Heinrich Mann

Der Kopf


Скачать книгу

kann uns nicht gleich sein.« – »Für wie vernünftig wir Dich auch halten«, ergänzte der Vater.

      Der Sohn sah den Ernst der Lage. »Ich lebe nicht für die Leute«, versicherte er, mit gewollter Festigkeit.

      »Gegen sie ist es nicht leicht zu leben«, bemerkte der Vater umso nachsichtiger. »Besonders, wenn sie schon alles wissen, was wir eigentlich als Erste erfahren müßten.« Da er den Sohn in Unruhe sah, sprach er schlicht belehrend. »Mein Sohn, ich habe hier einige Schriftstücke, Rechnungen und Anderes; sie sollen Dich aufklären über eine Dame, die Dir, es scheint leider so, nahe steht?« Besorgte Frage, der Sohn überhörte sie geflissentlich. Die Schwester machte eine Bewegung. »Nora kann dableiben«, entschied der Vater. »Eins unserer Kinder muß es wissen, wenn das andere in Gefahr ist«.

      »Ich will nichts wissen«, hauchte die Schwester, in großer Furcht für sich selbst. Da sie den Bruder entgeistert anstarrte, glaubte er, sie verwerfe ihn feige. Erbittert stieß er aus:

      »Anonyme Briefe!«

      »Es sind Rechnungen«, sagte der Vater. »Mit deutlichem Firmenaufdruck. Deine, sollen wir sagen Verlobte, hat sich berechtigt geglaubt, auf Deinen Namen Schulden zu machen – nicht unbeträchtliche, aber immerhin bleibt sie damit in den Grenzen unserer Lebenshaltung. Sie weiß sich anzupassen, es ist keine unerfahrene Person.«

      Diese Anspielung war zu viel. Der Sohn aber fühlte, er würde vielleicht auch sie noch ertragen haben, hätte nicht im Gesicht der Schwester Verrat gestanden. Unter seinem haßerfüllten Blick verlor sie den Kopf, sie plapperte: »Um Gotteswillen, Klaus, eine Abenteurerin!«

      »Deine Schwester sagt es«, stellte der Vater fest, da sprang der Sohn vom Stuhl, untersetzt stand er da und wollte, mit leidenschaftlichem Zucken des Gesichtes, den Kampf aufnehmen. Der Vater winkte ab. »Ich weiß schon. Nächstes Jahr hast Du etwas Geld, von Deinem kleinen Erbe zahlst Du die Schulden der Dame und gehst – setzen wir gleich das Ärgste voraus – mit ihr in die Welt. Glaubst Du aber, daß sie so lange wartet?«

      Der Sohn fuhr auf; was wagte man! Die Mutter und die Schwester hatten sich vom Tisch zurückgezogen, der Vater ließ sich nicht stören. »Auch darüber habe ich Nachrichten, nicht einmal ohne Namen. Ich darf sogar fragen, ist sie zur Stunde noch in der Stadt? War sie heute zu Hause? Du wirst es wissen.«

      Es schwindelte den Sohn, er umkrallte seinen Stuhl. Die Mutter, die ihn erschüttert sah, sagte ruhig und geschmackvoll: »Wie war es nur möglich. Eine Abenteurerin, und weder jung noch hübsch.« Die Schwester fühlte: Wieder gut machen, ihm helfen, wie es geht! »Jeder hat seinen Geschmack«, sagte sie schüchtern, und aus Schüchternheit mit einer Art Lachen. »Nun kennen wir wenigstens den Deinen«, meinte der Vater, denn er hielt den Ansturm für gelungen und glaubte schon, spotten zu dürfen.

      Der Sohn würdigte die Schwester keines Blickes mehr. »Was willst Du, Vater, mit Deinen Polizeiberichten, dort wo es mir um das Leben geht!« – worauf der Vater auf einmal geschlagen und arm aussah. Die Mutter, ihres besseren Wissens sicher, bewegte verneinend den Kopf.

      »Der Fürst, ihr Mann, hat sie mißhandelt«, stieß der Sohn aus. Die Mutter lehnte ab. »Er war nicht ihr Mann, und sie hatte ihm, glaube ich, seinen Kutscher vorgezogen«. – Da der Sohn, um an sich zu halten, durch die Nüstern blies, erhob sie sich: »Erledige dies mit Deinem Vater!« – und entfernte sich gelassen. Die Schwester fühlte sich ausgestoßen, drum ging auch sie, die Augen voll Tränen.

