Der Ordnungshüter ist ein historisches Vermächtnis. Die meisten Einkaufsorganisationen wurden errichtet, um die externen Ausgaben unter Kontrolle zu bringen, wobei der Fokus auf den Bestellungen und drakonischen Richtlinien lag, die besagten: »Ohne den Einkauf geht nichts raus.« Damit waren die Weichen für jahrzehntelange Scharmützel mit den Stakeholdern gestellt, Kämpfe, bei denen der Einkauf als Ordnungshüter denjenigen auf den Fersen war, die sich nicht an die Bestimmungen hielten (klingt wie Blade-Runner-Replikanten im Beschaffungswesen).
Infolgedessen haben viele Einkaufsteams (oft unbeabsichtigt) die Rolle der »Ordnungshüter« übernommen, die sich gegenüber den »Big Spendern« als Ordnungsmacht aufspielen. Doch diese althergebrachte Nummer zieht bei den aufgeklärten und intelligenten Stakeholdern von heute nicht mehr, die in Funktionen wie Engineering, Produktion, Technologie oder Marketing tätig sind. Hier wäre das genaue Gegenteil erforderlich – ein kollaborativer, offener, intelligenter Ansatz statt ein Machtwort wie: »Ohne den Einkauf geht nichts raus.« Doch Überreste dieser Einstellung haben sich bei einigen Einkaufsteams bis heute erhalten, was der Sache alles andere als dienlich ist.
Genauso wenig hilfreich ist es, wenn sich der Einkauf zu offenkundig als Besserwisser-Team positioniert. Statt seine Arbeit zu legitimieren, können dadurch Barrieren entstehen – wenn die Botschaft beispielsweise lautet: »Wir verfügen über Techniken, von denen ihr keine Ahnung habt« oder »Von uns könnt ihr lernen, wie man verhandelt«. Ich habe festgestellt, dass diejenigen Einkäufer den stärksten Eindruck hinterlassen, die kein Bedürfnis haben, ihre beruflichen Kompetenzen an die große Glocke zu hängen. Sie können sich bestens auf die Stakeholder einstellen und leisten erstklassige Arbeit.
Diese teilweise dysfunktionalen Einstellungen können vor allem in Kombination mit einer schwach definierten Aufgabenstellung die potenzielle Wirksamkeit des Einkaufs ernsthaft untergraben.
Teufelskreis und Chance
Das Fehlen einer klaren Aufgabenstellung des Einkaufs, das Fehlen eines funktionsübergreifenden Engagements und letztendlich der mangelnde Einfluss haben zu einem Teufelskreis von Investitionsdefiziten in diese Funktion geführt. In vielen Organisationen wird der Einkauf daher als strikte Backoffice-Dienstleistung betrachtet und von der Geschäftsleitung ignoriert.
Doch diese historische Vernachlässigung bringt auch eine enorme Chance mit sich. Die meisten externen Ausgaben sind reif für einen strategischen Beschaffungsansatz: Die Ausgaben wurden weder als Hebel eingesetzt noch nach Ländern oder Produktionsstätten zusammengefasst. Die Spezifikationen sind veraltet, »beschränken sich auf die üblichen Vorgaben des Engineering-Bereichs«, und es gibt seit Urzeiten bestehende Lieferantenbeziehungen, die konkurrenzlos vor sich hindümpeln und mit ein wenig Wettbewerb aufgerüttelt werden könnten. Mit anderen Worten, es bestehen beträchtliche Einsparmöglichkeiten quer durch die gesamte Palette der externen Ausgaben.
Um dieses Potenzial zu erfassen, müssen Sie zurückgehen und sich Klarheit über die Aufgabenstellung, die Ressourcen und das Investitionsniveau verschaffen. Es gilt, nach einem besseren Konzept Ausschau zu halten. Die gute Nachricht ist, dass es dieses bessere Konzept bereits seit 30 Jahren gibt.
Die Geburt des Strategic Sourcing – ein neues Zeitalter dämmert herauf … oder?
In den 1980er Jahren tauchte ein neues Konzept für den Einkauf auf, als der US-amerikanische Automobilkonzern General Motors seine Ingenieure und Einkäufer crossfunktionalen Teams zuteilte und sie beauftragte, sich am Produktkomponenten-Markt »umzuschauen«, Spezifikationen und Konstruktionszeichnungen anzupassen und GMs Bedarf durch internationale Beschaffungsaktivitäten zu decken – mit magischer Wirkung, die die Geburtsstunde des »Global Sourcing« einläutete. Es wurde bald durch »Strategic Sourcing«, den strategischen Einkauf ersetzt, doch das Konzept war das gleiche – crossfunktionale Problemlösungen, um Kostensenkungspotenziale zu erschließen. Inzwischen ist dieser Ansatz das Alltagsgeschäft von Erstausrüstern in der Automobilindustrie und Direktanbietern.
