Einkaufsorganisation ohne Einfluss
Einer meiner Bekannten nahm vor einigen Jahren eine Position als CPO in einem großen globalen Pharmakonzern an, die dem CFO unterstellt und berichtspflichtig war. Der Einkauf war dort eine etablierte Funktion, die Wertschätzung genoss. Er verfügte über ein Team von annehmbarer Größe, eine gute Mischung strategischer und operativer Ressourcen sowohl auf zentraler als auch regionaler Ebene, und einige seiner Mitarbeiter hatten gute Beziehungen zu ihren Fachkollegen in anderen Bereichen des Unternehmens geknüpft.
Schon vor der Ankunft des neuen CPO konnte der Einkauf beachtliche Einsparungen vorweisen – in einigen Warengruppen sogar in Höhe von 10 % und mehr. Außerdem gab es dort gut dokumentierte Beschaffungsrichtlinien und Verfahren. Der CPO hatte in verschiedenen Großkonzernen gearbeitet und seinen Einkaufsteams dank der spektakulären Ergebnisse zum Aufstieg auf eine ganz neue Ebene verholfen. Auf den ersten Blick schienen für den CPO alle Voraussetzungen erfüllt zu sein, um den Einkauf in seinem neuen Unternehmen unverzüglich auf die »nächsthöhere Ebene« zu führen, das heißt, über den Einsparungsbereich hinaus. Doch der CPO vermied diesen Fehler. Er hatte eine realistische Einstellung zum Ausgangspunkt der Reise.
Fakt war, dass der Einkauf in keine der wirklich wichtigen Entscheidungen des Unternehmens einbezogen wurde, weil es an Vertrauen in seine Urteilsfähigkeit mangelte. Schlüsselentscheidungen, beispielsweise welche Medikamente in den Markt eingeführt werden sollten, ob sie wirtschaftlich tragfähig waren, in welche Lieferanten man investieren sollte und wie sich das Lieferkettenrisiko reduzieren ließ, gehörten nicht zu seiner Aufgabenstellung. Die erzielten Einsparungen waren entweder nicht glaubhaft oder nicht sichtbar für diejenigen im Unternehmen, die Einfluss besaßen. Der CPO wusste das, es war ihm schon vor Antritt seiner Stellung bekannt. Deshalb hatte es für ihn höchste Priorität, allen zunächst einmal vor Augen zu führen, dass seine Funktion Kostenvorteile zu liefern verstand. Ein Etappenziel und ein Erfolg, auf dem er Glaubwürdigkeit aufbauen konnte.
In den beiden ersten Jahren bereinigte er einige administrative Prozesse, stärkte sein Team und dessen firmeninterne Interaktionen und legte ein Einsparungsprogramm mit sichtbarem Nutzen vor, das Rückhalt bei den meisten Angestellten des Unternehmens fand. Von dieser Position ausgehend gelang es ihm, Aufgabenstellung und Auftrag Schritt für Schritt zu erweitern, weil seine Kollegen gesehen hatten, dass seine Herangehensweise Kostenvorteile erbrachte und dazu beitrug, die Supply-Chain-Risiken mit den Schlüssellieferanten besser in den Griff zu bekommen – was sich direkt auf die Umsatz- und Ergebnisentwicklung des Unternehmens auswirkte.
Der CPO in diesem Beispiel besaß Selbstvertrauen und genug Augenmaß, um die Ausgangsposition des Einkaufs in seinem Unternehmen zu verstehen und die richtigen Prioritäten und Ziele zu setzen. Hätte er versucht, mit seiner Funktion unverzüglich auch in andere Aufgabenbereiche vorzustoßen, wäre er nach meiner Einschätzung nicht in der Lage gewesen, einen so großen Beitrag zur Wertschöpfung zu leisten wie heute.
Die Einkaufsorganisation mit Zugkraft
Ein FinTech-Unternehmen, das zwei Jahrzehnte zuvor gegründet worden war, hatte seinen Einkauf nie professionalisiert, bis man vor zwei Jahren Berater engagiert hatte, mit dem Auftrag, die größten Ausgabenpositionen strategisch in Angriff zu nehmen. Das einjährige Programm erwies sich als voller Erfolg, woraufhin das Unternehmen beschloss, interne Kapazitäten aufzubauen, indem man eine Einkaufsleiterin engagierte und ihr ein Team zur Seite stellte. Nach einem Jahr hatte das Einkaufsteam einen wichtigen und erkennbaren Beitrag zur Risikominderung des Geschäftsplans geliefert, der nach einem Umsatzeinbruch in einer größeren Unternehmenseinheit aufgrund verschiedener Verbrauchertrends ins Wanken geraten war.
Zu Beginn des ersten Programms traute niemand im Unternehmen dem Einkauf zu, überhaupt etwas Brauchbares zu liefern, doch dass er heute durch die Professionalisierung der Lieferantenbeziehungen und Kostenreduzierungen einen wertvollen Beitrag leistet, ist inzwischen allen klar.
