Elke Weickelt

Esta Sola. Sind Sie allein?


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neun Uhr gehen wir los, früh für Argentinien.

      Als die beiden fertig sind, trifft mich fast der Schlag. Sie sind zurechtgemacht, geschminkt, in Kleidern und Schmuck und aufgemotzten Frisuren, wie wenn sie zum Fasching gehen wollten. Ich habe keinerlei Festkleidung dabei und auch nur zwei Hosen. Ich ziehe die graue Sommerhose und die langärmelige Amazonasbluse, die eigentlich gegen die Moskitos ist, an. Schminke habe ich natürlich auch nicht und Schmuck schon gar nicht.

      Ich sehe neben den beiden sehr blass aus. Es ist mir etwas peinlich. Nicht, weil ich so aussehe, aber ich möchte mich schon an die Regeln des Gastlandes anpassen, nur habe ich einfach keine Klamotten für ein Weihnachtsessen.

      Ich äußere meine Bedenken, aber sie nehmen mich in die Mitte und auf geht es. Es ist ein ganzes Stück zu laufen. Und dann wird es einer meiner schönsten Weihnachtsabende.

      Mein Spanisch fließt von allein, perfekt, je mehr Rotwein, desto besser. Das Restaurant ist festlich, Weihnachtsdekoration überall und viele Gäste. Nach kurzer Zeit schon ist es wie in einer großen Familie. Es gibt ein köstliches Menü, argentinisches Asado, Lamm gegrillt, und der Wirt geht ständig herum und legt nach. Es schmeckt so gut. Jemand singt, jemand macht Musik und ich habe selten so viel gelacht. Ich bin glücklich und vermisse nichts.

      Um zwei Uhr nachts gehen wir ins Hostel zurück und ich bin todmüde. Die beiden machen sich frisch und gehen ­tanzen in irgendeine Disco bis zum frühen Morgen. So sind Argentinierinnen und sie sind auch schon beide Mitte fünfzig. Unglaublich.

      Wir haben in den nächsten Tagen in diesem schäbigen Hostel so viel Spaß und kochen fast jeden Abend zusammen. Das heißt: Sie kochen und ich helfe schnippeln. Beide sind hervorragende Köchinnen und es gibt jeden Tag ein köstliches argentinisches Gericht. Wir sind dann die einzigen Gäste und haben alles für uns. So lerne ich die argentinische Küche kennen.

      Alexandra und Patricia sind beide geschieden, haben beide viele Kinder, wie es in Argentinien üblich ist, und beide sind berufstätig. Alexandra arbeitet als Psychologin und Patricia als Journalistin. Sie sind dicke Freundinnen und sehr stolz, dass sie den Absprung aus den engen restriktiven, patriarchalisch dominierten Strukturen geschafft haben und genießen ihr Leben. Mit Alexandra, die in Nordargentinien, in Cordoba, lebt und die ich später dort noch einmal besuchen werde, habe ich heute noch Kontakt.

      Man darf nicht vergessen, dass es überhaupt nicht üblich ist, dass Frauen hier alleine reisen. Allein schon deswegen wird man komisch angeschaut und ständig gefragt, warum man das macht und was mit der Familie ist. „Esta sola?“ (Sind Sie allein?) ist die Standardfrage. Als Fremde geht es wahrscheinlich noch eher denn als Einheimische. Deswegen reisen die beiden immer zusammen.

      Meine Freundin Maria, die eine Wohnung in Spanien hat und dort jedes Jahr verweilt, sagte mir: „Hier, in Spanien, ist das Wort „sola“ meist damit verbunden, dass die alleinige Person als bedauernswert gilt und ganz besonders bedauernswert, wenn es eine Frau ist.“

      Sogar in Spanien. Kann ich kaum glauben.

      Wir unternehmen in den Folgetagen vieles zusammen und machen eine Schiffstour. Allerdings eine sehr argentinische für argentinische Touristen. Das Schiff ist drei Stunden im Hafen und vor der Küste unterwegs, begleitet von lauter Musik, und die Bar spielt eine wichtige Rolle. Ich lasse mich drauf ein. Die beiden geben mir zwei Bier aus und es wird geschunkelt, gesungen und viel gelacht. Der Spaß am Dasein. Für mich ungewohnt, aber es ist ein wunderschöner Nachmittag.

      Die Stadt hat eine lange Uferpromenade. An den Bootsstegen liegen dicke Seelöwen und ab und zu legt ein Kreuzfahrtschiff an.

      Ich habe das Gefühl, dass die Menschen, die eine Kreuzfahrt machen, wenn sie Ausgang haben, alle irgendwie gleich aussehen und insbesondere ihren gesamten Schmuck und ihre Kameras zur Schau stellen.

      Versteht man das? Das will ich nicht verstehen.

      Am zweiten Weihnachtstag habe ich mir in einem hoch gelobten Fischrestaurant einen Tisch bestellt. Der Fisch ist hervorragend, aber als Frau abends, dann noch zu so einem Familienfest wie Weihnachten allein in ein Restaurant zu gehen, ist hier wohl eigentlich gar nicht möglich. Sehr wohl bemerke ich ratlose, aber auch neugierige Blicke, nicht nur von dem ungläubig drein schauenden Kellner, der dann nochmals fragt: „Esta sola?“, obwohl ich doch einen Tisch für eine Person reserviert habe.

