Dann der Zug so: Ich halt jetzt glaub aah, Lüüt.
Sie so: «Effi, sones Scheisskaff, da wohnt d’Elif hey, si neeervt!»
Ich so: Aussteigen und nichts wie weg.
Vielleicht sollte ich wieder mal Dürrenmatt lesen.
Von Worten und Wörtern
Entwarnung! Es besteht doch noch Hoffnung. Am Dienstag habe ich an dieser Stelle das desolate Sprachverständnis der Pendlergemeinde gegeisselt (Er so! Ich so! Sie so!). Doch seit gestern weiss ich: All diese sprachliche Unfähigkeit wird ausgeglichen – durch eine einzige Person. Sozusagen durch die Sprachamazone unter den Pendlern. Durch die Wächterin über sprachliche Missgriffe.
«Liebe Frau Walder», schreibt Frau S.Z. aus W. Und kommt dann unumwunden zum Kern: Messerscharf und gnadenlos bringt die diplomierte Übersetzerin ans Licht, dass ich die Wörter «Wörter» und «Worte» falsch verwendet habe. Sakrament. Ich lese weiter: «Wörter bestehen aus Buchstaben, Worte aus Gedanken. Wörter sind grammatische Einheiten, Worte sind Redewendungen, Zitate oder die Sprache. Ein paar Beispiele: Ihr fehlten die Worte, während er nur leere Worte von sich gab. Nach Wörtern ringen oder lobende Worte aussprechen. Dürrenmatt wusste dies bestimmt. ;-) Freundliche Grüsse.»
Freundliche Grüsse zurück! Auf dass mir keine weiteren derartigen sprachlichen Lapsen passieren. (Und jetzt soll niemand kommen und mir sagen, wie der richtige Plural von Lapsus heisst.)
Noch zu Dürrenmatt: Stimmt, der wusste wohl, was Worte von Wörtern unterscheidet. Aus einem Grund hat er es ja in die grossen Bibliotheken dieser Welt geschafft – und nicht bloss in den «Blick am Abend».
HorrOhr auf dem Heimweg
Aufhören! Das ist schlimmer als Kreide, die auf der Wandtafel kratzt. Nervtötender als das Nachbarskind, das auf den Geburtstag eine Blockflöte bekommen hat. Es ist kaum auszuhalten: Da sitzt im Nebenabteil eine Latina und feilt sich – chschchsch – seelenruhig die Fingernägel. Endlos. Und ich ziehe mir die Mütze tiefer über die Ohren, in der Hoffnung, dass es dämmt. Nix ist. Stattdessen mischen sich weitere S 8-Geräusche dazu: Klack. Klack. Klack – ein Kind öffnet den lauten Abfalleimer und knallt ihn wieder zu. Schräg gegenüber hört ein blondgesträhnter Vokuhila-Junge in synthetischem Trainingsanzug schlechten Balkan-Pop mit sehr schlechten Ohrstöpseln. Jemand ausserhalb meines Sichtfeldes zieht im Minutentakt die Nase hoch. Und die Lautsprecherstimme lässt ihr R rollen. Ich drehe durch. Versuche, mich durch Fixieren des Polstermusters abzulenken. Lese zum dritten Mal das Editorial in meinem Leibbahnblatt «Via». Spiele Tetris auf dem Handy. Und werde das Gelack-Schnief-Schnarch-Feile doch nicht los.
Wie sehr wünsche ich mir jetzt Domenica Steiner aus Zürich ins Abteil. «Manchmal muss ich laut herauslachen auf dem Heimweg», schrieb sie gestern in einem Leserbrief an den «Blick am Abend». «Dann hoffe ich, dass Katja nicht im selben Zug sitzt und ich demnächst über meine Lacher lesen muss.» Domenica: Jetzt gerade wäre dein Lachen Balsam für meine leidgeprüften Ohren!
Zwei Tickets gegen die SBB
«Abzocker», zischt es von links durchs Abteil. «Unglaublich, was die sich erlauben», wettert es von rechts. In den Gratiszeitungen künden die SBB ihr neues Preissystem an – und die, die direkt davon betroffen sind, sitzen vereint in der S 8: die Pendler. Ich denke über Sitzstreiks nach, über Türblockaden, über Sprayereien wie «AuSBBeuter», als ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen werde: «Billett vorwiise bitte!». Taschengekrame, GAs werden vorgewiesen, «Tankeschön, merci, tankeschön». Bis es einen grossen Blonden trifft. Der Kontrolleur nimmt den Bussenblock. Der Blonde windet sich. Und als er gerade aufgeben und seine ID rausrücken will, tönts von hinten: «Entschuldigung!» Ein Tamile ists, der sich da aus der Pendlermasse erhoben hat. «Ich habe ein zweites Abo bei mir. Gilt das für den Mann da?» Er streckt dem Kontrolleur zwei Tickets hin. Tatsächlich: sein Abo. Und ein zweites, unpersönliches. «Schinornig», grummelt der SBB-Mann und verschwindet in der ersten Klasse. Die zweite Klasse gröhlt und klatscht. Der grosse Blonde setzt sich zu seinem Retter, bedankt sich – und will wissen, was alle interessiert: «Wieso häsch du zwei Tickets, he?». Die Antwort leuchtet ein: Der Tamile fährt normalerweise mit seiner Frau oder seiner Tochter. Nur heute nicht. Und dennoch hatte er beide Tickets dabei. Applaus, immer noch. Ich bin mir sicher: Wir könntens schaffen – gemeinsam gegen die SBB.
