Elke Weickelt

Esta Sola. Sind Sie allein?


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die der konservativen Enge der Militärdiktatur entfliehen wollten, um hier, von der Hippie­kultur inspiriert einen naturnahen Lebensstil zu ­pflegen. Diese Hippiekolonie gibt es noch heute und sie ist prägend für die Stadt.

      Die Menschen verdienen ihr Geld überwiegend mit Kunsthandwerk. Ihre Produkte, wunderschöner Schmuck zum Beispiel, verkaufen sie auf der wöchentlich stattfindenden Feria Artesanal, einem großen Kunsthandwerksmarkt auf der Plaza, aber auch außerhalb von El Bolson. Dieser Markt ist bekannt und zieht viele Touristen an. Auf ihrer Reise durch Patagonien machen die meisten deswegen einen Stopp in El Bolson.

      Ich erlebe hier eine Gemeinschaft junger Familien, die ein bisschen immer noch wie Hippies aussehen und Bio-Landwirtschaft betreiben, einen engen freundschaftlichen Zusammenhalt und liebevollen Umgang miteinander pflegen und dabei nach wie vor sehr kritisch geblieben sind. Mich hat das beeindruckt.

      Der Geist des guten Miteinanders ist zu spüren, auch wenn das Leben hier hart ist. Viele sind Selbstversorger.

      Es gibt ein Kunst-Café, ein eigenes Kulturzentrum in einem großen, bunt angemalten Gebäude, in dem es auch ein hervorragendes Restaurant gibt, Feria francia, und einen großen gartenähnlichen Platz mit Tischen, Bänken, kleinen Marktständen. Ich habe hier jeden Mittag selbstgemachte vegetarische Speisen und große Salatteller genossen oder im Garten gesessen, gelesen, mich gesonnt und die Familien beobachtet. Sie machen Musik, trommeln und verkaufen ihre Ökoware. Häufig gibt es kreative Programme für die Kinder, Musik oder Malstunden. In einem kleinen Laden kann man selbst gemachte Produkte kaufen, verschiedene Leckereien, Grundnahrungsmittel und selbst gebackenes Brot. Abends treffen sich die Leute hier auf ein Bierchen. Man kann immer draußen sitzen.

      Nach ein paar Tagen kennt man sich und ich fühle mich gut aufgenommen. Ich habe zwei Familien durch ihren Alltag begleitet, geholfen bei der Kinderversorgung, auf dem Markt und beim Ernten und ich habe eine intakte Gemeinschaft erlebt. Diese Menschen sind arm, aber sie wirken zufrieden. Auch eine Art zu leben in Argentinien. Diese Hippies sind auch politisch aktiv. Ich habe auch hier, wie in Buenos Aires, einige Demonstrationen beobachtet und bin auch mitgelaufen, für Frauengleichberechtigung.

      Sexualstraftäter werden in Argentinien übrigens mit Foto und Personalien an die Häuserwände geprangert.

      Ansonsten ist die Stimmung immer irgendwie gut. Backpacker sind willkommen.

      Im Hostel habe ich in meinem kleinen Zimmer zuerst einmal das Fenster repariert, mit Stöckchen und Pflaster, damit es sich schließen lässt. Diese Dinge macht man hier am besten selber. Man kann nicht davon ausgehen, wenn man sich über irgendetwas beschwert, dass jemand kommt und es dann wieder funktioniert. Es läuft hier anders, die Menschen denken anders, aber meist sehr freundlich, wenn auch weder logisch noch verständlich noch ökonomisch, allerdings immer wieder überraschend kreativ – egal was es ist.

      Meine Freundin Rita hat ein – wie ich finde – so typisches Beispiel von ihrer Reise nach Kolumbien erzählt. Sie hat es Lebenshilfe genannt: „Nach drei Monaten Nicaragua bin ich endlich wieder in der Zivilisation angekommen!!! Bogota! Hier habe ich im Übrigen im Gegensatz zu dem nicaraguanischen Genuschel JEDES Wort verstanden ... Ich wohnte bei einem Freund, ein intelligenter, empathischer junger Mann, Carlos, Dipl. Ingenieur. Er warnte mich, auf keinen Fall das Wasser aus dem Hahn zu trinken!! Muy peligroso!! (sehr gefährlich). Ein paar Tage später, als kein Flaschenwasser mehr da war, wir wohnten im 8. Stock, meinte er, das Leitungswasser sei: muy saludable! Muy muy saludable!!!!(sehr gesund) Ich habe daraus gelernt, dass wir Deutschen uns das Leben schon manchmal unnötig schwer machen! Eine echte Lebenshilfe!“

      Das kann man in Südamerika lernen: Widersprüche akzeptieren. Und vor allem muss man sie auch aushalten können.Meine sich wiederholende Erkenntnis in Südamerika: „Es ist wie es ist. Basta.“

      Es ist heiß, 34 Grad, aber bei diesem Klima einen Blick auf die schneebedeckten Andengipfel zu haben, – eine filmreife Kulisse. Das Bier, Artesanal, das es in den zwei Brauereien gibt, ist köstlich. Artesanal bedeutet Kunsthandwerk und diese Biere hier sind auch Kunsthandwerk. Es ist möglich, kreativ Bier zu brauen. El Bolson ist bekannt dafür. Es gibt nicht die strengen Regeln wie in Deutschland. Frambuesa, Roja und viele andere Sorten sind unbedingt probierenswert. Oder auch Schwarzbier zur „happy hour“, danach kann man besonders gut schlafen.