      Naja, ich lächele progressiv zurück, aber mein Wohlbefinden ist doch etwas beeinträchtigt, so dass ich dann nach dem Essen auch gleich zurück ins Hostel gehe.

      Die Hostel-Mutter hat den Kühlschrank sauber gemacht – allerdings habe ich sie auch darum gebeten.

      Bevor ich eine große Tour zur Halbinsel Valdes buche, fahre ich mit dem Bus erst einmal zwölf Kilometer südlich zur Seelöwenkolonie Punta Loma. Die Männchen der süd­amerikanischen Seelöwen, auch Mähnenrobben genannt, sind gewaltige Tiere. Sie können zweieinhalb Meter lang werden und bis zu fünfhundert Kilo wiegen. Man sollte ihnen nicht zu nahe kommen. Sie sind schneller als man denkt bei dem Umfang. Die Weibchen sind kleiner. Diese Kolonie lebt hier dauerhaft. Es sind bis zu sechshundert Tiere und sie werden geschützt.

      Danach besuche ich ein kleines felsiges Kap, Punta Cuevas. Man sieht alte Fundamente im Felsen von den Häusern der ersten Kolonisten aus dem 19. Jahrhundert, die hier ihre Häuser in den Fels gegraben haben. Dort steht auch ein großes Denkmal für die Tehuelche-Indianer, neben den Mapuche eines der indigenen Völker Patagoniens. Sie waren Jäger und Sammler.

      In Puerto Madryn gibt es wie in so vielen Orten in Argentinien ein Monument für die im Falklandkrieg gefallenen Soldaten. Die Argentinier haben den Verlust der Falklandinseln nie akzeptiert. Überall an großen Denkmälern findet man die Schrift: „Die Falklandinseln gehören zu Argentinien“.

      Der lange Tagesausflug auf die Valdes Halbinsel ist spektakulär. Die Insel ist ein großes Naturreservat. Um beweglich zu sein und auch eine Führung zu den verstreut liegenden Orten zu haben, schließe ich mich einer Tour an. Wir sind nur sechs in einem Van.

      Es gibt einen kleinen Ort auf der Halbinsel: Puerto Piramides, ansonsten ist sie nur von Tieren bewohnt. Es ist heiß. Ich habe so viele Tiere wie hier noch nie gesehen: Maras, Guanacos, Peludos (Gürteltier), Nandus, Lagartija de Darwin (Eidechse), Loicas (Vogel mit rotem Bauch), Choiques (Strauss), Seelöwen, See-Elefanten, Magellan-Pinguine, und im Wasser Delfine und Wale leben hier: Der Ballena franca austral mit bis zu zwölf Meter Länge ist im Frühjahr in den Buchten zu sehen und die Orcas (Schwertwale). Die sind Räuber und können sich die Robben vom Strand holen. Sie lassen sich mit einer Welle etwas anspülen, schnappen zu und lassen sich mit dem Wasser wieder ins Meer zurückziehen. Stundenlang kann ich durch das riesige Brutgebiet der Magellan-Pinguine schlendern. Bis zu 600.000 Pinguine haben hier ihre Höhlen, brüten und ziehen ihre Jungen auf. Es gibt angelegte Wege, die man nicht verlassen darf. Wenn ein Pinguin über den Weg läuft, muss man warten. Er hat immer „Vorfahrt“. Die Höhlen mit den Jungen drin sind auch unmittelbar am Weg und man kann sehen, wie sie gefüttert werden. Manchmal, wenn sie schon ein bisschen größer sind, warten sie sehnsüchtig vor der Höhle auf die Rückkehr der Eltern mit Fischfutter. Es ist unglaublich anrührend. Sie sind überall auf dem großen Gelände.

      Auf dem Rückweg machen wir noch einmal Halt an einer Bucht. Von oben hat man den Blick auf eine große Seelöwenkolonie. Dann höre ich, wie jemand meinen Namen ruft. Ich drehe mich um und hinter mir – das glaube ich jetzt nicht, steht mein Nachbar aus meinem Heimatort.

      Es gibt so merkwürdige Zufälle. Da reist man ans Ende der Welt und wen trifft man? Seinen Nachbarn von zuhause.

      Das katapultiert mich erst mal irgendwie raus aus der Ferne. Ach ja, ein „Zuhause“ gibt es ja auch noch. Habe ich gar nicht mehr dran gedacht und auch nicht vermisst.

      Am letzten Tag gehe ich noch ins Museum. Im Café spricht mich eine Dame aus Deutschland an.

      Sie kommt von einem Kreuzfahrtschiff und hat Ausgang ins Museum. Ihre zweiwöchige Patagonien-Kreuzfahrt führt von Buenos Aires nach Santiago de Chile. Sie ist enttäuscht. 4.000 Menschen sind auf dem Schiff. Die Reise ist teuer gewesen und dazu kommen noch viele Nebenkosten. Alles müsse extra bezahlt werden. Und Anschluss