Markus Brinkmann

Tax Compliance


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zu stellen. Gustav Gierig hat ein neues Haus gebaut und kommt mit der ursprünglich kalkulierten Bausumme nicht aus, benötigt daher wesentlich mehr Geld. Zusätzlich zu den genannten Sachverhalten und einigen anderen steuerlichen Themen soll eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nunmehr prüfen, welche Betriebsausgaben nicht abzugsfähig sind, da den zu Grunde liegenden Vereinbarungen keine Gegenleistung zu Grunde liegen. Erwin Eifrig hat nach den besorgten Ausführungen des Revisors nunmehr Panik bekommen und bereits zum dritten Mal bestätigt, dass es sich bei den Schmiergeldzahlungen, die in den letzten zwölf Monaten getätigt wurden, ausschließlich um die Zahlungen auf das Konto der Lautlos GmbH handele, im Übrigen würde die Lautlos GmbH auch tatsächlich Leistungen erbringen und nicht alle Zahlungen würden ohne Gegenleistung erfolgen.

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      Der Geschäftsführer der Sorglos GmbH soll den Umfang der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben auf Anraten seines Steuerberaters jedoch lückenlos aufklären, um eine wirksame Selbstanzeige abgeben zu können. Bei einer Analyse der Vertriebsprozesse fällt dem Geschäftsführer auf, dass Erwin Eifrig in erheblichem Maße bei einigen Kunden Handelsvertreter einsetzt, um die Vertriebschancen in für die Sorglos GmbH schwer erreichbaren Gebieten zu optimieren. Bei einer Durchsicht des Kreditorenkontos „Lautlos GmbH“ wird außerdem festgestellt, dass Zahlungen an diese bereits seit vier Jahren stattfinden. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass Erwin Eifrig unter einem Vorwand Geld aus der Barkasse genommen hat, um dieses Gustav Gierig zur Verfügung zu stellen.

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      Zur Vorbereitung des Untersuchungsplans werden in Abstimmung mit dem Geschäftsführer von der untersuchenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nunmehr folgende Hypothesen aufgestellt:

1. Alle Zahlungen an die Lautlos GmbH sind erfolgt, um Gustav Gierig zu bestechen und sind daher nicht abzugsfähig.
2. Es sind auch Zahlungen an andere Kreditoren erfolgt, die dazu dienten, Einkäufer der Kunden der Sorglos GmbH zu bestechen.
3. Die Sorglos GmbH hat zu hohe Provisionen an Handelsvertreter gezahlt, um diese in die Lage zu versetzen, die Endkunden zu bestechen.
4. Erwin Eifrig hat Bargeldzahlungen zweckentfremdet und gefälschte oder nicht sachgerechte Belege verwendet, um Einkäufer zu bestechen.

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      Aus diesen Hypothesen werden nun Untersuchungshandlungen erarbeitet, die der nachfolgenden Tabelle entnommen werden können:

      Tab. 1: „Exemplarische Untersuchungshandlungen“

Hypothese Exemplarische Untersuchungshandlungen
Alle Zahlungen an die Lautlos GmbH sind erfolgt, um Gustav Gierig zu bestechen und sind daher nicht abzugsfähig. Untersuchung aller Zahlungen an die Lautlos GmbH (Vertrag, Rechnung, Leistungsnachweis, Waren-/Leistungseingang, Empfängerbankkontoverbindung)
Es sind auch Zahlungen an andere Kreditoren erfolgt, die dazu dienten, Einkäufer der Kunden der Sorglos GmbH zu bestechen. Identifikation ausgewählter Kreditoren nach Risikokategorien, z.B. aufgrund gesellschaftsrechtlicher Verflechtungen oder anderer Beziehungen zu Erwin Eifrig, des Namens, der Adresse, des Geschäftszwecks, des Gründungsdatums und der Entwicklung des Geschäftsverhältnisses im Zeitablauf.
Bei auffälligen Kreditoren: Untersuchung der Zahlungen, wie bei denen, die an die Lautlos GmbH geleistet wurden.
Die Sorglos GmbH hat zu hohe Provisionen an Handelsvertreter gezahlt, um diese in die Lage zu versetzen, die Endkunden zu bestechen. Untersuchung und Vergleich der Höhe der Provisionen an Handelsvertreter sowie Identifikation von Handelsvertretern, die weit überdurchschnittliche Provisionen erhalten.
Untersuchung der Geschäftsvorfälle, die durch überdurchschnittlich hohe Provisionen zu Stande gekommen sind im Detail
Erwin Eifrig hat Bargeldzahlungen zweckentfremdet und gefälschte oder nicht sachgerechte Belege verwendet, um Einkäufer zu bestechen. Untersuchung der Kostenerstattungen an Erwin Eifrig (z.B. Reise- und Entertainmentkosten) nach Risikomerkmalen, z.B. Geschäftsreisen in Gebiete, in denen kein Kunde der Sorglos GmbH sitzt, Geschäftsvorfälle ausgewählter Kostenarten, usw.
Untersuchung auffälliger Belege im Detail.

