farbloses Lachen. »Wissen Sie, daß Ihre Schwester mir ähnlich sieht?« – was ihn vor Freude und Schrecken stumm machte.
»Und wenn man von Jemand spricht –« sagte sie da und sah hinüber. Was war das? Lea? Und mit Mangolf! Soeben verschwanden sie hinter einer Reihe von Lastwagen.
»Ein hübscher Junge«, sagte die Frau. »Es ist mein Freund«, sagte Terra, – worauf sie lachte. Warum? Er zog die Brauen in Falten. »Sie gehen spazieren.«
»Wie wir«, – immer lachend.
»Es regnet. Wir täten besser, uns unterzustellen,« bemerkte er plötzlich und trat in das Tor einer Wirtschaft. Sie blieb davor stehen, sie sah den Beiden nach, wie sie hinter den Fuhrwerken hervorkamen. »Ihre Schwester will zum Theater? Sehr richtig, dahin gehört sie. Gute Figur, nicht spießig.«
»Gehen wir weiter!«
»Nein. Es regnet.« So folgte er ihr in das Gastzimmer. Es war leer, frisch gescheuert und roch nach kleinen Leuten. Er dachte, die Brauen gefaltet: »Wie kommt man hierher? Und dieser Ton über meine Schwester?«
Sie saß am Tisch und beobachtete gelassen sein Platzwechseln. Dann sagte sie: »Claudius – warum sind Sie verstimmt? Auch eine Schwester ist eine Frau.«
Die schöne Stimme konnte nicht trösten, sie war nicht biegsam. Aber ihre klare Hand, die sie entkleidet hatte, kam auf dem Tisch zu ihm hin. Er packte sie, er packte auch ihren Arm. »Eine Frau wie Du! Sprich kameradschaftlich von ihr, es ist eine Ehre. Sei ihre Freundin! – da Du meine Frau bist. Komm mit mir!«
»Lächerlich, ich bin zu alt für Dich.«
»Morgen fangen wir beide das Leben erst an.«
»Du stellst Dir das Leben einfach vor.«
»Ich stelle es mir vor mit Deinem Gesicht und Deinem Körper.«
»Ich kann es mir doch nicht mit Deinem vorstellen.«
»Du mußt. Ich will es.«
»Darin hat mir noch keiner befohlen.«
»Du bist zu weit gegangen mit mir. Ich bin nicht Dein Geliebter, aber ich bin mehr. Eine Verbannte, die in Prozessen liegt, keinen Mann sehen darf, weil sie verfolgt wird, und wirtschaftlich so gut wie seelisch und sozial vor die Hunde kommen kann, bevor ihre Verhältnisse sich ordnen lassen, ist mir um den Hals gefallen, weil ich mit allem erdenklichen Zartgefühl auf ihre bedrohliche Lage einging. Sie ziehe endlich die Konsequenzen!«
Sie maß nachdenklich seine gedrungene Gestalt, die plumpen Finger, die sich lösten und verschlangen, das vom Zorn bewegte Gesicht. Nach der Prüfung waren ihre Augen wärmer.
Unvermittelt fragte sie: »Sagen Sie doch, lieber Freund, mußte das Kollier denn sein?«
Er überzeugte sich durch einen Blick, ob es wirklich wahr sei, sie denke an seine Verhältnisse. Plötzlich fiel er mit den Lippen auf ihre Hand, er stöhnte: »Madelon!«
Sie streichelte ihm zerstreut den Kopf, lachte und begann von einem anderen Kollier, einem sehr teueren, für das ihr früherer Mann, der Bankier, ihr einen Teil des Geldes, den übrigen aber schon der Fürst geliefert hatte – jeder ohne Wissen des andern. Jeder war entzückt von seinem billigen und reichen Geschenk, unglücklicherweise sagten sie es einander und bereuten dann beide. Dies war sogar der Anfang ihrer jetzigen Schwierigkeiten gewesen, der Fürst hatte kein volles Vertrauen mehr gefaßt. »Ihr Kollier, lieber Freund, ist hoffentlich nur mit Ihrem Geld bezahlt, ich werde keine Unannehmlichkeiten haben?«
Ach! nur dafür hatte sie Sinn. Er klopfte heftig auf den Tisch, zahlte, nahm seinen Mantel. »Wir gehen?« fragte sie, und folgte gehorsam. Er wäre sonst ohne sie gegangen.
Die Straße war schon dunkel, ungebeten nahm sie seinen Arm. »So gefallen Sie mir besser«, sagte sie klar. Er schwieg. So kamen sie zum Hafen; sie fragte nicht, warum in eine solche Gegend. Keine Geräusche der Arbeit mehr, und anstatt des Gewühls der Träger und Gehilfen streiften nur mehr vereinzelte Gestalten, die die Hände in den Taschen hielten, wie Fledermäuse an ihnen vorbei. Aus einer rinnsteinartigen Seitengasse, wo ein roter Punkt glomm, drang ein Schrei. Da blieb sie stehen, sie hielt dringend seinen Arm fest.