Ich sprach unlängst mit der CPO, die nach einem Jahr in ihrer Funktion genau wusste, wohin der Weg führt. Den größten Beitrag des Einkaufs sah sie schlussendlich in der Produktentwicklung. Angesichts von Produkten, die beinahe ausschließlich von rasanten technologischen Fortschritten in einem Markt mit unzähligen Start-ups und niedrigen Eintrittsbarrieren vorangetrieben werden, ist der Einkauf ideal positioniert, um seine Antennen auszufahren und herauszufinden, wo die nächste Innovation erfolgen könnte und in welche Lieferanten es sich zu investieren lohnt.
Heute nehmen Produktmanager in verschiedenen Funktionen diese Aufgabe wahr, doch nach ihrer Ansicht kann der Einkauf einiges dazu beitragen. Obwohl er sich einige Jahre lang als Treiber signifikanter Kostenvorteile profiliert habe, ließe sich an dieser Front noch mehr erreichen, und das Unternehmen erwarte das. Deshalb haben für sie zumindest während des nächsten Jahres die Kosten nach wie vor höchste Priorität, wenngleich aus einer anderen Perspektive. Sie ist der Meinung, dass vorvertragliche Prozesse, die mit Ausgabentransparenz, Vertragserneuerungen, Beschaffungsprozessen und der Entwicklung der Sourcing Pipeline in Zusammenhang stehen, gut laufen und so fest im Unternehmen verankert sind, dass ihr Team dort auch mit weniger Aufmerksamkeit Kostenvorteile erbringt. Die größten Kostenvorteile, die man jetzt erzielen könne, seien im nachvertraglichen Lieferantenmanagement verortet. Und das wird der unmittelbare Fokus ihres Teams sein.
Sie ist überzeugt, wenn sie die Glaubwürdigkeit ihres Teams auch in diesem Bereich beweist – Vertrauen durch ein kompetentes Management der besonders kritischen Lieferantenbeziehungen aufbaut –, kann sie ihre Funktion besser positionieren, um die Produktteams und ihre Arbeit später leichter zu unterstützen, indem sie versucht, Hinweise auf die nächste Innovation im Markt zu sammeln. Erwähnenswert ist, dass es zwei Jahre zuvor tabu gewesen wäre, in diesen Bereich vorzudringen.
Der Einkauf hat sich hier das Recht verdient, aktiv an Performance-Bewertungen für unternehmenskritische Lieferanten mitzuwirken und durch seine Analysen, sein Change Management und seine kommerzielle Kompetenz im vorvertraglichen Raum ein Wörtchen mitzureden.
Auch hier hatte die CPO eine erfrischend realistische Sicht auf ihre Ausgangsposition und den schrittweisen Weg ihrer Einkaufsfunktion entlang der Wertschöpfungskette, der ihr ermöglichen wird, weitere Wertschöpfungspotenziale für das Unternehmen in den Blick zu nehmen. Für sie hat die Aufgabe oberste Priorität, auch weiterhin die dafür unabdingbare Glaubwürdigkeit zu verdienen.
Die ausgereifte Einkaufsorganisation
Ein Unternehmen, mit dem ich das Vergnügen hatte, zusammenzuarbeiten, hatte eine gut-geölte strategische Beschaffungsmaschine im Kern des Einkaufs verankert, die der gesamten Organisation fast ein Jahrzehnt lang als Hüter der Kostenwettbewerbsfähigkeit diente. Der CPO ist überzeugt, dass sich mehr erreichen ließe, aber er weiß, wie der Einkauf wahrgenommen wird – als eine kompetente, bisweilen übereifrige Funktion, die dem Unternehmen eine beträchtliche kommerzielle Feuerkraft verschafft hat.
Der CPO hat Einfluss auf die Vorstandsebene und die Aufmerksamkeit des CFO. Wie sieht also die Zielsetzung dieser Einkaufsfunktion aus?
Es versteht sich von selbst, dass das Kostenmanagement zu den obersten Prioritäten zählt, doch hier ist der Einkauf erheblich weiter vorangekommen als sein Äquivalent im FinTech-Unternehmen aus dem vorherigen Beispiel. Das bedeutet, die Beschaffungsmaschine läuft ohne Hilfestellung, abgesehen von ein paar geringfügigen Feinabstimmungen hier und da. Die gesamte Belegschaft richtet ihren Blick mittlerweile auf den Einkauf und erwartet explizit, dass er angesichts der bisherigen Erfolge nun die nächste Ebene ansteuert.
Und welche Ziele strebt die Funktion an? Einige, aber der Erhalt der Kostenwettbewerbsfähigkeit bleibt mit Sicherheit erstrangig. An zweiter Stelle steht die Optimierung der Bedarfsprognose-Tools, um die unternehmensweiten Instandhaltungskosten zusätzlich zu senken und sogar damit zu beginnen, Einnahmen zu generieren.
Das öffentlich regulierte Unternehmen steht außerdem unter Druck, seine Glaubwürdigkeit in puncto Nachhaltigkeit zu beweisen. Auch hier hatte der Einkauf das Ziel und die Genehmigung, eine Führungsrolle zu übernehmen, um die Nachhaltigkeitsanforderungen