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      Weder die Hypothesen noch die Untersuchungshandlungen sind abschließend. Vielmehr handelt es sich um sog. „Moving Targets“, da sich im Laufe der Tax Investigation permanent neue Erkenntnisse ergeben können, die zu einer Erweiterung oder Schwerpunktverlagerung der Investigation führen. So kann es sein, dass es neue Erkenntnisse zum Umfang der involvierten Personen gibt und die Untersuchung insoweit erweitert werden muss. Außerdem kann es vorkommen, dass mehr Jahre als ursprünglich angenommen betroffen sind. Auch ist es möglich, dass es im Laufe der Untersuchung neue Erkenntnisse zu den Sachverhalten gibt, die insoweit eine Ausweitung der Untersuchung erfordern. Wenn sich in dem oben genannten Fall beispielsweise herausstellt, dass die Sorglos GmbH auch Agenten für den Weiterverkauf von Produkten eingesetzt hat, kann die Überprüfung der Verkaufspreise an ausgewählte Händler auch eine wichtige Untersuchungshandlung sein, um herauszufinden, inwieweit Händler möglicherweise in die Lage versetzt wurden, aus einer hohen Marge Schmiergeldzahlungen an Endkunden auszukehren.

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      Aus dem Gegenstand der Investigation (Scope of Work) und dem Untersuchungsplan lassen sich die finanziellen und zeitlichen Rahmenbedingungen für die Tax Investigation ableiten, die aber aufgrund der oben genannten Gründe einer permanenten Anpassung unterliegen können. Aus den Untersuchungszielen und dem Untersuchungsplan lassen sich auch die Anforderungen an die Teamexpertise ableiten, etwa forensische- und Projektmanagementerfahrungen, steuerliche Kenntnisse, Kenntnisse der Computer Forensic, usw.

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      Ggf. müssen auch rechtliche Rahmenbedingungen geklärt werden, z.B. ob die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, bevor etwa nicht strukturierte Daten wie Daten von Endgeräten, Servern, Mobiltelefonen, etc. ausgewertet werden (E-Discovery). Häufig werden im Rahmen eines E-Discovery-Verfahrens neben anderen Daten vor allem E-Mails auf Auffälligkeiten untersucht. Dazu gehören die forensische Analyse strukturierter und unstrukturierter Daten, die Durchsicht von Unterlagen und Belegen, forensische Interviews und Hintergrundrecherchen.

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      Während der Tax Investigation kann es auf Wunsch des betroffenen Unternehmens auch zur Zusammenarbeit mit Externen kommen, z.B. mit Steuerfahndern, Staatsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Rechtsanwälten, Steuerberatern und anderen. Die Dokumentationsphase dient der zielgerichteten Darstellung der Untersuchungsergebnisse. Die Berichterstattung kann vorerst nur internen Zwecken dienen und versetzt das Unternehmen in die Lage, sich ein Bild zu den relevanten Sachverhalten zu verschaffen. Häufig werden an die Dokumentation aber weitere Anforderungen gestellt, so dass diese vor Gericht verwertbar ist.

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      Eine der wesentlichen Folgemaßnahmen der Tax Investigation besteht darin, die Präventionsmaßnahmen für die Zukunft so anzupassen, dass vergleichbare Verstöße in Zukunft vermieden werden (Remediation). Außerdem sollten risikoorientiert vergleichbare Geschäftsvorfälle präventiv in Form von anlassunabhängigen Compliance Audits untersucht werden, um Verstöße in Zukunft, die trotz verbesserter