Clive Bucher

Mental Power


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zur Arbeit. Es dauerte nicht lange, bis mein Vorgesetzter merkte, dass ich Alkohol intus hatte.

      Direkt brachten sie mich zum Direktor, der mich zwei- bis dreimal fragte, ob ich Alkohol getrunken habe. Überzeugend wie ich war, verneinte ich alles, bis ich die erste Begegnung mit einem Alkohol-Messgerät machte. Danach wurde ich direkt in »meine Gruppe« verwiesen.

      Da meine Schulfreunde zu diesem Zeitpunkt in derselben Werkstatt arbeiteten, wurden sie ebenfalls getestet. Jeder fiel durch, einer hatte sogar 1,2 Promille. Ich frage mich bis heute, wie er unbemerkt arbeiten konnte. Leider kamen sie nur meinetwegen auf die Idee, die anderen Jungs ebenfalls zu testen, da man selten allein trinkt in diesem Alter. So hatte ich ziemlich viele Feinde bereits am ersten Arbeitstag, weil die Jungs dachten, dass ich sie verraten hätte.

      Daher musste ich zuerst noch ein ganzes Jahr arbeiten, um dann endlich mit 16 Jahren meine eigentliche Lehre als Polymechaniker zu beginnen.

      Auch dort musste ich mich zunächst beweisen. In der Schule hatte ich nur Fünfen und Sechsen (in der Schweiz ist im Gegensatz zu Deutschland eine Sechs die beste Note) und konnte somit diesen Beruf erlernen. Die Lehre zum Polymechaniker dauerte vier Jahre. Ich merkte schnell, dass das nicht mein Traumberuf war. In Wirklichkeit geisterte in meinem Hinterkopf immer noch der Traum vom Fußballprofi. Diesen heimlichen Wunsch wollte und konnte ich einfach nicht aufgeben.

      Wenn man sich an die Vorschriften hielt in seiner Gruppe, konnte man nach 1,5 Jahren in ein Begleitetes Wohnen (BEWO) ziehen. Der Vorteil war, dass man viel weniger Aufsicht hatte, da man langsam lernen musste, auf eigenen Beinen zu stehen. Wie du mich mittlerweile kennst, weißt du, dass ich natürlich nach 1,5 Jahren dafür noch lange nicht so weit war. Ich war tatsächlich der Letzte der Gruppe, der es ins Begleitete Wohnen schaffte.

      Teilweise bekam ich sogar eigene nur mir auferlegte »Clive«-Regeln und -Strafen, weil ich mich regelmäßig im Ton vergriffen habe. Ich sollte dann auf das Wort »STOP« schlagartig meinen Ton ändern. Das ging von der Abgabe von elektronischen Geräten bis hin zu Zimmerarrest, auch das hat nichts gebracht. Auch mit unseren Nachtwächtern hatte ich es nicht immer einfach, die alle zwei Stunden in unser Zimmer stolperten und sich mit einer Taschenlampe vergewissern wollten, dass wir im Bett lagen. Teilweise schlief der Nachtwächter auf der Treppe, weil er wusste, würde er das Haus wieder verlassen, »Rambazamba« wäre bei uns.

      Zwischen meinem 15. und 19. Lebensjahr gab es im Heim immer wieder Standortbestimmungen, um zu sehen, wie es mit meiner Entwicklung voranging. Was mich teilweise emotional traf, war, dass ich nicht oft mit der Teilnahme meiner Mutter rechnen konnte. Aber mein Großvater war immer anwesend mit einer zu bewundernden Präsenz! Je älter ich wurde, desto stärker distanzierte ich mich auch von meiner Mutter. Das lag daran, dass, wenn ich teilweise nach Hause konnte, die Wochenenden nicht mit Liebe erfüllt waren, sondern in den meisten Fällen im Streit endeten. Das war nicht immer einfach für mich, weil ich so keinen richtigen Halt hatte, was rückblickend wichtig für mich gewesen wäre. Ich hatte nie wirklich ein blendendes Verhältnis zu ihr, trotzdem liebe ich sie. Natürlich war ich auch nicht immer der Einfachste. Aber um ehrlich zu sein, richtige Liebe war definitiv ein Fremdwort für mich.

      Woran ich mich gerne zurückerinnere, sind all die Erlebnisse mit den damaligen Jungs im Heim. Wir machten Wanderungen, Ausflüge oder fuhren ins Ausland. Ich blicke nicht im Zorn zurück. Die Zeit im Heim hat mich stärker gemacht. Leider habe ich heute zu keinem der Jungs mehr Kontakt. Dennoch war es eine schöne Zeit mit einem starken Zusammenhalt. Im Nachhinein sehe ich vieles positiv, und über manches, was dort passiert ist, kann ich heute sogar lachen. Mein Leben war und ist immer noch turbulent. Das Leben ist eben eine Achterbahn, mal geht es hinauf, mal hinunter, daran wirst du nie etwas ändern können. Was du jedoch ändern kannst, ist deine Einstellung dazu. Denke daran, jede Erfahrung lässt dich reifen!

