Sebastian Siegel

Die Bewusstseinsrevolution


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ausmalen kannst? Oder ist es dein eigentliches Ziel, dich zu verirren? Wenn das Reiseziel einmal bestimmt ist, dann legst du als Nächstes die Route fest. Erfahrene Reisende planen ihre Ferien, ihr Abenteuer, ihre Tour immer im Voraus. Dann fahren sie los, um Neues und Unerwartetes zu entdecken.

      Das Beispiel der Reiseplanung zeigt, wie leicht die Neigung entstehen kann, ein Gefühl der Vorbestimmtheit zu entwickeln. Das betrifft auch unsere Lebensreise als Ganzes. Wenn wir an Schicksal denken, so meinen wir oft die Ahnung von etwas Unvermeidbarem, von etwas, was wir spüren und kommen sehen, und was einen endgültigen Charakter hat. Es besteht zwar kein Zweifel daran, dass Zielorientierung eine Schlüsselvoraussetzung dafür ist, um sich erfolgreich durchs Leben zu bewegen. Andererseits aber ist es eine Illusion zu glauben, dass wir garantiert an einem bestimmten Ort ankommen werden, und von dort auf die zurückgelegte Wegstrecke zurückschauen.

      Im Englischen wird »Schicksal« meist als »destiny« wiedergegeben. Das Oxford Wörterbuch des Englischen (Oxford English Dictionary, OED) gibt dafür die folgende Definition: »Ereignisse, die einer bestimmten Person oder Sache in der Zukunft unbedingt zustoßen werden.« Das Wort ist mit dem deutschen Fremdwort »Destination« verwandt und kommt vom Lateinischen »destinare« … vorbestimmen, festlegen. »Destiny« ist also etwas, was schon festgelegt ist.

      In diesem Begriff des Schicksals liegt aber eine doppelte Gefahr. Wenn ich einerseits zuversichtlich in die Zukunft schaue und etwas Gutes erwarte, so kann mich diese Sichtweise dazu verführen, zu zaudern und notwendige Handlungen aufzuschieben. Es passiert ja sowieso, da brauche ich nichts weiter für zu tun! Andererseits aber, wenn ich der Zukunft eher ängstlich entgegensehe und etwas Schlimmes erwarte, dann brauche ich auch nicht zu handeln, da jeder Versuch, das Unvermeidbare abzuwenden, ohnehin nutzlos wäre. Im Unterbewusstsein helfen wir dann vielleicht sogar dabei mit, das unerwünschte Ereignis hervorzubringen. Man nennt das oft eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

      Diese Einstellung erklärt auch die andauernde Faszination mit den »Prophezeiungen« des Nostradamus, die zuerst im Jahre 1555 veröffentlicht wurden. Seine Vorhersagen sind so geheimnisvoll und unpräzise formuliert, dass sie das Interesse und die Fantasie der Menschen nun schon seit Jahrhunderten beschäftigen. Gewöhnlich werden die Schriften des Nostradamus im Nachhinein so interpretiert, als hätten sie historische Ereignisse wie den Brand Londons (1666), die Französische Revolution (1789) und den darauf folgenden Aufstieg Napoleons »vorausgesagt«.

      Hitlers Aufstieg und Fall soll zum Beispiel in den folgenden beiden Vierzeilern angekündigt worden sein:

      Im tiefsten Westen von Europa,

      wird von armen Leuten ein junges Kind geboren,

      durch seine Sprache verführt es große Menschenmassen,

      sein Lärm wird in den Reichen des Ostens anwachsen.

      (Nostradamus: Centurien III, 35)

      Bestien, wild vom Hunger, durchschwimmen den Fluss,

      größere Teile des Heeres stellen sich gegen Hister,

      Im eisernen Käfig wird sie der Große verschleppen,

      wenn das Kind Deutschlands nichts beobachten wird.

      (ebd. II, 24)

      Andere Beispiele für Ereignisse, die hinterher in den Text hineininterpretiert wurden, sind der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki sowie die jeweiligen Attentate auf die beiden Kennedybrüder. Der Angriff auf das World Trade Center in New York am ii. September 2001 soll in den folgenden Zeilen vorhergesagt worden sein:

      Erschütterndes Feuer aus der Mitte der Erde,

      lässt die neue Stadt erbeben:

      Zwei große Felsblöcke führen über lange Zeit Krieg,

      dann wird Arethusa den neuen Strom rot färben.

      (ebd. I, 87)

      Manchmal wurde dieses »etwas in den Text hineinlesen« auch zu Propagandazwecken missbraucht. So entdeckte Joseph Goebbels’ Frau Magda zu Beginn des Zweiten Weltkriegs einen Nostradamus-Vierzeiler, den sie als Prophezeiung eines Sieges der Nazis auslegen zu können glaubte. Goebbels benutzte diese Information dann in einem Pamphlet, das in ganz Europa verbreitet wurde und dazu dienen sollte, andere Länder davon zu überzeugen, dass die nationalsozialistische Position gerechtfertigt war. Zur selben Zeit benutzten auch die Metro-Goldwyn-Mayer-Studios in Hollywood die Texte des Nostradamus mit dem Ziel, die amerikanische Kriegsmoral zu stärken.

