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Ebenso wie die Wettbewerbsbeschränkung muss auch die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels spürbar sein. Nach der sog. NAAT-Regel[6] geht die Kommission davon aus, dass es dann an der Spürbarkeit fehlt, wenn der kumulierte Marktanteil der Beteiligten auf keinem von der Vereinbarung betroffenen Markt innerhalb der Union die Grenze von 5 % überschreitet, und zusätzlich ein Jahresumsatz von 40 Mio. EUR der beteiligten Unternehmen (im Falle horizontaler Vereinbarungen) bzw. des Lieferanten (im Falle vertikaler Vereinbarungen) innerhalb der EU mit den von der Vereinbarung umfassten Waren nicht überschritten wird.[7]
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In der Praxis ist die Abgrenzung zwischen dem europäischen und dem deutschen Kartellrecht allerdings nur dann von Bedeutung, wenn die Anwendung der jeweiligen Regelungen auch zu abweichenden Ergebnissen führt. Dies ist jedoch nach den weitgehenden Angleichungen des deutschen Kartellrechts an das europäische durch die letzten GWB-Novellen seit 2005 nur noch in wenigen Konstellationen der Fall.
a) Die Normadressaten
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Das Kartellverbot wendet sich nur gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen (Verbände), so dass der Unternehmensbegriff die Reichweite des Verbots in persönlicher Hinsicht bestimmt. Eine Legaldefinition des Unternehmensbegriffs fehlt sowohl im europäischen wie im deutschen Kartellrecht, so dass dieser (autonom) auszulegen ist. Der Unternehmensbegriff wird von Rechtsprechung und Literatur allgemein extensiv ausgelegt, um dem Sinn des Kartellverbots, die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zu gewährleisten, gerecht zu werden. Seine Funktion beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die privaten Haushalte sowie die hoheitliche Tätigkeit des Staates von der Anwendung des Kartellverbots auszunehmen.
aa) Unternehmen
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Nach der Rechtsprechung gilt der funktionale tätigkeitsbezogene Unternehmensbegriff, der in Abgrenzung zum institutionellen Unternehmensbegriff allein auf die Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit abstellt. Unternehmen sind danach alle natürlichen oder juristischen Personen, die am wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen, indem sie Waren oder gewerbliche Leistungen anbieten oder nachfragen.[8] Die Absicht der Gewinnerzielung ist dabei ebenso unerheblich wie die Planmäßigkeit oder Nachhaltigkeit der Betätigung oder die Rechtsform des Unternehmens.[9] Eine wirtschaftliche Tätigkeit kann daher auch ein Unternehmen ausüben, das in erster Linie gemeinnützige oder soziale Ziele verfolgt. Zum besseren Verständnis der Reichweite des Unternehmensbegriffs, lassen sich zwei Gruppen von Handelnden unterscheiden, die absoluten und die relativen Unternehmen. Absolute Unternehmen sind solche, die schon kraft ihrer Rechtsform immer und in jeder Hinsicht den Unternehmenstatbestand erfüllen, weil sie keinen nichtunternehmerischen Tätigkeitsbereich kennen. Hierzu gehören alle Handelsgesellschaften und die sonstigen als Unternehmensträger tätigen rechtlich selbstständigen Personenvereinigungen des Privatrechts (OHG, KG, GmbH, AG usw.) sowie des öffentlichen Rechts (Sparkassen, Landesbanken, öffentlich-rechtliche Versicherungsanstalten usw.). Relative Unternehmen sind dagegen alle Rechtsträger, die nur für einen bestimmten Bereich ihrer Tätigkeit kartellrechtlich als Unternehmen anzusehen sind. Anders als bei den absoluten Unternehmen ist hier nicht die Rechtsform entscheidend, sondern die konkret ausgeübte Tätigkeit. Dementsprechend können auch natürliche Personen Unternehmen sein, soweit sie selbstständig als Anbieter von Waren oder Leistungen am Markt auftreten. Dies trifft etwa auf Einzelkaufleute, Handwerker und Kleingewerbetreibende zu aber auch auf Sportler, die ihre sportlichen Fähigkeiten vermarkten. Die Angehörigen der freien Berufe bieten ihre Tätigkeit am Markt an, nehmen am Wirtschaftsleben teil und stehen untereinander im Wettbewerb, so dass sie grundsätzlich als Unternehmen anzusehen sind. Etwas anderes gilt nur soweit staatliches oder aufgrund staatlicher Ermächtigung gesetztes Berufsrecht ihrer Vertragsfreiheit Grenzen setzt.[10] Keine wirtschaftliche Tätigkeit begründet dagegen die Nachfrage privater Endverbraucher.[11] Das Kartellrecht soll dem Wettbewerb und damit letztlich dem Verbraucher dienen und ihn nicht beschränken. Folglich unterfallen auch Verbraucherverbände nicht dem Unternehmensbegriff. Gewerkschaften sind ebenfalls keine Unternehmen, sofern sie tätig werden, um ihren satzungsmäßigen Aufgaben nachzugehen. Der Abschluss von Tarifverträgen fällt daher nicht in den Anwendungsbereich des Kartellverbots.[12] Keine unternehmerische Tätigkeit üben auch Arbeitnehmer aus, da Arbeitsleistungen unselbstständige Tätigkeiten sind.