Das Leben der Anderen
«Verzell!» Die Rothaarige kann es kaum erwarten. Ihre schwarzhaarige Freundin schnattert los: «Das! Glaubsch! Nöd! D’Anna isch mit em Gerrit zäme!» Sie schaut erwartungsvoll. «Waas?», staunt die. «Ich verreck! Ich mein, sie isch mega herzig, er isch huere hässlich!» «Ja scho, ich weiss», sagt die Schwarze. «Ich bin nöd sicher, öbs stimmt. D’Katja hätts verzellt.»
«D’Katja? Isch eh e Häx!» «Sägs nöd», sagt die Schwarze. «Wie die sich immer an Jonas anemacht! Ich chönnt ere amix is Gsicht schlah.»
«Voll he!»
«Aber weisch wer findi no viel schlimmer? Em Jonas sini Mueter!»
«Wäääh!», kreischt die Rote. «Die xeht uus wie en Maa, nöd?!»
«Ja, voll de Hass!»
«Käs Wunder, das dere de Maa devo gloffe isch.»
«Ja scho, aber das er es Verhältnis mit sinere Assistäntin agfange hätt, findi glich nöd fair.» Die Rote schaut verträumt: «Also ich würd defür sofort es Verhältnis mit em Yannick afange, de isch soo sweet!» Ihre Freundin winkt ab: «Vergiss es, de staht e nur uf blondi Modeltype».
Ich sitze da, höre zu und frage mich, warum mein Leben langweilig ist. In Wallisellen steht die Schwarze auf. «Gäll, hütt chasch wieder sälber luege? Sat1, am sibni. Susch verzell der dänn halt morn.»
Akute Überzuckerung
«Guegg geegg uche!» Hä? Da starren drei junge Burschen aus dem Zugfenster. Mit roten Backen und sauren Zungen. Der eine von den dreien zeigt auf eine herzige Blonde. «Gög glächg», sagt der andere. Was «nöd schlächt» heissen soll. Aber eben: Die Münder sind voll mit Süsskram, die Zähne verklebt, die Gesichter verzerrt. «Huere suur das Züüg!», sagt der Dritte, das eine Auge zusammengekniffen. Und so mampfen sie weiter, reichen das knisternde Zellophan-Säckchen zum nächsten, schmatzen, pulen sich Saurezungen-Reste aus den Zahnspangen und kommentieren die vorbeifahrende Welt in undeutlichen Lauten. Saure Zungen! Da kommt mir noch ganz anderes in den Sinn: Bärendreck-Schnecken (inklusive braune Mundwinkel), Cocifröschli (nach zehn Stück gabs einen rauen Gaumen), Carambar (dank der Innenseite gut fürs Fremdsprachen-Training), Kaugummi aus der Tube (fand Mama pädagogisch nie wertvoll), Tiki (am besten pur auf die Zunge), Double-Dip (vom Kiosk in der Badi: Orange pfui, Kirsche hui!), die grünen Sauren Nudeln (Preis: Ein Zahn), Esspapier (nach was schmeckt das?), Armbänder aus Traubenzucker (Mädchenzeugs), der Trolli Riesenburger (inklusive Gummi-Salatblatt), klebrige Schlümpfe (lange Zeit das einzige blaue Schleckding!), schaumige Pilze (bis zur Überdosis!). Als ich gedanklich überzuckert aussteige, habe ich mein Münz schon griffbereit. «Si-ie? Was gitts für das Gält?»
«Hoi Schatz, ja, ich schlaf hüt bim Roli ...»
Wir sind umgeben von Mitpendlern, Gratiszeitungen und Handys. Da piepst, schellt, klingelt und telefoniert es um uns rum. Und das ziemlich monoton. Schon bemerkt?
Top-Handy-Antwort Nummer 1: «Im Zug!»
Top-Handy-Antwort Nummer 2: «Bruuchemer suscht no öppis?»
Top-Handy-Antwort Nummer 3: «Nei, isch alles guet. Ich telefonier eifach nöd gern im Zug.»
Aha! Dafür, dass das öffentliche Telefonieren vielen unangenehm ist, wird aber ziemlich hemmungslos geschnattert, getratscht, gekeift, debattiert, geplant, abgesagt, geflirtet, organisiert, gelogen, geheuchelt, dargelegt, geschildert und gefaucht. Der Extremfall ist mir gestern passiert: Da sitzt ein gesträhnter 22-Jähriger mit einer Frau im Arm im Abteil. Als sein Handy klingelt, verdreht er die Augen. «Hoi Schatz.» Stummes Zuhören. Augendrehen.