Elke Weickelt

Esta Sola. Sind Sie allein?


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und zu 100 Dollar Strafe verurteilt, weil das in Patagonien verboten ist. Immer wieder geschieht es, dass sie machen, wozu sie Lust haben, ohne sich auch nur ein einziges Mal erkundigt zu haben, was in so einem anderen Land üblich ist, was erlaubt ist, wie die Sitten und Traditionen sind. Das finde ich oft auch respektlos. Dazu gehört auch das halbbekleidete Schlendern durch Städte, in denen zum Beispiel überwiegend Indigene leben. Haben diese Touristen sich jemals gefragt, wie hier die Frauen gesehen werden, wie moralische Vorstellungen sind? Ich habe mich für diese Europäer immer geschämt.

      Am letzten Abend fliehe ich aus dem Hostel. Es ist mir zu laut. Ich gehe ein Bier trinken und lerne Michel aus Irland kennen. Ein netter Kerl. Wir verstehen uns sofort und tauschen unsere Reiseerlebnisse aus.

      Das charakteristische an solchen Reisebekanntschaften ist ja, dass man sich meistens nur kurz sieht, dass aber so eine Begegnung ungeheuer intensiv und vertraut sein kann, wie das zuhause in dieser Kürze niemals möglich wäre. Manchmal trifft man sich dann noch einmal oder mehrmals auf so einer Reise und vielleicht hat man auch später noch Kontakt, wenn man wieder daheim ist.

      Man hat sich meistens mehr erzählt als sonst üblich wäre in so kurzer Zeit, aber vor allem verbindet einen das Reiseerlebnis, etwas Außergewöhnliches in einer biografisch betrachtet ganz besonderen Situation.

      El Calafate

      Mit dem Bus bin ich in drei Stunden von El Chalten in El Calafate. Der Ort liegt auch noch im Nationalpark Los Glaciares und ist Ausgangspunkt für Touren zum weltberühmten großen Gletscher Perito Moreno, sicher einem der Höhepunkte Patagoniens. Und deswegen gibt es auch hier viele Touristen. Der Ort lebt heute praktisch nur vom Tourismus.

      Calafate ist der Name eines in Patagonien häufig anzutreffenden Strauchgewächses mit gelben Blüten und dunkelblauen Beeren, gut für Marmelade und Likör.

      Mein Hostel ist schön, gemütlich und nachdem ich meine Hose ausgewaschen habe, mache ich eine erste Wanderung zur Laguna Nimez.

      Der Weg führt einen Kilometer am Ufer des Lago Argentino direkt in dieses Landschaftsschutzgebiet für einheimische Vögel. Es ist eingegrenzt und wird bewacht. Auf einem fünf Kilometer langen Rundweg kann ich neben der einheimischen Flora die Vögel ganz nah beobachten: Enten, Schwarzhalsschwäne, Flamingos, Singvögel, Falken und viele andere. Eine wunderbare Ruhe hier. Die ist für mich vorbei, als ich beobachte, wie sich ein großer Hund vom Strand her durch den Zaun gräbt und in den Lagunen die Flamingos jagt. Ich bin empört. Als ich das später dem Ranger melde, erzählt er, dass das ein großes Problem ist. Da gibt es so viele frei lebende Hunde, die haben Hunger und jagen dann die Vögel. Man versucht, die Hunde zu verjagen, aber das gelingt nicht immer.

      Abends treffe ich im Hostel eine Kanadierin, 32 Jahre alt, und wir erzählen. Sie ist seit zweieinhalb Jahren allein in der Welt unterwegs, überall. Vor Südamerika war sie in Afrika. An Aufhören denkt sie nicht. Ich kann das gut verstehen. Ich glaube, es muss fantastisch sein. Mal sehen, wie lange ich das noch so sehe. Vielleicht für immer?

      Sie hat nirgends Probleme gehabt, ist nirgends überfallen oder ausgeraubt worden. Ich glaube inzwischen, die einzige Gefahr ist, dass man krank wird. Dann sieht es schlecht aus mit dem Reisen. Aber das macht nur älteren Leuten Sorge.

      Wir reden über Fremdheit. Was ist das, wer ist fremd. Warum zieht das Fremde manche Menschen so an und anderen macht es Angst. Einige sind immer wieder neugierig auf neues Fremdes, andere macht es aggressiv. Es kann sogar, wie bei uns beiden, eine Sehnsucht danach geben.

      Fremd ist doch, wenn etwas noch nicht vertraut ist, anders, als wir es kennen und natürlich damit auch unberechenbar. Wir haben dann keine Erfahrung damit und wissen nicht, ob es vielleicht auch eine Gefahr ist.

      Aber Fremdes fordert uns, neue Erfahrungen zu machen. Und das bietet uns die Chance, uns zu entwickeln.

      Wir kommen zu dem Ergebnis, dass ein progressiver Umgang mit dem Fremden etwas Wunderbares ist. Das heißt zunächst einmal, dass wir klar sehen, akzeptieren und es auch aussprechen, dass das Fremde wirklich fremd ist. So können wir staunen über dieses Andersartige. Und die Akzeptanz schützt uns doch davor, es zu erobern, es zu integrieren, es zu rauben. Das ist das Gegenteil von dem, was die Kolonialisten getan haben.