      Mit dem Essen habe ich mich in Südamerika total umstellen müssen. Als Norddeutsche bin ich gewohnt, um 18 Uhr abends zu essen. Das geht hier alles gar nicht. Vor 20 oder gar 22 Uhr macht in Südamerika kein Restaurant auf. Und überhaupt erwachen die Menschen zum vergnüglichen Leben erst spät abends, einschließlich aller Kinder, auch der ganz kleinen. Es wird dann meistens laut. So manches Mal war Oropax eines meiner wichtigen Reiseutensilien, die ich niemals hätte missen mögen. Meine Hauptmahlzeit habe ich daraufhin auf den Mittag verlegt. Kein Problem, da die Südamerikaner auch mittags üppige Menüs verzehren. Diese Menüs für sehr wenig Geld gibt es überall. Viele Südamerikaner essen auch zum Frühstück Reis, Kartoffeln, Fleisch und Gemüse. Überhaupt essen sie unglaubliche Mengen und viele bringen auch das entsprechende Gewicht auf die Waage.

      Meine Tage sind gefüllt mit Wanderungen auf die Berge, zu den Seen, in die Nachbardörfer, zu den Märkten. Ich habe Franziskaner-Gottesdienste im Freien beobachtet und stundenlange Ehrungen und Aufmärsche der Polizei am „Tag der Polizei“. An dem Tag, als das argentinische Fußballspiel Boca gegen River Plate in Madrid stattfindet – man hat es ja wegen massiver gewalttätiger Ausschreitungen der Fans in Buenos Aires kurzerhand nach Madrid verlegt –, gibt es niemanden mehr, der nicht vor dem Fernseher sitzt. Als dann River Plate gewinnt, füllen sich die Straßen rasant mit tausend lärmenden, Fahnen schwenkenden Menschen, diversen Autokorsos, merkwürdigen sonstigen Gefährten und Schrottkis­ten und sehr vielen schrägen Typen, einschließlich sämtlicher laut bellender Straßenhunde. Ich weiß gar nicht, wo all die Leute herkommen. Bis zum Morgengrauen feiern sie, tanzen, singen und schwenken ihre Fahnen, ziehen immer wieder durch die Stadt.

      Die Hunde laufen rechts und links neben den Autos her und bellen wie verrückt, in dem Versuch, sie, die Feinde, die Eindringlinge aus ihrem Revier zu vertreiben. Sie laufen so nah an den Autos, dass ich mich wundere, dass sie nicht überfahren werden. Es ist immer wieder dasselbe Bild, bei jedem Auto. In der Mitte der Straße ist ein Grünstreifen, dort liegen sie und wenn ein Auto kommt, jagen sie es, manchmal zu fünft oder zu sechst.

      Das Verhältnis der Südamerikaner zu Hunden ist ein sehr spezielles. Es gibt hier so unendlich viele herrenlose, frei lebende Hunde. Man trifft sie halb verhungert, krank und verwahrlost neben den großen Fernstraßen, z. B. in Peru, wo sie ihre Nahrung in dem aus den Autos und Bussen geworfenen Müll, sprich Plastiktüten suchen. Man trifft sie in den Städten, wo sie liebevoll von der Bevölkerung gefüttert werden, im Winter ein Hundemäntelchen übergestülpt bekommen und einen Karton als Schlafstatt. So habe ich es in Chile gesehen. Vor einem Supermarkt aufgereiht acht Verpackungskartons, in jedem lag abends ein Hund, in einen zwängten sich gleich zwei. Viele Hunde tragen auch einen Schal gegen die Kälte, so gesehen in San Pedro de Atacama.

      Ich habe frei lebende Hunde in Kasernen gesehen. Wenn das Tor sich öffnet, stürmen etwa 20 bis 30 Hunde in die Kaserne. Offensichtlich bekommen sie da Reste. Die Militärs lassen sie gewähren. Und ich habe Hundehorden von 30 Tieren gesehen, z. B. in Bolivien, die nachts laut bellend und auch sich bekämpfend durch die Städte ziehen und jede abgestellte Mülltüte aufbeißen und nach Nahrung durchsuchen.

      Hunde fressen hier alles: Pommes frites, Kuchenreste, Brötchen, Obst ... alles.

      Aber es gibt auch die Hunde als Haustiere, so wie bei uns, alle Rassen dieser Welt, immer angeleint, sicher teuer, weil reinrassig, die, als was weiß ich von ihren Besitzern gebraucht, verhätschelt, missbraucht werden, Welpen von jungen Frauen ganz offensichtlich als Babyersatz auf dem Arm getragen. In den edlen Vierteln der Großstädte, wie in Buenos Aires gesehen, werden diese Haushunde von sog. Hunde-Gassi-Gehern ausgeführt. Man sieht dann so einen Gassi-Geher mit bis zu 20 Hunden an der Leine durch den dichten Verkehr ziehen. Und dann gibt es noch die Nackthunde in Peru, ohne Fell, eine Rassenspezialität dieses Landes – sehr elegant.

      Esquel

      Die Busfahrt nach Esquel führt durch eine traumhafte Seen- und Berglandschaft.