Alain Sutter

Stressfrei glücklich sein


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wurde ich Profi beim Grasshopper Club Zürich. Zu verdanken hatte ich diesen Sprung Trainer Timo Konjetzka, der mich beim SC Bümpliz 78 entdeckt hatte. Er betreute mich optimal, setzte mich nie unter Druck und gestattete mir, wenn ich müde und erschöpft war, auch schon mal ein Training auszulassen. So konnte ich mich allmählich an die viel höhere körperliche Belastung gewöhnen.

      Bereits nach drei Monaten, immer noch siebzehn Jahre alt, erhielt ich das erste Aufgebot für die Schweizer Nationalmannschaft. Jetzt begann das Spiel mit Lob und Kritik auch öffentlich stattzufinden, was dem Ganzen zusätzlich noch eine ganz andere Dynamik verlieh und eine mir unbekannte Dimension annahm, mit der ich lange Jahre zu kämpfen hatte.

      Als Jahrhunderttalent gepriesen zu werden, war anfänglich sehr schmeichelhaft und angenehm, führte aber zu enormen Erwartungen an mich. Es besserte meine Angst, die Erwartungen anderer nicht zu erfüllen, sie zu enttäuschen und dadurch von ihnen kritisiert zu werden und erneut Verletzungen davonzutragen, nicht wirklich. War mir doch damals noch nicht bewusst, dass man andere gar nicht enttäuschen kann – es kann sich nur jeder selbst täuschen mit seinen Erwartungen, die er an andere stellt. Somit müssen wir den enttäuschten Menschen auch keine weitere Bedeutung mehr beimessen, wenn sie uns verantwortlich machen wollen für ihre eigene Enttäuschung. Vielmehr sollte jeder aufhören, Erwartungen auf den Schultern anderer Menschen abzuladen und sich stattdessen besser um sich und sein eigenes Leben kümmern.

      Mit meinen Erfolgen wurden äußere Einflüsse immer größer. Plötzlich bekam der finanzielle Aspekt mehr Bedeutung, der für mich bis dahin keine Rolle gespielt hatte. Stimmen wurden laut, die meinten, ich würde als Nationalspieler viel zu wenig verdienen. Ich hatte einen Vertrag über fünf Jahre beim Grasshopper Club Zürich (GCZ) unterschrieben. Die vereinbarte Summe war für einen Spieler, der aus der zweiten Liga kam, angemessen. Für einen Nationalspieler jedoch viel zu niedrig.

      Bei Vertragsabschluss hatte ich eine Reihe von mündlichen Zusicherungen des damaligen GCZ-Präsidenten Karl Oberholzer erhalten: Sollte ich im Laufe dieser fünf Jahre Stammspieler werden, würde mein Gehalt den Leistungen angepasst. Und sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass ich im selben Zeitraum gar noch Nationalspieler würde, stände einer nochmaligen Lohnerhöhung nichts im Wege. Niemand ging ja davon aus, dass ich dies alles innerhalb von drei Monaten erreichen würde.

      Meiner guten Leistungen wegen trugen andere Vereine Angebote an mich heran, in denen ich das Fünffache verdient hätte. Mein Fokus verlagerte sich langsam, aber sicher weg vom Fußballspielen und hin zum Geldverdienen. Was zur Folge hatte, dass ich immer mehr Stress aufbaute, weil ichmeinen Blick auf eine Nebensächlichkeit richtete, die mich davon abhielt, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren – den Fußball. Das wirkte sich dann direkt auf meine Leistungen aus, die immer schlechter wurden, was wiederum zur Folge hatte, dass sich noch mehr Stress und Unzufriedenheit in mir ausbreiteten.

      Die Präsidentschaft hatte ein Jahr nach meiner Vertragsunterzeichnung beim GCZ gewechselt und der neue Präsident, Dr. Thomas Preiss, wusste natürlich nichts von meinen mündlichen Abmachungen mit Karl Oberholzer.

      Die Wichtigkeit, die ich plötzlich meinem Verdienst beimaß, führte schließlich zu einer regelrechten Schlammschlacht meinerseits in Richtung des Grasshopper Clubs Zürich. Ich fühlte mich durch meine eigene Wahl, wie ich die Gegebenheiten sehen wollte, ungerecht behandelt, und die Tatsache, dass ich den Vertrag selbst unterschrieben hatte, geriet bei mir vollkommen in Vergessenheit. Ich übernahm nicht mehr die Verantwortung dafür.

      Nach einem sechsmonatigen Streit mit dem Grasshopper Club Zürich erpresste ich mir quasi meinen Wechsel zu den Berner Young Boys, indem ich dem GCZ drohte, mit dem Fußballspielen aufzuhören, falls sie mich nicht ziehen ließen. Schließlich kam ein zweijähriges Leihgeschäft zustande.

