Katja Walder

Abgefahren! Im Zug mit Katja Walder


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nickt. Ich schmolle.

      «Ich bins, Sasha, der Kolleg von Pascal.»

      Und schon sitzt er bei ihr. Und mir bleibt nichts anderes, als die beiden zu belauschen und mir vorzustellen, ich wäre sie.

      Bald weiss ich: Er wohnt in Luzern, findet Linux blöd, traut Frauen keine Computerkenntnisse zu («Im Chatten sind sie super, aber ein Word-Dokument abspeichern können sie nicht ...»), hat Apollo 440 als Klingelton (Ain’t talking ’bout dub), raucht selbstgedrehte Zigaretten, trifft sich heute Abend um halb sechs mit einem Freund am Bahnhof Luzern, nimmt eventuell noch einige Couch-Surfer mit, die grad bei ihm übernachten, geht am Streetparade-Wochenende ins Roh­stofflager («Da muss man einfach hin, aber sonst find ich dieses WummWumm blöd.») und – auch das ist nach diesen fünfzehn Minuten Zug-Lauschen klar – er redet viel. Zu viel. Und am liebsten über sich selber.

      Ein Hoch auf meine Schüchternheit!

      90 Prozent der «Blick am Abend»-Leser wollen mehr von Katja Walder

      Post von Hans Kaspar, dem Freundlichen

      Einstecken. Einloggen. Lossurfen. Und schon wird die S 8 zum Büro.

      «Liebe Kolumne-Redaktion», steht da in einem weitergeleiteten Mail aus der «Blick am Abend»-Redaktion. Geschrie­ben von Leser Hans Kaspar S.

      Dieses Mail richtet sich also an jene Menschen, die mich vor vier Wochen als Leser-Kolumnistin ausgewählt haben.

      Weiter steht Erstaunliches: «Dass Katja Walders Kolumnen ein Hit sind, habt ihr ja sicher auch schon festgestellt.»

      Ein leichtes Kribbeln steigt mir den Hals hoch. Schlucken. Weiter.

      «Ich denke, Ihr solltet der Frau sofort einen Vertrag geben.»

      Läck. Hans Kaspar! Und ich habe Sie für diese Zeilen nicht mal mit einem Schoggi-Marienkäfer bestochen.

      «Mein Vorschlag, dass ‹Blick am Abend› sie behalten soll, ist natürlich auch ein bisschen egoistisch. Ich würde gern Katja Walder lesen und gelegentlich eine grottenschlechte Kolumne. Solange aber Katja dort schreibt, wird es nie wieder jemand anders geben. Und das wäre ja auch schade. Mit herzlichen Grüssen, Hans Kaspar S.»

      Hans Kaspar, Sie haben recht! Nach vier Wochen räume ich diese Spalte für alle anderen. Aber nicht, ohne mich vorher – Oscar-like – zu bedanken: Beim Selecta-Automaten am Bahnhof Oerlikon («Thank you sooo much, I love your kinderschoggi!»), bei der S 8-Stimme mit dem rrrollenden RRR (du nervst von EffRRRetikon bis WinteRRRthuRRR), bei allen S 8-Fahrern für ihre offenherzigen Gespräche und bei allen lieben Menschen, Pendlern und Freunden des Zug-Lausch-Googlens für ihre SMS-Stimmen. Danke! Und wenn die «Blick-am-Abend»-Chefs auf Hans Kaspar hören, dann lausche ich für euch vielleicht bald weiter ...

      Soll Katja Walder einen Job bei «Blick am Abend» bekommen – KatJA oder KatNEIN? Stimmen Sie ab – per SMS mit KatJA oder KatNEIN.

      99,8 Prozent der «Blick am Abend»-Leser forderten:

      Gebt Leserkolumnistin Katja Walder (Effretikon ZH) regelmässig Platz! Diesem Wunsch kommt die Redaktion gerne nach.

      Ab sofort schreibt die Katja Walder zweimal die Woche für unsere Abendzeitung eine Kolumne (Montag und Donnerstag).

      Thema: Die S 8 und ihre Passagiere. Seien Sie also auf der Hut.

      Katja hört mit!

      Kein Kreuz für Küse – und für Hampe schon gar nicht

      Schallendes Gelächter aus dem vorderen Abteil. Da sitzen: Ein kahlgeschorener Basler mit Playboy-Brille, eine Bernerin mit gebärfreudigem Becken, eine Ostschweizerin mit Bob-Frisur und Pluderrock.

      Die Pluderfrau erzählt. Der Playboybasler und die Becken­bernerin glucksen vor Vergnügen. Beim Speedflirting war sie, und zwar auf dem Bielersee.

      «Alle hatten ein Pseudonym», erzählt die Pluderfrau. «Und der erste, dem ich gegenüber sass, hiess ... drei ... zwei... eins ... CHNOBLI!»

      Die Zuggemeinschaft kreischt.

