Doch meistens war ich zufrieden, mit Joey zu spielen, oft ohne zu reden, weil ich einfach wusste, dass er als mein Freund für mich da war. Aber das Leben ist eine Reihe von Wendepunkten, und eines Tages sollte sich alles ändern.
Ich hatte es endlich geschafft, ein paar Freunde zu überreden, mich zu Hause zu besuchen. Das war eine große Sache – wir hatten G. I.-Joe-Figuren in meinem Zimmer aufgestellt. Ich war Teil einer Gruppe und näherte mich auf Zehenspitzen einem normalen Leben an.
Aber nichts ruiniert so einen Spielnachmittag schneller, als wenn dein schizophrener Bruder durch die Schlafzimmertür hereinstürmt, schreit, dass du ein ausländischer Spion bist und dich am Kragen aus dem Haus zerrt. Game over.
Der nächste Tag in der Schule war die Hölle auf Erden. Kinder können grausam sein, und ich fand mich umgeben von einer Gruppe, die mich gnadenlos wegen meines »komischen Bruders« hänselte. Ich war am Boden zerstört. An dem Abend war es ein langer Marsch nach Hause. Dann passierte jedoch etwas, was meinen Tag in der Schule wie einen Erholungsspaziergang erscheinen ließ. Ganz plötzlich hatte ich eine Furcht einflößende Vision: Mein Vater lag auf dem Bett in einem Krankenhaus, atmete kaum, überall waren Schläuche. Ich hatte noch nie zuvor etwas dieser Größenordnung erlebt. Es war so lebendig – ich wusste sogar, dass die Ursache seiner Krankheit Diabetes war.
Aber meine Mutter ignorierte die Vision. »Ach, Süßer, deinem Vater geht es gut, du hast zu viel ferngesehen.« Natürlich hatten meine Eltern bereits alle Hände voll zu tun mit der Schizophrenie meines Bruders, also achteten sie wenig auf meine wachsenden Fähigkeiten. Aber ich wusste, was ich gesehen hatte – ich hatte Visionen und für mich waren sie sehr real. Tatsächlich starb mein Vater zehn Jahre später an Diabetes.
Als kleiner Junge hatte ich das Gefühl festzustecken. Niemand verstand mich und ich war völlig aus dem Häuschen. Ich hatte nicht die Mittel, um damit klarzukommen oder es zu verstehen, also traf ich eine Entscheidung: Ich würde die ganzen verrückten Stimmen und seltsamen Visionen aussperren, komisches Zeug, weg mit dir! Von da an war es Zeit für die Operation normales Kind.
Zuerst war es natürlich unmöglich, die Bilder wegzuschieben; es fühlte sich an, als müsste ich einen Hurrikan mit meinen bloßen Händen aufhalten. Aber ich entwickelte bald eine anstrengende neue Routine: Wenn Verstorbene auftauchten, schaute ich weg, ich ging ihnen aus dem Weg, scheuchte sie weg, mied sie, sosehr ich nur konnte. Ich sagte sogar meinem imaginären Freund Joey, dass ich nicht mehr sein Freund sein konnte.
Und auf einmal war Joey weg – zusammen mit allen anderen Stimmen und Visionen.
So viele Fragen
Ich verlor meine Gabe niemals wirklich, sie blieb. Als ich älter wurde saß ich, während meine Freunde in der Highschool draußen Baseball spielten, in der Bibliothek und vergrub mich unter Bergen von Büchern über Spiritualität und Parapsychologie.
Ich assoziierte nach wie vor meine verborgenen Fähigkeiten mit dem Leiden meines Bruders. Wurde ich verrückt? Stimmte etwas mit mir nicht? War ich schizophren wie mein Bruder Tom? So viele Fragen und ängstliche Sorgen und niemand, mit dem ich sie hätte bereden können! Whittier in Kalifornien war in den 197oer Jahren nicht unbedingt ein spiritueller Brennpunkt, an dem es vor Medien nur so wimmelte, sodass viele Fragen unbeantwortet blieben.
Eine Sache begriff ich allerdings bald, dass das Leben immer einen Weg findet. Ich erfuhr, dass mein Onkel Leo – der Bruder meines Vaters – ein großes Interesse an der geistigen Welt hatte. Er schickte mir spirituelle Bücher aus Italien, wo er lebte, darunter einige über das Leben nach dem Tod und über Wiedergeburt, die er selbst geschrieben hatte.
Natürlich entdeckte mein Vater eines Tages diese Bücher und ließ sie auf den Müll bringen, aber für mich gab es kein Zurück mehr. Während meiner endlosen Studien der Parapsychologie stellte ich fest, dass der Katholizismus das Gegenteil dessen war, was ich brauchte. Ich ließ die Bombe platzen und verkündete meinen Eltern, dass ich nicht mehr in die Kirche Geben würde.