      Mein Abstecher nach Bern und seine Folgen

      Der Abstecher nach Bern war kurz und lehrreich. Mittlerweile war ich neunzehn Jahre alt. Zwei Monate vor Saisonende wurde ich fristlos entlassen. Im Nachhinein betrachtet waren die zehn Monate bei den Berner Young Boys für mich ein schönes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man sich für stark hält, obwohl man schwach ist, die falschen Prioritäten im Leben setzt, sich selbst und seine Taten zu wichtig nimmt und die Verantwortung für das eigene Leben nicht übernimmt – als »Ausgleich« dafür aber allem und jedem die Schuld in die Schuhe schiebt und alle mit dem, was sie vermeintlich falsch machen, konfrontiert.

      Zum Glück ließ mich der Grasshopper Club Zürich, dem immer noch die Rechte an mir gehörten, nicht fallen. Der Umstand, dass ich innerhalb von zehn Monaten vom Nationalspieler zum Arbeitslosen wurde und ich, auf Knien bettelnd, vom neuen Führungsduo Vogel/Hitzfeld eine neue Chance erhielt, bewegte mich dazu, über mich und mein Verhalten gründlich und ehrlich nachzudenken.

      Die Suche beginnt

      Da in einem persönlichen Umfeld immer eine große emotionale Bindung vorhanden ist, nimmt die subjektive Betrachtungsweise der Geschehnisse dort immer noch stark zu. So bliesen auch bei mir alle ins gleiche Horn, nämlich dass die Schuld bei den anderen und den Umständen liege. Das »Schöne« bei dieser Sache ist, dass man überall genügend Fehler findet, die die anderen machen und diese einem natürlich immer recht geben für das eigene Denken und Handeln. Mit dieser Sicht der Dinge konnte ich mich aber nicht mehr länger zufriedengeben. Zwar war es ein Leichtes, weiterhin mit dem Finger auf andere zu zeigen und sie verantwortlich zu machen für meine Situation. Doch ich realisierte, dass sich mit dieser Einstellung meine Situation und mein Befinden nie ändern würden und das Gefühl der Hilfund Machtlosigkeit nur noch größer würde. Allmählich wurde mir bewusst, dass ich selbst dafür verantwortlich bin, wie ich auf äußere Umstände reagiere und was ich daraus mache.

      Damals gab es noch keine Mentaltrainer. Auch Sportpsychologen waren kein wirkliches Thema. Weit und breit war also niemand, der mir entsprechende Impulse hätte geben können.

      Ich begann, erste Schritte zu machen, um mir selbst zu helfen. Dazu verschlang ich zunächst jede Menge Bücher mit dem Thema, wie der Mensch am besten sein Potenzial entfalten kann. Alles, was mir daraus für mein Leben geeignet schien, setzte ich um. Doch all die Bücher waren wie Schall und Rauch im Gegensatz zum größten Lehrmeister, den ich in dieser Zeit zu entdecken begann: das Leben. Sofern wir bereit sind, ganz und gar in der Gegenwart zu leben, ist das Leben selbst mit all den Erfahrungen, die wir machen, der beste Lehrmeister für uns. So war ich langsam in der Lage, meine Ängste und Sorgen, meine Stärken und Schwächen, meinen Glauben und meine tiefsten Überzeugungen wahrzunehmen. Mehr und mehr wurden mir so die Beweggründe meines Verhaltens bewusst.

      Zu diesem Prozess trug auch wesentlich meine früh beendete Fußballkarriere bei, indem ich bereits mit 30 Jahren aus dem Hamsterrad des Erfolgreich-sein-Müssens ausgestiegen bin. In der Anonymität von Miami wurde mir schnell klar, dass Alain Sutter, der Fußballstar, nicht wirklich wichtig ist. Von diesem Zeitpunkt an konnte ich mich nicht mehr auf die bis dahin lebenslange Krücke Fußball mit all meinen Erfolgen und dem daraus entstehendem Prestige stützen – was mir bislang ein Gefühl der Sicherheit und Wichtigkeit gab, aus dem heraus ich mein Selbstvertrauen und meinen Selbstwert schöpfte. Das war verdammt hart, aber im Nachhinein das Beste, was mir passieren konnte.

      Es war in dieser Zeit meines Lebens für mich unglaublich schwierig zu verstehen und zu akzeptieren, weshalb ich jetzt, wo ich doch scheinbar alles hatte, was »man« sich nur wünschen konnte, nicht glücklich und zufrieden war. Im Gegenteil, es war eine Zeit, in der ich mich vollkommen hilfund orientierungslos fühlte. Mir stand die ganze Welt offen, ich hatte finanziell keine Nöte, war gesund, konnte tun und lassen, was ich wollte, und lebte in einer intakten Beziehung. Dafür nahm in dieser Zeit ein Schreckgespenst langsam Form an: Ist das Beste in meinem Leben schon vorbei? Was fange ich bloß mit dem hoffentlich langen Rest meines Lebens an? Für was empfinde ich Freude, Enthusiasmus und Begeisterung? Diese und ähnliche Fragen jagten mich bald täglich.

      Doch eine Antwort war weit entfernt, denn in mir herrschten Verwirrung, Chaos, Unklarheit und Orientierungslosigkeit. Zu meinem Entsetzen wurde mir bewusst, dass ich während der ersten 30 Jahre meines Lebens den Kontakt zu mir selbst