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Das Kartellverbot finde nach § 130 Abs. 1 S. 1 GWB grundsätzlich auch Anwendung auf Unternehmen, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, von ihr verwaltet oder betrieben werden. Deshalb können auch Körperschaften (z.B. Gemeinden) und Anstalten des öffentlichen Rechts (z.B. Rundfunkanstalten) genauso wie der Staat selbst (Bund, Länder) als Unternehmen behandelt werden, sofern sie sich durch das Angebot von wirtschaftlichen Leistungen oder durch die Nachfrage nach solchen Leistungen unternehmerisch am Wirtschaftsverkehr beteiligen.[13] Eine Besonderheit gilt für die staatliche Nachfrage zur Eigenbedarfsdeckung. Der EuGH sieht diese immer dann als nicht unternehmerisch i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV an, wenn der spätere Verwendungszweck der nachgefragten Güter oder Dienstleistungen einem nichtwirtschaftlichem (z.B. sozialen) Zweck dienen soll.[14] Die deutsche Rechtsprechung sieht dagegen die Nachfragetätigkeit der öffentlichen Hand auch dann als unternehmerisch an, wenn die bezogenen Waren oder Dienstleistungen für eine hoheitliche Tätigkeit der öffentlichen Hand verwendet werden sollen.[15]
Keine wirtschaftliche Tätigkeit ist die rein hoheitliche Tätigkeit des Staates und seiner Untergliederungen. Hierzu zählen die Akte der Rechtsetzung und der (Obrigkeits-)Verwaltung mit den Mitteln von Zwang und Anordnung.
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Die einzelnen Unternehmen eines Konzerns oder einer Unternehmensgruppe werden als ein Unternehmen angesehen, wenn sie eine sog. wirtschaftliche Einheit bilden. Dies hat zur Folge, dass das Kartellverbot auf konzerninterne Wettbewerbsbeschränkungen (z.B. Kunden- oder Gebietsaufteilung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft) nicht anwendbar ist, weil die Parteien der Vereinbarung Teil desselben kartellrechtlichen Unternehmens sind (sog. Konzernprivileg).[16] Für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit ist entscheidend, dass die fragliche Tochtergesellschaft über keine Entscheidungsautonomie gegenüber der Muttergesellschaft verfügt, so dass sie mit dieser nicht selbstständig in Wettbewerb treten kann. Maßgebend ist, ob die Tochtergesellschaft unabhängig über ihr eigenes Verhalten im Markt befinden kann oder ob sie im Wesentlichen die Weisungen ihrer Muttergesellschaft befolgen muss.[17] Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit der Einflussnahme durch die Muttergesellschaft ausreicht; eine tatsächliche Ausnutzung der Leitungsmacht ist nicht erforderlich Ausschlaggebend ist letztlich die Höhe der Beteiligung der Muttergesellschaft sowie ergänzende Umstände wie etwa bestehende Unternehmensverträge. Bei einer 100 %-igen oder fast 100 %-igen Beteiligung der Muttergesellschaft wird die fehlende Selbstständigkeit der Tochtergesellschaft genauso vermutet wie beim Bestehen eines Beherrschungsvertrages.[18] Bei Mehrheitsbeteiligungen fehlt es ebenfalls regelmäßig an der Entscheidungsautonomie der Tochtergesellschaft, während bloße Minderheitsbeteiligungen und kapitalmäßige Verflechtungen grundsätzlich keine wirtschaftliche Einheit begründen.
bb) Unternehmensvereinigung
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Eine gesetzliche Definition dessen, was eine Unternehmensvereinigung i.S.d. § 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellt, gibt es nicht. Nach der Rechtsprechung soll das Tatbestandsmerkmal des „Beschlusses einer Unternehmensvereinigung“ verhindern, dass Unternehmen sich allein durch die Form, in der sie ihr Marktverhalten abstimmen, den Wettbewerbsregeln entziehen können. Um die Wirksamkeit dieses Grundsatzes sicherzustellen, werden hiervon