      «Schnauz, Holzfällerhemd, das ganze Drama.»

      Der Playboybasler schaut wissend über den Brillenrand.

      «Weiter! Weiter!», drängt die Beckenbernerin.

      «Der zweite hiess Küse. Koch. Hat fünf Minuten lang all seine Gerichte aufgezählt. Gratin Dauphinois. Gerstensuppe. Holzfällersteak und so weiter und so fort. Und ich hab gebetet: ‹Lieber Gott im Himmel, mach dass diese sieben Minuten schnell vorbei gehen.›»

      «Und Gott hat das gemacht, was er in solchen Situationen immer macht ...», schiebt der Basler ein: «Er hat auf die Pause-Taste gedrückt.»

      Voila. Die Beckenfrau kichert. Die Bobfrisur hat rote Backen. Der Basler haut sich auf die Oberschenkel.

      «Verzeeell wyyyter!!!»

      «Hampe war der Dritte. Schlechte Zähne, noch schlechtere Chancen bei Frauen. Drum macht er am Ende des Abends jeweils bei allen Frauen ein Kreuzchen, auch bei denen, die ihm nicht gefallen. Dann gibts mehr Chancen auf ein Wiedersehen.»

      Durchtrieben, Hampe. Durchtrieben.

      Aber mit der Pluderfrau wirds trotzdem nicht klappen: «Kei einzigs Chrüüzli hani gmacht. Kei einzigs!»

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      visavis #59

      Chicks mit Handys

      «Hallo Katja», schreibt Bettina F. aus St. Gallen. «Ich freu mi jedes mal uf dini Kolumne. Das trifft gnau au uf min Pendleralltag zue obwohl ich mit de S7 fahre». Bettina und ich, wir sind nun Facebook-Freunde. Und ich wette, Bettina hat sie auch schon erlebt, die kichernden Handy-Chicks. Sie tragen glitzrige Gürtel, knappe Jeans, manchmal Zahnspange und meistens dicken Lidstrich. Und immer, wirklich immer, sind sie in Gruppen unterwegs. Heute zum Beispiel dort vorne links. «Zeig! Zeig!», tönt es aus dem Abteil. Sie rangeln, sie kichern, sie riechen sehr stark nach viel zu süssem Parfüm. «Ich wett au luege!», quäkt die Blonde. Ein Handy wird herumgereicht. Klarer Fall: Die vier spielen das Lieblingsspiel aller Sechzehnjährigen: Zeig-mir-deinen-Freund-und-ich-zeig-dir-meinen.

      Eine Zugbeschäftigung, die strikten Codes folgt. Spielen wirs durch: Chick eins zeigt das Handyfoto ihres Freundes. Reaktion A: Chick zwei staunt: «Uaaa, de isch WÜRKLICH schön!» Bedeutet: «Sonja hatte recht, der ist viiiel zu hübsch für dich!». Reaktion B: Chick drei flötet mit lieber Stimme: «Ooh, de xeht mega sympathisch uus.» Bedeutet: «Ne Schönheit ist er nicht gerade ...». Reaktion C (die fieseste von allen ...): Chick drei schreit überrascht auf: «Heeee! De hätt ja de glich Ohrstecker wie min Cousin!» Bedeutet: «Meine Fresse, was soll man bei so einem Gnom auch anderes sagen?» In diesem Moment steigt eine alte Bekannte ein. Ich begrüsse sie herzlich. Sie schaut mich kritisch an: «Neui Brüle? Mini Cousine hätt di gliich.»

      Ein Opfer in der S8

      Die Schweiz hat Alltagspoeten wie Kuno Lauener. Die Schweiz hat begnadete Quasselstrippen wie Mona Vetsch. Die Schweiz hat grosse Literaten wie Dürrenmatt und Muschg. Die Schweiz hat vier Sprachen und viele tolle Worte. Die Schweiz hat das Idiotikon, ein fünfzehnteiliges Wörterbuch, in dem alle diese Worte festgehalten sind. Von A wie allwäg über G wie Gutsch bis Z wie Zable. Die Schweiz hat aber auch viele Pendler, die von alledem offenbar noch nie etwas gehört haben.

      «Ou er eh, er isch so voll tumm», sagt zum Beispiel das Handtäschchen-Mädel Nummer eins in meinem Abteil zu seiner Freundin. Die beiden waren an der Chilbi.

      «Wäge?», fragt Nummer zwei zweisilbig.

      Und Mädchen eins legt schäumend und im Balkan-Slang los: «Er so: Eh Mann, du nervsch! Ich so: Sälber Mann, du nervsch imfall uhuere! Er so: Eh Mann figg di, du bitsch. Ich so: Eh du Mongo. Lueg was seisch! Er so: Ey zum Glück bin ich dich los. Du stiiiinksch. Ich so: Ey du bisch sonen Vollweiche. Er so zrugg: Hey du Opfer! Dini Mueter hätt