auf meine Lippen gedrückt habt, nehmt diesen meinen Bruder an eure Brust, öffnet seine Augen, befreit seinen gefesselten Geist, macht ihn den Göttern gleich, auf daß er mit mir die Offenbarung weitertrage, nach der die Welt tausend mal tausend kummervolle Jahre geseufzt hat.

      »O Rosenkreuz und mystischer Turm von Elfenbein –

      »Erhöre mein Gebet.

      »O erhabener Aprilmond –

      »Erhöre mein Gebet.

      »O höchst treffliches Schwert aus untadeligem Stahl –

      »Erhöre du mein Gebet.

      »O Schlange mit den unergründlichen Augen –

      »Erhöre mein Gebet.

      »Ihr Verschleierten und ihr Strahlenden – in Höhlen vergessen, die Gipfel der Zukunft, das klirrende Heute – vereinigt euch in mir, erhebet ihn, empfanget ihn, hehre Namenlose; ja, erhebet uns, Mysterium auf Mysterium, Sphäre über Sphäre, Reich auf Reich, bis zum Thron!«

      Sie nahm eine Bibel auf, die neben ihr zu Füßen des Altars auf dem langen Sammetkissen lag, drückte sie ihm in die Hand und rief: »Lies – lies – rasch!«

      Das Hohelied Salomos war aufgeschlagen, und verwirrt psalmodierte er: »Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! Deine Lenden stehen gleich an einander wie zwo Spangen, die des Meisters Hand gemacht hat. Deine zwo Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge. Dein Hals ist wie ein elfenbeinener Turm. Das Haar auf deinem Haupt ist wie der Purpur des Königs, in Falten gebunden. Wie schön und wie lieblich bist du, du Liebe voller Wonne!«

      Sie unterbrach ihn, mit hoher, etwas schriller Stimme: »O mystische Rose, o höchst ausgezeichnete Lilie, o bewunderungswürdige Einheit; o Heilige Anna, Unbefleckte Mutter, Demeter, Wohltätige Mutter, Lakshmi, Allerleuchtendste Mutter; siehe, ich bin sein, und er ist Dein, und Du bist mein!«

      Als er weiterlas, erhob sich seine Stimme zur Gewalt eines triumphierenden Priesters:

      »Ich sprach: Ich muß auf den Palmbaum steigen, und seine Zweige ergreifen –«

      Diesen Vers brachte er nicht zu Ende, denn sie fiel, vor dem Altar kniend, zur Seite und sank in seine Arme, mit geöffneten Lippen.

      4

      Mittags saßen sie auf dem Hügel und sahen hinunter ins Tal, verschlafen plaudernd, bis er auffuhr: »Warum willst du mich nicht heiraten?«

      »Nein. Einige Jahre lang wenigstens nicht. Ich bin zu alt – zweiunddreißig gegen deine – wieviel ist es, acht oder neunundzwanzig? Und ich muß frei sein für den Dienst unseres Herrn … Weißt du, daß es mir ernst damit ist? Ich bin wirklich geweiht, wie immer es auch aussehen mag!«

      »Schatz, natürlich weiß ich's! O ja.«

      »Aber nicht heiraten. Ab und zu ist es ja gut, bloß menschlich zu sein, aber meistens muß ich wie eine Heilige leben … Außerdem glaub' ich, männliche Bekehrte kommen eher, wenn sie wissen, daß ich nicht verheiratet bin.«

      »Verdammt noch einmal, hör' mich an! Hast du mich ein bißchen lieb?«

      »Ja. Ein bißchen. Oh, ich hab' dich so gern, als ich nur jemand außer Katie Jonas gern haben kann! Armes Kind!«

      Sie ließ ihren Kopf an seine Schulter fallen, ganz gleichgültig jetzt, in dem bienendurchschwärmten Obstgarten, und sein Arm zog sie an sich.

      Am Abend sangen sie gemeinsam heilige Hymnen, zur Erbauung der alten Familiendiener, die ihn Doktor zu nennen anfingen.

      Dreizehntes Kapital

       Inhaltsverzeichnis

      1

      Erst im Dezember stellte Sharon Falconer Elmer als Assistenten an.

      Als Cecil Aylston gehen mußte, sagte er, leise und in kaltem Ton: »Das wird das letztemal gewesen sein, meine liebe Prophetin und Glaubenshausiererin, daß ich den Versuch gemacht habe, anständig zu sein.« Es ist aber bekannt, daß er einige Monate lang versuchte, eine Rettungsmission in Buffalo zu leiten; und wenn er auf seinen Geisteszustand untersucht wurde, so geschah das nur, weil man beobachtet hatte, daß er viele Stunden dasaß und vor sich hinstarrte. Er wurde in einer Spielhöhle in Juarez umgebracht, und als Sharon davon hörte, war sie sehr traurig – sie sprach davon, seine Leiche zu holen, war aber zu sehr mit frommen Arbeiten beschäftigt.

      Elmer stieß zu Beginn der Meetings in Cedar Rapids, Iowa, zu ihr. Er eröffnete die Meetings für sie, machte Ankündigungen, sprach Gebete, predigte, wenn sie zu müde war, und sang vor, wenn Adelbert Shoop, der Musikdirektor, indisponiert war. Er schuf ein Dutzend ordentlicher Predigten aus Exegese-Enzyclopädien, aus Handbüchern für Evangelisten und Leitfäden für Predigtentwürfe. Er hatte eine mächtige Ansprache, nur für die Männerandachten, über die Kraft