      Ein Zwischenschritt

      Mit 18 Jahren verlor ich endlich meinen Beistand. Daher begann ich nach der bestandenen Zwischenprüfung als Polymechaniker, Bewerbungen zu schreiben. Ich wollte meine Lehre extern abschließen, weil ich dann endlich das Heim verlassen könnte. Leider bekam ich sehr viele Absagen, da niemand ein »Heimkind« einstellen wollte. Erfreulicherweise rief mich eines Tages jemand an und lud mich aufgrund meiner Bewerbung zu einem Vorstellungsgespräch ein. Ich war sehr nervös und hatte keine Ahnung, wie so ein Gespräch ablaufen würde. Zwei Wochen nach dem Vorstellungsgespräch, die sich für mich endlos hinzogen, erhielt ich endlich die gute Nachricht, dass man mich nehmen würde. Ich war glücklicher denn je, schließlich bedeutete das für mich, dass ich nun endlich das Heim verlassen konnte.

      Der Tag des Auszugs kam immer näher. Ich konnte ihn kaum erwarten. Plötzlich war er da, ich fühlte mich wie der glücklichste Mensch auf Erden. Gleichzeitig war dieser neue Lebensabschnitt auch irgendwie verwirrend für mich, da ich nicht wusste, was es für mich bedeuten würde, frei und unabhängig zu sein. Was würde die Zukunft bringen? Nun stand ich allein da mit meinen kleinen Gepäckstücken und durfte endlich in Richtung Freiheit marschieren. Wenn ich ehrlich in mich hineinhörte, dann wusste ich eigentlich nicht, was es heißt, nach Hause zu gehen; wie auch, ich hatte mein ganzes Leben im Heim verbracht.

      Dieses Gefühl, das Heim verlassen zu können, konnte ich gar nicht richtig einordnen. War es Glück, Traurigkeit oder Wut? Ich habe einfach nicht realisiert, dass ich nun »frei« war. Zunächst wohnte ich bei meiner Tante, da es mit meiner Mutter immer wieder zu Streitigkeiten kam.

      Es war der Zeitpunkt gekommen, die große Welt zu betreten! Ich war hungrig, hungrig nach Erfolg, hungrig nach Unabhängigkeit! Ich war bereit, alles zu geben, um loszukommen von den negativen Glaubenssätzen, seelischen Verletzungen, Streitigkeiten oder dem ewigen Pessimismus. So begann ich, konsequent nach vorne zu schauen. Im Laufe meines Lebens hatte sich in mir eine Art Schutzmauer um mein Herz gebildet, um mich vor weiteren Verletzungen zu schützen.

      Nach dem Abschluss meiner vierjährigen Polymechaniker-Ausbildung zog ich bei meiner Tante aus. Ich war ihr sehr dankbar, dass sie mich aufgenommen hatte. Aber ich war nun mal nicht ihr Sohn und das spürte ich auch. Ich fühlte mich nicht immer willkommen und wollte endlich auf eigenen Beinen stehen. In meiner eigenen Wohnung wohnen, in der ich mich zu Hause fühlen kann, wo ich nicht aus Gesprächen ausweichen oder erklären muss, wo ich war und was ich gemacht habe. Ich wollte einfach meine eigenen vier Wände, wo ich tun und lassen kann, was immer ich will. Nun zog ich also in meine erste eigene Wohnung, kaufte mir ein Auto und fing an zu arbeiten.

      Heim-Bilanz

      Die Erziehung im Heim war sehr streng. Wie bereits erwähnt, herrschten strenge Regeln. Man wurde ständig kontrolliert und beaufsichtigt. Diese permanenten Kontrollen, die ständige Überwachung und die Regeln führten dazu, dass ich bis heute mit Bindungsängsten zu kämpfen habe. Wenn man sein Leben lang gefühlsmäßig auf Abwehr sein muss, weil es einen sonst selbst zerreißen würde, dauert es auch wieder länger, ehe man sich jemand anderem anvertrauen zu kann. Du gibst der Person, der du dich öffnest, die Macht, dich zu verletzen, du schenkst ihr den Schlüssel zu deinem Herzen, deshalb sollte es vorher gut überlegt sein, wem du diesen Schlüssel gibst, denn nicht jeder hat ihn verdient. Auch in der Familie hatte ich wenig Glück, schließlich bin ich ohne Vater aufgewachsen. Zu meiner Großmutter mütterlicherseits hatte ich nicht viel Kontakt, da sie nur italienisch sprach und ich den größten Teil meines Lebens im Heim lebte. Zu meinen Großeltern väterlicherseits hatte ich auch nur wenig Kontakt. Somit fehlte mir jeglicher Halt.

      Ich musste schon sehr früh auf eigenen Beinen stehen: mental, physisch und seelisch. Zwar hatte ich weitgehend Glück und konnte mir trotz aller widrigen Umstände ein sehr gutes Umfeld aufbauen, dennoch habe ich nicht die Liebe erhalten, die man sich als Kind wünscht und braucht. Alles hat einen Grund im Leben, das ist das Entscheidende, das muss man verstehen. Wenn ich jetzt zurückblicke, muss ich sagen, ich bin sogar dankbar für diesen Gefühlskrieg, denn er machte mich härter und lehrte mich so einiges. Alles hat immer zwei Seiten, die positive und die negative, ganz egal, was man macht im Leben, daran lässt sich nie etwas ändern. Was sich allerdings ändern lässt, ist die eigene Einstellung zur Situation, du kannst das Positive sowie auch das Negative ins Auge fassen. Ich bevorzuge, mich auf die positive Seite zu konzentrieren, da