»Der Anwalt sagt, man wisse nicht. Manchmal schlägt alles fehl. Eine Unglücksserie, sagte Nepfer, der Bankier. Was tun? Ich bin für Sorgen wahrhaftig nicht geboren.«
Er hielt still, er ließ sie immer schwerer werden. Schon lag sie an seiner Schulter, er fühlte berauschend jedes Schluchzen. Sie sagte unter Schluchzen, aber immer mit dieser von Gefühlen ungefärbten Stimme: »Ich denke nicht nur an mich, wie Du meinst. Sonst wäre ich längst mit Dir durchgegangen. Ich will nicht, daß Du durch mich herunterkommst.«
Im Herzen jubelte er: Durch Dich, in den höchsten Himmel! – hielt aber still und ließ sie noch schwerer werden. Schon mußte er sich fest auf das Pflaster stemmen. »Nur Ferien will ich mir einmal machen.« Sie seufzte tränenfeucht. »Einige Tage keine Sorgen haben. So lange kann ich wohl unbemerkt verschwinden. Daß nur auch Deine Familie nichts merkt!«
Ihr dämmerweiches Gesicht lag nahe unter seinem Mund, er wühlte sich hinein, und sie empfing ihn, atmend, die Augen geschlossen. Aus der Gasse drang ersterbend jener Schrei.
Sie kehrten um, er faßte noch keinen Gedanken. Sie schritt lässig, ihre Hüfte glitt über die seine hin. Allmählich rührte sich sein Bewußtsein. »Dies ist nun das Leben, an meinem Herzen halte ich die Frau von drüben. Dies sind nicht mehr die harmlosen Freuden im Schutz der Familie, wie meine alten Flammen, oder wie Lea und Mangolf. Es ist der Ernstfall.«
»Madelon!« – nur um Besitz zu ergreifen von ihrem Namen, ihrem Sein. Sie sagte aber: »Den Namen will ich von Dir nicht hören.« Vertraulich die Stimme gesenkt: »Sage Lili! So nennst nur Du mich.«
Er stutzte, aber warum enttäuscht sein. »Ich bin auch der Einzige, für den meine Schwester Lea heißt.«
»Siehst Du, ganz wie ich.«
Hierin versenkte er sich.
Da sah er, ihr Haus war schon nahe. Tatkraft her! »Mein Kind, Du wirst sofort Deinen Koffer packen«, sagte er klar und endgültig. Er bezeichnete das Dorf, das Gasthaus, wo sie heute Nacht den Frühzug erwarten sollten. Ihre Antwort brauchte er nicht, er gab ihr kurz die Hand. Sie ließ seine Hand aus der ihren zurückgleiten, bis zu den Fingerspitzen, die hielt sie noch. Dabei hatte sie, in dem schwach erhellten Flur, ein rätselhaftes Lächeln und neigte den Kopf ein wenig nach der Seite, wo die Treppe lag.
Auch die Fingerspitzen trennten sich, sie nickte und verschwand. Er ging mit weniger starken Schritten über die Straße, als er gedacht hätte.
*
Vor der Tür des Vaterhauses überlegte er, es sei viel besser, nichts zu packen, ohne Gepäck zu reisen, niemand mehr zu sehen. Die letzte Stunde gehörte dem Freund, – auf, zu ihm! Gleich ward ihm die Brust weiter. Nie anders als mit tiefer, reicher Freude hatte er diesen Weg gemacht, und wenn es täglich zweimal war. In Unruhe bedachte er, daß der Gang zu der Frau hinüber ihn nur selten so ganz beglückt habe, wie dieser, zu seinem Freund.
Das Haus hinter der alten Veitskirche, in der abendlich aufgeräumten Straße kleiner Werkstätten und Kontore, stand da wie der Alltag, verstaubt die farbigen Scheiben des Flurs, auf der engen Treppe die Spuren zahlreicher Besucher. Noch immer kamen Stimmen aus dem Zwischenstock, mit dem Schild: Mangolf, Agent. Ein Stockwerk höher trat die Mutter aus ihrer Küche gleich auf die Stiege hinaus. Sie trocknete ihre geschwollenen Hände und öffnete demütig dem vornehmen Gast jene kleine Tür. Hinter einer kleinen Tür begann, merkwürdig und bedeutungsvoll, die steile Stiege nach dem Zimmer des Freundes.
Der Freund saß am Schreibtisch, links stützte er sich auf den Deckel des Klaviers. Der Gast trat zwischen dem Feldbett und dem grünen Sopha in das Zimmer, kein Stuhl hätte mehr Platz darin gehabt. Der Freund streckte ihm aufleuchtend die Hand hin, von dem Sopha räumten sie die Bücher, Terra sagte dabei schon: »Weshalb ich besonders komme: Du bist ein Schwein. Leugnest Du vielleicht Deine Machenschaften mit dem