Dieses Modell ist noch heute als Best Practice weit verbreitet. Doch außerhalb der Autogiganten, Pharmariesen und einiger handverlesener multinationaler Herstellerfirmen haben nur wenige das »Weltklasse-Niveau« der Spitzenligisten im Einkauf erreicht – weder bei den Direktausgaben noch in der »indirekten« Arena. Wir wissen alle, wie die beste Vorgehensweise aussieht, denn Unternehmen wie GM und Ford halten sich schon seit einem halben Jahrhundert daran. Bei der Ford Motor Company sitzt der CPO, der Einkaufsleiter, im Vorstand. Der Einkauf gilt dort als Karriere-Booster und die Einkaufsteams sind mit leistungsstarken Leuten besetzt, die fähig sind, funktionsübergreifend zu arbeiten. Auch die Einsparungen lassen sich hier allem Anschein nach bis zur Gewinn- und Verlustrechnung nachverfolgen. Und ja, die meisten von uns scheinen nicht in der Lage zu sein, diesen Erfolg zu kopieren. Warum?
Ein Grund ist, dass GM und Ford keine andere Wahl haben; sie müssen Spitzenleistungen mit ihrem Einkauf erzielen. Die großen Auto-OEMs kaufen und verbauen riesige Bauteilmengen aus aller Welt und agieren seit Jahrzehnten in einem Umfeld mit sehr engen Gewinnspannen (und langen Verlustperioden). Deshalb engagieren sie sich in besonderem Maß für den Einkauf, von der Unternehmensspitze bis zur Basis. Es gibt eine starke Einkaufsleitung und hochqualifizierte Mitarbeiter, die turnusmäßig kommen und gehen. Die Aufgabenstellungen fördern die Karriere, die funktionsübergreifende Arbeit ist in der DNA des Einkaufs festgeschrieben und die Arbeitsabläufe sind von höchster Qualität. Alles wird von der ökonomischen Notwendigkeit getrieben, die es in vielen anderen Sektoren, vor allem in den wachstums- und technologieorientierten, in diesem Ausmaß nicht gibt.
Ein zweiter Grund für das Versäumnis, eine Erfolgsmethode zu etablieren, ist, dass viele Unternehmen sie trotz ernsthafter Versuche nicht richtig oder nicht vollumfänglich umgesetzt haben. Einige waren außerstande, genug Unterstützung zu finden oder die erforderlichen Investitionen in die Einkaufsfunktion zu tätigen. Andere wiederum, und das sind viele, haben einen unverdienten Sieg gefeiert, der dann die weitere Entwicklung in diesen Unternehmen blockierte.
Eine schlechte Best Practice
Oft herrscht die Auffassung vor, insbesondere bei milliardenschweren Unternehmen, ihr Einkauf habe sich bereits als »Klassenbester« profiliert, strategische Beschaffung sei gang und gäbe und man habe »alles unter Kontrolle«. Der Einkauf neigt zu der Aussage: »Wir haben bereits eine Menge erreicht, es bleibt nicht mehr viel zu tun, wir sind nah dran, Best Practice zu sein.« Ich persönlich bin mehr als hundert Einkaufsleitern begegnet, die das unumwunden behauptet haben, und das ist ein Problem, denn sie kommen ungestraft davon! Die Vorstandsetage betrachtet den Einkauf als fachspezifische Disziplin und hat volles Vertrauen zu »unserem CPO, der macht das schon«. In Wirklichkeit ist es nur das, was der Einkaufsleiter nach oben weitergibt und als Evangelium verkündet, denn er/sie gehört schließlich zu den Experten, die wissen, was sie tun.
Ich glaube, dass dieses Phänomen – nennen Sie es Abwehrhaltung oder was auch immer – Milliardenwerte blockiert, die weltweit durch den Einkauf generiert werden könnten. Ich bezeichne das als »schlechte« Best Practice, die erstaunlich weit verbreitet ist. Sie macht sich bemerkbar, wenn der Einkauf zu der Fehlannahme gelangt, er hätte bereits »die beste Methode eingeführt«. Dieses Drama spielt sich vor allem im Rahmen des Strategic Sourcing ab. Ich kenne Einkaufsleiter, die von einem der namhaften Beratungsunternehmen eine »Siebenstufige Beschaffungsmethodik« präsentiert bekamen. Solche Herangehensweisen können durchaus sinnvoll sein (und sich wie ein Ei dem anderen gleichen, nebenbei bemerkt), solange sie richtig umgesetzt werden. Wer ein Kochbuch zur Hand hat, ist noch lange kein guter Koch.
Es gibt andere, oft sehr große Organisationen, einschließlich einige der größeren Automobil-Erstausrüster, für die der Beschaffungsvorgang nichts weiter als ein Prozess geworden ist – hochgradig institutionalisiert, aber auf eine Pflichtübung reduziert, die es abzuhaken gilt. In manchen Unternehmen folgen Beschaffungsteams mit religiöser Inbrunst, aber ohne nachzudenken einem rigorosen Sourcing-Prozess. Es gibt eine Baseline, sie haben Beschaffungsmarktstudien