      Ein anderes Beispiel, das übrigens viel zur Popularität des Nostradamus beitrug, ereignete sich schon zu seinen Lebzeiten. Im Jahre 1555 traf er sich mit Katharina von Medici, der Frau des französischen Königs Heinrich II. von Orléans. Katharina war an Nostradamus’ Weissagungen über die Zukunft ihrer Familie und des Königreichs interessiert. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, des Königs, im Jahr 1559, als dieser an den Folgen eines Unfalls während eines Lanzenturniers starb, wurden die folgenden Zeilen als Prophezeiung interpretiert:

      Der junge Löwe wird den alten besiegen,

      auf dem Kampfplatz in einem einzigen Duell:

      Im goldenen Käfig wird er ihm die Augen ausstechen,

      zwei Wunden werden eine, er stirbt einen grausamen Tod.

      (ebd. I, 35)

      Heinrich wurde von einem Grafen Montgomery getötet. Dieser war sechs Jahre jünger als der König und beide trugen Schilde, auf denen Löwen abgebildet waren. Montgo-merys ansonsten stumpfe Lanze zerschellte und verwundete den König an zwei Stellen: ein Splitter drang durchs Auge ins Gehirn und ein zweiter verletzte ihn an der Schläfe. Heinrich überlebte noch zehn Tage und starb eines qualvollen Todes. Kein Wunder eigentlich, dass diese Übereinstimmungen vom Standpunkt Katharinas wie eine Vorhersage aussahen.

      Ebenso lässt sich vielleicht Nostradamus’ Lebensauffassung aus seiner Biographie erklären. Sowohl seine erste Frau als auch die beiden Kinder aus dieser Ehe wurden Opfer der Pest. Es ist durchaus vorstellbar, dass eine solche Erfahrung zu der Überzeugung führt, dass das Leben von der irrationalen Macht des Schicksals kontrolliert und bestimmt wird.

      Eine ganz andere Auffassung hingegen vertritt Picasso. Stell dir vor, du bist, wie er, ein Wunderkind und wirst von früher Kindheit an für jedes Gemälde und jede Zeichnung in den höchsten Tönen gelobt. Ist es da nicht leicht verständlich, dass sich so der Glaube formiert, dass das Leben zu deinen Gunsten vorprogrammiert ist? Dennoch betont Picasso die Notwendigkeit, selbst aktiv zu werden. Er sagt: »Die Tat ist der Schlüssel zu jeglichem Erfolg.« Ähnlich äußert sich auch Mahatma Gandhi, einer der bedeutendsten Pazifisten aller Zeiten, dem es gelang, mit eiserner Disziplin, großer Vorausschau und Unnachgiebigkeit den Kurs der Geschichte zu verändern:

      »In fast allen Fällen ist es letzten Endes unwichtig, was du tust. Wichtig ist aber, dass du es tust. Du musst das Richtige tun. Es gibt keinen Anspruch darauf, die Früchte deines Handelns zu ernten. Aber das kann niemals heißen, dass du aufgibst, das Richtige zu tun. Vielleicht wirst du die Früchte deines Handelns nie sehen. Aber wenn du nichts tust, dann gibt es niemals Früchte.«

      Und über das Verhältnis zwischen Tun und Schicksal sagt Gandhi:

      »Deine Überzeugungen werden zu Gedanken. Deine Gedanken werden zu Worten. Deine Worte werden zu Taten. Deine Taten werden zu Gewohnheiten. Deine Gewohnheiten verwandeln sich in Werte. Deine Werte sind dein Schicksal.«

      Was also ist dann das Schicksal? Schicksal ist Potenzial. Schicksal ist Möglichkeit. Im Schicksal entfaltet sich der Kosmos auf mannigfaltige Weise durch dich. Kannst du fühlen, wie es in jedem Bereich deines Lebens eine unendliche Vielfalt von Möglichkeiten gibt? Kreativität wird dann viel wichtiger als Intellekt. Die Tatsache, dass es so viele mögliche Endresultate gibt, erlaubt es dir, verschiedene Handlungsweisen und Szenarien in der Vorstellung durchzuspielen. Es ist, als strecktest du deine Hand in Richtung Zukunft aus, unmittelbar in das Reich grenzenloser Möglichkeiten. Stell dir vor, wie deine Hand dort intuitiv eine zweite Hand findet, durch reines Erspüren, ohne dabei von den Augen geleitet zu werden. Diese zweite