      Der Vater in seinem Frack saß abwartend da. Er hatte den Kopf schief gestellt und betrachtete den Sohn wohlwollend, fast gar nicht gönnerhaft. »Wir sind unter uns«, sagte er dann. »Jetzt könnten wir am Ende zugeben, daß wir diesmal hineingefallen sind.«

      »Vater, ich schwöre Dir, daß sie den Fürsten –«

      »Und den Bankier, mit dem sie vorher war? Und zwischen den beiden, als sie sich in Varietétheatern ausstellte? Aber es kommt auf kein Mehr oder Weniger an. Die Frage ist, willst Du auftreten im Leben – mit einer Gefährtin, die, man darf wohl vermuten, dem Abgang näher als dem Auftritt ist?«

      »Falsch.«

      »Du hältst sie wohl für ein unbeschriebenes Blatt?«

      »Für keusch im Tiefsten. Ich erfahre es an mir selbst.«

      Der Vater neigte das Gesicht, so versank das Lächeln im Schnurrbart. Hierauf fand er es geboten, den Ton höher zu nehmen. »Du legst Wert darauf, daß ich Dir ausdrücklich mit Enterbung drohe? Ich soll Dir erklären, daß ich weder entehrt noch ruiniert werden will?« Die starken Worte übten nun doch ihre Wirkung auf ihn selbst, er stand auf und sagte gerötet: »Wir sollen uns wohl niemals verstehen.«

      »Wenn Du es nicht willst, Vater.«

      Dies erbitterte Gesicht, die schwankend zufahrende Stimme erbarmten den Vater. »Wir brauchen einander doch«, sagte er mit gütiger Strenge. Der Sohn, nur noch erbitterter: »Wozu? Damit Du mich angreifst in meinem Besten?« – wobei er aber fühlte: er benimmt sich gut.

      »Wir sind anständige Leute, wir finden uns schon wieder.«

      »Kann sein, nie.« Der Sohn schnitt ab, um nur loszukommen.

      Der Vater richtete die Hand gegen den sich Zurückziehenden. »Die Folgen trägst Du allein. Ich sitze weiter hier.«

      Dabei mußte er sich wirklich setzen, die Knie versagten ihm, – und er sah mit abgehetzter Miene zu, wie der Sohn, rückwärts zur Tür gelangt, jäh kehrt machte und verschwand.

      Er ging hinüber. Die Fürstin sei bei ihrem Anwalt, hieß es. Aber auch von dort war sie schon fort. Wohin? Gradaus kam der Hafen, die langen, krummen Gassen, das Gepolter der Lastwagen. Was hätte sie suchen sollen zwischen den Trägern, Handlungsgehilfen und den schwankenden Reihen angetrunkener Matrosen? Dennoch kam sie daher, als könnte es nicht anders sein. Er erkannte sie zuerst nicht, so unbefangen und zugehörig trat sie auf, mit ihrem großen Körper, ihrem Gang, ein wenig schaukelnd aber zielbewußt, ihren kühnen Bewegungen und Farben. Auch erregte sie weder Erstaunen noch Mißtrauen. Die Männer sahen sich um nach der schönen Person, mit Gesichtern, die vor lauter Verlangen entweder unterwürfig oder frech waren; manche Frau schalt hinter ihr her. Das Alles hieß nicht: was treibst Du hier? Es hieß: Du bist hier die Schönste. Zwei Leute kamen vorbei. »Sie ist aus dem Blauen Engel,« sagten sie und sahen sich um, weil Jemand sie begrüßte.

      Terra war dunkelrot, er stotterte, als er sie begrüßte, er erging sich in umständlichen, mit harter Stimme gesprochenen Komplimenten, die ihm Zeit ließen, zu leiden. »Sie gehört aller Welt, ist es nicht klar? Sie verspricht sich Jedem, sie fordert Jeden. Es gibt Niemand, der sie nicht nackt sieht. Sie wird mich immer und ewig Leiden kosten.«

      Er sagte ihr etwas über ihren Gang in der Menge und fühlte dabei: »Ihr Gesicht ist zu Allem fähig. Jetzt sieht es nur unzufrieden aus, weil ich sie hier betroffen habe. Aber ich weiß kein Wagnis, ob Glück oder Verderben, das ich ihrem Mund, ihrer Stirn nicht zutrauen würde. Ihre Stimme ist göttlich, sie enthält keinerlei Voraussetzungen.«

      »Sie waren bei mir?« fragte sie nur.

      »Warum vermuten Sie es?«

      »Waren wir nicht verabredet? Nur: ich Sie sehe, fällt es mir ein.« Auf seinen empörten Blick antwortete sie: »Haben Sie etwas? Ach, das Kollier. Danke, ich fand es auf dem Tisch, es gefällt mir.«

      »So geht es nicht,« sagte er heiser. »Ich setze mein Leben auf Sie, ich bin drauf und dran, mit Ihnen durchzugehen. Sie aber stellen sich jedesmal wieder, als sei nichts vorgefallen.«

      »Wie langweilig,« dachte sie, »und hier, wo man gesehen wird. Die Spitzel des Fürsten sind überall, er könnte seine Zahlungen einstellen.« – »Kind!« sagte sie hell. »Wenn Sie erst groß und Kavalier sind, werden Sie von selbst an den Ruf der Frauen denken.«

      »Da Sie doch morgen mein sein können!« Er raunte beschwörend.

      »Darauf soll ich mich verlassen. Seien Sie meinetwegen beleidigt, aber wie weit kommen Sie denn mit mir?«

      Er