      Mit einem progressiven Umgang haben wir beide auf unseren Reisen gute Erfahrungen gemacht und das hat uns die Welt eröffnet. Ich meine damit, dass ich in Begegnungen mit den Menschen oft sehr bald klar gestellt habe, dass mir ihr Leben, ihre Sitten, alles einfach fremd ist. Ich glaube, damit haben sie sich akzeptiert gefühlt, waren oft stolz und haben mir alles erklärt und gezeigt. Niemals bin ich eine von ihnen, ich bin ganz anders und wenn ich das sage, öffnet es Herzen und lässt jeden so sein, wie er ist. Das fördert Neugier, Interesse und nicht Neid oder Vergleiche.

      Schon im ersten Kontakt mit einem Menschen hier habe ich die gegenseitige Fremdheit oft thematisiert.

      Ich bin anders, ich bin Tourist und ich spreche nicht gut spanisch. Das kann der Boden für wunderbare Freundschaften sein. Wenn man dann noch ein Lächeln hinzufügt, kommt man immer weiter, findet man immer Kontakt (fast immer).

      Wenn ich abends durch El Calafate gehe, muss ich über die Hunde schmunzeln. Es gibt hier sehr viele und vor allem auch so viele große Hunde. Sie liegen oft mitten im Eingang zu den Grillrestaurants. Von drinnen kommen gute Fleischgerüche. Und was machen die Touristen, die rein wollen? Wie selbstverständlich klettern sie über die Hunde, die nicht mal ein Ohr heben. Oder sie liegen auch quer über dem Bürgersteig und alle Touristen steigen drüber, als wäre es das Normalste der Welt. Wo viele Touristen sind, fällt oft auch für freie Hunde einiges ab.

      Bevor ich den großen Perito Moreno besuche, gehe ich erst einmal ins Museum Glaciarium, ins Gletschermuseum, um mich zu informieren. Die Idee ist gut, da es den ganzen Tag stark regnet und außerdem tut mir das Knie weh. Ich lerne, was ein Gletscher ist: eine aus Schnee hervorgegangene Eismasse mit einem klar definierten Einzugsgebiet, die sich aufgrund von Hangneigung, Struktur des Eises, Temperatur und der aus der Masse des Eises und den anderen Faktoren hervorgehenden Schubspannung eigenständig bewegt. In diesem Museum kann man alles über Gletscher erfahren und auch über Gletscherschmelze und Klimawandel.

      Zum Perito Moreno fahre ich mit dem Bus. Dieser Gletscher ist etwa 18.000 Jahre alt und einer der wenigen auf der Welt, die noch wachsen. Er gehört zum UNESCO-Weltnaturerbe und erstreckt sich über 250 Quadratkilometer, ist 30 Kilometer lang und drei Kilometer breit. Er ist eines der spektakulärsten Naturwunder in Südamerika. Die Eismassen schieben sich in den Lago Argentino.

      Zunächst steige ich in ein Schiff und wir fahren zu der gewaltigen Eiswand, bleiben aber in gebührendem Abstand. Von hier aus kann man unglaubliche Fotos machen.

      In unregelmäßigen Abständen brechen gewaltige Eisstücke von der Kante ab und krachen mit lautem Getöse ins Wasser. Kalben nennt man das. Die Farben des Eises schimmern in so vielen Blautönen und Weiß und Türkis, wie ich es kaum glauben kann, dass es das überhaupt gibt.

      Nach der Bootsfahrt laufe ich auf einer Aussichtsplattform die ganze Breite des Gletschers ab. Man sieht hier ein Reisevolk in Funktionskleidung, wie in ganz Patagonien. Alle tragen – freiwillig – die gleichen Hosen, Hemden, Jacken, Schuhe, Marken, keine Individualität. Die Uniform der Reichen, eine teure Ausrüstung.

      Ich kann keine Funktionsklamotten mehr sehen, obwohl sie sicherlich hoch funktional sind.

      Backpacker treffe ich kaum. Wo sind sie? Ist es zu teuer hier?

      Der Perito Moreno ist nicht der einzige Gletscher.

      Am Folgetag habe ich mich für eine fünfstündige Schifffahrt auf dem Lago Argentino angemeldet, um einmal die abgebrochenen, zum Teil riesigen Eisstücke, Eisberge, im Wasser schwimmend, zu bewundern und an die anderen Gletscher heranzufahren.

      Der Glaciar Spegazzini ist mit 130 Meter über dem See höher als der Perito Moreno.

      Der Upsala-Gletscher ist der größte Gletscher von Südamerika und bedeckt ein Gebiet von 870 Quadratkilometern. Er ist 60 Kilometer lang und 70 Meter hoch. Große Eisberge treiben vor einer Gletscherzunge und verhindern ein nahes Herankommen. Diese Eisberge sind für Schiffe nicht ungefährlich.