Weitere Studien
Danach war ich im Haus meiner Eltern nicht länger willkommen, aber ich umarmte das nächste Kapitel meines Lebens. Ich suchte mir eine eigene Wohnung, einen Job als Kassierer bei Vons, einem Supermarkt am Ort, und wechselte an die University of Southern California in Los Angeles.
Jetzt – endlich – begann ich zu verstehen, wer ich wirklich war. Ich schrieb mich für einen Psychologiekurs ein, und während einer besonders interessanten Vorlesung über psychische Krankheiten erhielt ich die Bestätigung, dass ich tatsächlich nicht schizophren war: Die Symptome waren anders, die Krankheit wäre in diesem Alter bereits ausgebrochen etc. Ich erfuhr genug, um zu verstehen, dass meine Visionen und Stimmen nicht das Resultat der Krankheit waren, die ich befürchtete.
Die Angst verflog wie aufsteigender Nebel – plötzlich fühlte ich mich offen und frei genug, meine Gabe als Segen anzusehen, statt als Fluch!
Eines der Lieblingszitate von Einstein war: »Die wichtigste Entscheidung, die wir treffen, ist die, ob wir glauben, in einem freundlichen oder einem feindseligen Universum zu leben.« Mein eigenes Universum war beträchtlich freundlicher geworden. Ich hatte meine Perspektive verändert und begann, die Bereiche meines Lebens, die mich behinderten, hinter mir zu lassen. Wir alle haben unseren Weg und ich fing an, meine eigene, individuelle Reise zu genießen, bildlich gesprochen: das Verdeck unten und die Sonne im Gesicht.
Jetzt konnte ich meine Gabe als Freund ansehen statt als Feind und mein Herz und mein Bewusstsein öffneten sich einem neuen Fluss. Man könnte vielleicht sagen, dass meine Energie sich damals veränderte. Ich fühlte mich leichter und hatte das Gefühl, mehr Kontrolle zu haben.
Der Traum
Meine Träume veränderten sich ebenfalls und besonders einer von ihnen veränderte mein Leben. In unseren Träumen hat das Unterbewusstsein freie Bahn. Wenn unser bewusster Verstand »ruht«, werden unsere inneren Glaubenssätze, Gedanken und Erfahrungen verarbeitet. Das kann in Form von Bildern und Geschichten geschehen, die wir nicht verstehen-sie bedürfen der Interpretation. Zu anderen Gelegenheiten präsentieren sie sich etwas nüchterner und ergeben vielleicht mehr Sinn. Es kann auch vorkommen, dass wir Verbindungen und »Besuche« von anderen Seelen erhalten, Zeichen bekommen, Ahnungen, Warnungen und alle möglichen Arten von Datenverkehr von anderen »Ebenen«.
Manche Träume fühlen sich einfach anders an. Sie haben eine andersweltliche Qualität, die tagelang bleibt und tatsächlich sehr direkt sein kann. Eines Abends nach einem langen Tag an der USC hatte ich einen dieser Träume. Ich legte mich in mein Bett und fiel in einen tiefen Schlaf.
Ich sah mich in einer Boeing 747, die in Kalkutta landete. Die Landschaft war bedeckt von kleinen Feuern. Ich trat auf das Rollfeld und mich traf ein Schwall heißer, dicker Luft. Ich sah ein kleines beiges Gebäude: das Flughafen-Terminal.
Eine alte Frau erschien, sie trug einen frischen, weißen Sari mit blauen Streifen. Ich wusste, dass wir dazu bestimmt waren, uns zu begegnen und ich sah, dass sie von einem hellen Licht umgeben war. Während ich näher kam, wurde das Licht heller. Ich spürte seine Wärme.
Ich erkannte Mutter Teresa. Sie griff nach mir und umarmte mich, als wäre ich ihr lange verlorenes Kind. Ich fühlte, wie unglaubliche Liebe und Frieden über mich brandeten. Dann kamen vier Missionare auf uns zu und umarmten mich, als würde ich zur Familie gehören. Wir hörten gar nicht auf, uns der Reihe nach immer wieder zu umarmen. Ich war daheim, an einem fremden Ort, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Aber ich wusste, dass dies die Heimat war, nach der ich mich mein ganzes Leben gesehnt hatte. Es wurde nicht gesprochen. Das war auch nicht nötig. Wir kommunizierten in Gedanken – machtvollen, liebevollen Gedanken.
Ich erwachte aufgrund einer heilenden Präsenz in meinem Zimmer. Eine friedliche, heilende Energie, ich kann es nicht anders erklären. Sie bewegte sich auf die Tür zu und verschwand, als hätte sie ihre Botschaft überbracht.
Mutter Teresa? Die berühmteste katholische Nonne des Planeten? Ich hatte gerade so viel Distanz wie möglich zwischen der katholischen Kirche und mir hergestellt, warum war ich also erwählt