und ich beschließe kurzerhand, am nächsten Morgen in das Krankenhaus, in die Ambulanz von Puerto Natales zu gehen. Ich habe keinerlei Idee, was für ein Tier mich gestochen haben könnte. Die bekannten Genossen wie Moskito, Floh oder Wanze kenne ich inzwischen. Einer von ihnen war es nicht.
Ich bin total erstaunt über dieses kleine Krankenhaus: neu, sauber, ein super freundlicher Arzt und eine gute Beratung. Ich muss auch gar nicht warten und zahle 25 Dollar und das Antibiotikum, das ich mir dann in der Apotheke kaufe. Das hätte ich nicht gedacht, das ist mindestens so gut wie bei uns und sicher billiger. Das Antibiotikum hilft rasch und ich bin zufrieden.
Aus den Nachrichten erfahre ich, dass die ganze Region der Atacama-Wüste und auch San Pedro de Atacama wegen massiver Überschwemmungen gesperrt sind, ebenso Arica ganz im Norden Chiles. Dort hat es noch nie so viel geregnet. Die Straßen sind nicht befahrbar. Ich möchte ja vom Süden ganz in den Norden nach Chile. Mal sehen, ob das klappt.
Navimag
Das Frachtschiff der Navimag wurde für Passagiere umgebaut.Das Einchecken erfolgt an einem Schalter in der Busstation. Es ist den ganzen Tag möglich. Boarding auf die Fähre findet dann abends um 23 Uhr statt. Das gewährleistet, dass das Schiff morgens abfahren kann, wenn das Wetter am günstigsten ist und nicht noch auf einzelne Gäste gewartet werden muss. In der ersten Nacht liegt das Schiff noch im Hafen. Den habe ich mir schon mittags angesehen. Alles wirkt irgendwie sehr abenteuerlich. Das Schiff ist nicht mehr ganz neu. Es wird wie auch immer eine spannende Reise werden. Man ist die ganze Zeit auf dem Schiff. Aussteigen ist nicht vorgesehen. Aber oben gibt es ein riesiges Deck mit Bänken.
Die Fähre transportiert Reisende, die sich keine Kreuzfahrt leisten können – aber diese Reise ist tausendmal besser als jede Kreuzfahrt und mit einem sehr netten, etwas alternativen Publikum.
Die Fahrt dauert fünf Tage. Vier Nächte an Bord durch den Süden Chiles, durch diese spektakuläre rauhe Landschaft, vorbei am Nationalpark Torres del Paine, den patagonischen Kanälen und unberührten Inseln des Pazifik, vorbei an den Gletschern und schneebedeckten Bergen, an alten Schiffswracks, die niemand mehr aus dem Meer räumt, mit Sonnenauf- und -untergängen, wie ich sie noch nie gesehen habe. Himmelsformationen, Wolken, Nebel und strahlendes Blau. Ein Blau über den Inselchen, das man mit Worten gar nicht beschreiben kann, so tief und intensiv scheint es. Und mit interessanten Menschen an Bord, die bald wie eine Familie sind. Sie kommen aus aller Herren Länder, jeder mit einer eigenen außergewöhnlichen Reisegeschichte. Es sind fast nur Langzeitreisende, Menschen im jungen und mittleren Alter. Sie machen Musik, sie haben Gitarren dabei und singen, und sie machen Yoga auf dem Deck des Schiffes, zweimal am Tag. Das gehört zum Angebot der Crew. Außerdem werden täglich Vorträge über Flora und Fauna Patagoniens angeboten.
Eine Traumreise durch die Fjordlandschaft des Pazifik, im chilenischen Teil von Patagonien.
Bevor wir unsere Kabinen beziehen gibt es Instruktionen für die fünf Tage. Vollverpflegung, eine Bar, kein Wifi – wunderbar. Die Mitreisenden scheinen nett, es gibt auch ein paar ältere Leute. Sogleich habe ich guten Kontakt zu einer Österreicherin und einem Schweizer.
Ich habe eine Vier-Bett-Kabine ganz für mich allein. Traumhaft, viel Platz und ich kann die Tür schließen. Durch eine Schiffsluke kann ich hinaussehen. Die Gemeinschaftsduschen und Bäder sind sauber und funktionieren. Das Essen ist nach meinem Geschmack sehr gut und vor allem sehr reichhaltig. Das Ganze funktioniert ein bisschen wie in einer Jugendherberge und man holt sich das Essen selbst an der Essensausgabe. Das Geschirr bringt man dann zurück. Tee, Kaffee, Saft und Obst gibt es immer.
Den ersten Morgen um 6 Uhr, oder je nach Wetter eventuell auch früher, legt das Schiff ab. Ich habe gut geschlafen und werde wach durch Hafen- und Motorengeräusche. Als ich aus dem Kabinenfenster schaue, fahren wir schon. Nichts wie an Deck, das muss ich mitbekommen.
Als Erstes durchqueren wir den Union-Sund und nehmen Kurs auf die engste Stelle der gesamten Strecke. Sie ist nur 80 Meter breit. Es ist kalt, der Himmel blau, die Sonne schon lange aufgegangen und schon fahren wir durch diese filmreife Landschaft vorbei an kleinen Inselchen. Die Robben grüßen und begleiten das Schiff und die schneebedeckten Berge sind eine Pracht.
