Hedwig Courths-Mahler

Der Wildfang


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hatte Rose-Marie den »Mordskerl« mehr und mehr zur Räson gebracht. Er gab das unsinnige Drehen auf und bequemte sich, mit einigen obstinaten Quersprüngen freilich, ihrer Führung zu folgen.

      Böllermann stand noch unter der Veranda auf dem Sprunge, und schob aufgeregt seine Mütze auf dem Kopfe hin und her.

      Er sorgte sich fast mehr um seines Herrn Kind, als dieser selbst, denn Rose-Maine war allen Leuten auf dem Burgauer Gutshofe fest ans Herz gewachsen.

      Nun erschien aber langsam ein breites, befriedigtes Lächeln auf seinem Gesicht.

      »Das Dunnerlitzchen, sie zwingt den »Mordskerl«!« rief er vergnügt zu seinem Herrn hinaus.

      Dieser nickte und seine Augen strahlten vor Stolz.

      »Ich wußte es,« sagte er, und zu seiner Frau gewandt fuhr er fort: »Nun, Henriette, ist es vorbei mit Angst und Not? Da sieh’, der Gaul wird ruhig und gehorcht ihrer Führung.«

      »Ach Gott, mir zittern noch die Knie,« seufzte Frau Henriette.

      Er schob ihr einen Stuhl herbei.

      »Komm, setze Dich. Und hier, nimm Dein Tuch um, es ist kühl!«

      Es lag viel zarte Fürsorge in der Art des großen, stattlichen Mannes, der, blond und blauäugig, den echten Germanentypus verkörperte.

      Aber in seinen Augen erschien ein schmerzlicher Ausdruck. Wie sehr hatte dieser kraftvolle, schaffensfreudige Mann all die Jahre unter der Kränklichkeit und Hilflosigkeit seines Weibes gelitten.

      Seit er sich von seinem kleinen Vermögen das Gut gekauft hatte, mußte er alle Kräfte anspannen, um sich in den schlechten Zeiten über Wasser zu halten.

      Gleich zu Anfang hatte er eine hohe Hypothek aufnehmen müssen. Und statt daß seine Frau ihm hätte helfen und unterstützen können durch eifriges Schalten und Walten in Hof und Haus, mußte er sich eine bezahlte Wirtschafterin halten, und extra noch eine Pflege und Bedienung für seine fast immer kränkliche Frau.

      Schwer genug hatte er darunter gelitten, aber er murrte nicht und liebte sie darum nicht weniger.

      Aber seine Rose-Marie, sein einziges Kind, sollte von — anderem Stoff sein. Sie sollte eine eisenfeste Gesundheit, jugendstarke Glieder und frisches Blut erhalten.

      Und Rose-Marie war Schlag von seinem Schlag. Rank und schlank, kraftvoll und widerstandsfähig war sie bisher herangewachsen.

      In Regen und Sonnenschein ging sie mit dem Vater durch dick und dünn, begleitete ihn zu Fuß und zu Pferd durch Wald und Feld, in Stall und Scheuer.

      Wie Kameraden hielten sie Seite an Seite.

      Anders war Rose-Maries Verhältnis zur Mutter.

      Zu ihrem Vater sah sie auf wie zu einer Gottheit, die zarte Mutter behandelte sie fast, als sei diese ihr herzlich geliebtes Sorgenkind, das sie immer ein wenig verhätscheln mußte, aber doch nie so recht ernsthaft nahm.

      Während Gerhard seine Frau umsorgte, hatte Rose-Marie ihr Pferd mehr und mehr beruhigt.

      Es ging nun im schlanken Trabe ringsum im Hofe.

      Ihre Augen strahlten vor Vergnügen. Sie nickte den Eltern fröhlich zu.

      Der Vater kam langsam die Verandastufen herab. Böllermann wandte sich nach ihm um.«

      »Na, dann kann ich ja wohl wieder an meine Arbeit gehen, Herr!« sagte er, seiner Mütze einen kühnen Schwung gebend.

      »Ja, Böllermann, ich helfe Rose-Marie selbst aus dem Sattel,« erwiderte Gerhard.

      Böllermann ging in den Stall zurück.

      »Is man selber so’n Rackerchen, wie der »Mordskerl«, unsere Rose-Marie,« murmelte er schmunzelnd vor sich hin.

      Gerhard ließ seine Tochter noch einige Male an sich vorbei galoppieren; dann hob er die Hand.