Ich stehe da und bin so glücklich, dass ich das noch erleben darf. Da von meinen Freunden niemand da ist, mit dem ich es teilen kann, teile ich es mit den anderen, mir noch fremden Mitreisenden, die genau wie ich dastehen und staunen. Dieses Teilen eines Naturwunders verbindet und macht warm ums Herz, es ist so, als ob diese Natur in der Lage ist, Liebe und Frieden auszulösen. Mir kommen ein paar Tränen, so gerührt bin ich von dem Anblick und auch von der Stille um uns herum. Das Schiff gleitet und macht kein Geräusch. Den anderen geht es genauso. Delfine schwimmen neben dem Schiff.
Die Lichtverhältnisse erinnern mich an Bilder aus Island, ein wechselhaftes Farbenspiel am Himmel.
Wir steuern auf die kleine Siedlung Puerto Eden zu, die sich auf der Insel Wellington befindet. Sie ist eine der größten Inseln Chiles und gehört zum Nationalpark Bernardo O’Higgins. Hier leben nur wenig Menschen. Zwei Personen kommen mit einem kleinen Boot und steigen zu und ein Postsack wird abgeladen.
Inzwischen haben wir eine kleine Gruppe gebildet, die bei den Mahlzeiten an einem Tisch sitzt. Wir treffen uns immer wieder und kennen bald unsere ganzen Lebensgeschichten. Abends spielen wir und machen auch das Yoga zusammen.
Da ist Roberto, der Italiener, mittelalt, Fahrradfahrer, durch ganz Argentinien geradelt, durch Patagonien. Bergauf, bergab, tagelang niemanden gesehen, alle Wetterlagen erlebt und durchlitten, besonders Sturm und Hitze. Er zeigt Fotos. Wie ist es, wenn man tagelang niemanden sieht? Angst, wenn etwas passiert, die nicht enden wollenden Straßen immer geradeaus, ab und zu mit Kollegen radeln. Die große Einsamkeit genießen. Diese Art des Unterwegsseins ist seine große Liebe. Entsprechend drahtig, muskulös und braungebrannt kommt er daher.
Der Schweizer Erich, Bergsteiger nicht nur in der Schweiz, Bergliebhaber, seine Frau gar nicht, besteigt hier die Berge und vergleicht sie immer mit denen in der Schweiz. Er ist begeistert von Patagonien. Wer als Bergsteiger nicht in Südamerika war, muss auf die schönsten Berge verzichten. Jeder Berg ist ein ganz besonderes Individuum. Bergsteiger sprechen von ihren Bergen wie von ihren Kindern.
Ich habe viele Bergsteiger unterwegs getroffen, die meisten aus der Schweiz und Österreich, aber auch aus Deutschland oder aus südamerikanischen Ländern. Sie wirken auf mich wie eine eigene Spezies.
Die Österreicherin Elli, frisch geschieden, Sozialarbeiterin, Mitte 40, statt einer Pilgerreise auf dem Jakobsweg hat sie sich für Patagonien entschieden, ihre erste Reise alleine. Nachdem sie Familie, Mann, Kinder, Haus und das Übliche durch hat, ist sie nun, wie sie sagt, in der Alterspubertät und in der Lebensphase der Befreiung. Solche Leute sind immer spontan, begeisterungsfähig und erproben gerne Neues. Deswegen mag ich sie besonders. Wenn man die nämlich fragt, hast Du Lust auf irgendwelche verrückten neuen Ideen, für die ich immer zu haben bin, dann sagen sie fast immer spontan „ja“.
Bei den anderen höre ich nur: Ja gerne, aber ... tolle Idee, aber ... so gibt es viele Menschen, auch gute Freunde von mir, die in ihrem Leben niemals irgendetwas mit mir anstellen würden. Ich habe wohl Verständnis dafür, aber diese Freiheits-Emanzipationskämpfer wie Elli, zu denen zieht es mich dann doch eher hin, wenn ich etwas vorhabe und eine Begleitung suche.
Und dann ist da noch ein älterer Herr, der ab und zu auch in unserer Runde dabeisitzt. Bob aus USA. Er fiel mir schon beim Einsteigen auf, weil er weder Funktionskleidung noch Rucksack trägt, sondern Anzug, Hemd und Krawatte, einen eleganten Mantel und einen Koffer. Er sieht so aus, als ob er gesundheitlich nicht so ganz auf der Höhe ist; berichtet, er würde in die ganze Welt reisen, prahlt etwas nervig damit, wo er überall schon war. Es gibt wohl keinen Ort, den er noch nicht gesehen hat. Er habe viel Geld und wolle das jetzt ausgeben. Wobei man sich fragt, warum er kein Kreuzfahrtschiff besteigt. Er macht sich damit nicht ganz so beliebt, da er aber sehr allein zu sein scheint und auch nicht so Anschluss findet, landet er schließlich an unserem Tisch. Er sitzt meist nur dabei und redet sonst nicht viel.
Am nächsten Tag fahren wir durch den Golfo de Penas. Das Schiff schwankt, die Wellen sind 3 – 6 Meter hoch. Hoffentlich wird mir nicht schlecht. Die Crew hat Reisepillen