      »Stopp — nun ist’s genug, Wildfang!«

      Sie nickte und führte das Pferd in ruhiger Gangart bis zu dem Vater hinüber. Dieser streicheln die Flanken des Tieres und klopfte es belobend auf den Hals.

      Rose-Marie sprang mit einem kühnen Satz aus dem Sattel in die Arme des Vaters.

      Dann suchte sie in ihrer Tasche nach einem verwahrten Stück Zucker, das sie dem »Mordskerl« auf der Hand hinreichte. Ganz vorsichtig nahm das Pferd den Leckerbissen aus ihrer Hand.

      Sie graute ihm die Mähne.

      »Na, »Mordskerl«, nun sind wir gute Freunde, nicht?« fragte sie lächelnd, und sich zum Vater wendend, fuhr sie fort: »Ich führe ihn selbst in den Stall, Vati, nachher komme ich zum Frühstück. Meine kleine Musch hat wohl wieder Angst um mich?«

      Er nickte und sah sie mit lächelndem Wohlgefallen an.

      Wie sie blühte vor Kraft und Gesundheit, und wie hübsch sie aussah mit den wild zerzausten Locken.

      »Nun mache schnell, Rose-Marie, und sorg' dafür, daß »Mordskerl« abgerieben wird!«

      »Ja, Vati, ich sag’ es Böllermann.«

      Sie führte das Pferd davon.

      Wenige Minuten später sprang sie mit zwei Sätzen die Verandastufen empor.

      Dort war inzwischen von Fräulein Ulrike, der Wirtschafterin, der Frühstückstisch gedeckt worden. Vater und Mutter saßen schon, ihrer harrend, daran.

      »Morgen, Herzensmusch! Hast Du gut geschlafen?« fragte sie, sich zärtlich über die Mutter beugend und sie küssend.

      Sie pflegte mit dem Vater viel früher aufzustehen als die Mutter, und hatte sie heute noch nicht begrüßt.

      »Guten Morgen, mein Kind. Ich danke, ich habe gut geschlafen!«

      »Und kein Kopfweh heute?«

      »Nein, gottlob nicht, obwohl ich mich vorhin über Dein wildes Reiten wieder sehr erschreckt habe.«

      »Aber Musch, liebe, kleine Musch, darüber darfst Du Dich doch nun wirklich nicht mehr erschrecken. Jetzt habe ich nun aber einen Mordshunger, so ein Morgenritt macht Appetit, das kannst Du mir glauben!«

      »So kannst Du Dich aber doch nicht zu Tisch setzen, Rose-Marie — mit dieser derangierten Frisur.«

      Rose-Marie schüttelte lachend die goldblonde Haarflut über ihren Rücken.

      »Ach so — das dumme Haar! Wenn Du mir doch erlauben wolltest, daß ich es ratzekahl abschnitte. Wonnig muß das sein, so mit einem Kahlkopf herumlaufen. Nun, mach nur nicht so ein entsetzliches Gesicht, kleine Musch. Warte nur einen Augenblick, gleich mache ich Toilette!«

      Sie kramte aus ihrer Kleidertasche allerlei hervor: ein Stück Bindfaden, einen Schlüssel, ein Kerzenstümpfchen, einige unreife Stachelbeeren, ein zerknülltes Taschentuch und schließlich unansehnliches, blaues Band.

      Das letztere zog sie glättend über das Knie, strich sich dann das Haar glatt zurück und band das Band so fest darum, daß auch nicht ein widerspenstiges Löckchen entwischen konnte.

      »So,« sagte sie befriedigt, und stopfte den Inhalt ihrer Tasche wieder in dieselbe zurück, »nun bin ich doch tadellos frisiert, nicht wahr, Musch?«

      Die Mutter schüttelte seufzend den Kopf.

      »Es ist ein Kreuz mit Dir, Rose-Marie. Die schöne, blaue Schleife, die ich Dir gestern erst gab, wie sieht die nun aus?«

      »Ach, Musch, ich mußte heute morgen das Kälbergatter zubinden, weil die Racker sonst ausgebrochen wären, der Riegel ging kaputt. Na, und da ich nichts anderes zur Hand hatte, mußte die Schleife dran glauben. Vati sagt: Man muß sich zu helfen wissen!«

      Gerhard lachte laut und herzlich auf.

      »Du Schlauberger, konntest Du dazu nicht lieber den Bindfaden nehmen, den Du eben noch in der Tasche hattest?«

      Rose-Marie machte ein Schelmengesicht.