Hedwig Courths-Mahler

Der Wildfang


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so! Na — nun ’ran an die Krippe, Wildfang — jetzt wird gefuttert!« sagte der Vater.

      Seine Frau verzog das Gesicht.

      »Fritz, wenn Du immer in diesem Stalljargon mit Rose-Marie sprichst, wird sie sich nie wie ein gebildetes junges Mädchen ausdrücken lernen!«

      Vater und Tochter sahen sich schelmisch an.

      »Siehste, Wildfang, jetzt krieg’ ich auch noch Schelte Deinetwegen!«

      Rose-Marie fiel ihm um den Hals.

      »Herzensvati, unsere Musch hat ihre liebe Not Mit uns!«

      Sie lachten ein herzhaftes Duett und streichelten von beiden Seiten die seufzende Mutter, bis diese schließlich mit einstimmen mußte.

      »Es ist ein Kreuz mit Euch,« schalt sie halb lachend, halb ärgerlich.

      »Na, nun sieh’ nur nicht so schrecklich besorgt aus, Henriette. Kommt Zeit, kommt Rat. Eine Zierpuppe, die vor lauter vornehmen Allüren nicht leben und sterben kann, soll unser Wildfang doch nicht werden.«

      Auf den Herzenstakt kommt es in erster Linie an, und den besitzt das Kind, gottlob .Das bißchen Firlefanz und äußere Politur, das lernt sie noch früh genug; sie ist ja nicht auf den Kopf gefallen.«

      Rose-Marie hatte sich inzwischen eine Schnitte Brot mit Butter und Schinken belegt und biß, dies in der Hand haltend, kräftig hinein.

      »Kind, wozu hast Du wohl Gabel und Messer?«

      Rose-Mark legte mit einem drolligen Seufzer das Brot auf den Teller zurück und benutzte das Besteck.

      »Siehst Du wohl, es geht auch so,« sagte ihre Mutter. —

      Ähnliche Szenen wiederholten sich fast jeden Tag. Frau Henriette hätte ihre Tochter am liebsten ganz anders erzogen, als ihr Mann. Ihr galt die äußere Form als Hauptsache.

      Sie empfand es sehr störend, daß Rose-Marie wie ein wilder Junge aufwuchs.

      Aber Fritz Gerhard setzte seinen Willen durch. Zu sehr hatte er unter der Kränklichkeit seiner Frau gelitten, zu sehr eine schaffensfreudige, tatkräftige Hilfe an ihr entbehrt im Kampf ums Dasein.

      Rose-Marie sollte stark und gesund bleiben und einen frohen, heiteren Willen zur Betätigung erhalten.

      Er hoffte, später eine tüchtige Hilfe an ihr zu haben. Da er keinen Sohn hatte, sollte sie seine Nachfolgerin werden.

      Schon jetzt stand sie trotz ihrer Jugend ihren Mann. Forsch und fest wollte er sie haben, ohne mädchenhafte Zimperlichkeit.

      Daß da bei allem guten Willen die Erziehung etwas sehr einseitig blieb, war verständlich.

      Das züchtige Schalten und Walten der Frauen war Rose-Marie noch ein unbekanntes Feld.

      Sie konnte tatsächlich noch keine Nabel regieren, vermochte weder ihren Anzug, noch ihr Zimmer in Ordnung zu halten und stand mit der trockenen Schulweisheit aus dem Kriegsfuß.

      Schreiben war ihr ein Greuel, die französischen und englischen Stunden bei der Frau Pastor haßt sie geradezu, und die Klavierstunde, die ihr ebenfalls diese Dame, eine frühere Erzieherin, erteilte, waren eine Quelle des Elends für sie und diejenigen, die zuhören mußten.

      Trotz alledem war Rose-Marie ein sehr kluges, aufgewecktes Kind.

      Wenn sie mit ihrem geliebten Vati über die Felder ritt, dann sprachen sie zusammen wie zwei Kameraden.

      Der Vater breitete dann den großen Schatz seiner Lebensweisheit vor den Augen seines Kindes aus und gab ihm an praktischen Wissen soviel, als es in keiner Schule lernen konnte.

      So bekam Rose-Marie einen scharfen Blick, schnelle Auffassungskraft und klares Denken.

      Der Vater ließ sie nicht im unklaren darüber, wie schwer er zu kämpfen hatte, um die ihm lieb gewordene Scholle zu halten.

      Sie nahm an seinen Sorgen teil, wenn die Ernte schlecht ausfiel, wenn er das Großwasser fürchtete, oder wenn das Vieh erkrankte.

      Mit seiner Frau konnte Gerhard über all diese Dinge nicht reden, denn sie regte sich dann gleich so auf, daß sie wochenlang hinfällig und leidend war.

      So gewöhnte er sich daran, mit seiner Tochter alles zu besprechen. Und sie war ihm ein tapferer, kleiner Kamerad, der ihm durch sein sonniges, heiteres Wesen manche Bürde leichter machte, und auf den er sich fest verlassen konnte.

      Niemand wußte außer dem Gutsherrn so genau Bescheid im Burgauer Gutshof, als seine Tochter; höchstens noch der langjährige Großknecht Böllermann. —

      Es war eine stillschweigende Übereinkunft zwischen Vater und Tochter, daß der Mutter alle ernsten Sorgen, alle Unruhen fernzuhalten seien.

      Sie verwöhnten die zarte, kleine Musch abwechselnd, nahmen aber alles, was sie sagte, nie sehr ernst. Deshalb blieb auch Frau Gerhards Einfluß auf die Erziehung ihres Kindes ziemlich wirkungslos.

      Wie einem kranken Kinde räumten Vater und Tochter der Mutter alles Unangenehme aus dem Wege und erfüllten ihr alle Wünsche, so gut es ging.

      Stiegen aber doch einmal Bedenken in Rose-Maries — Vater auf, ob ihr Bildungsgang nicht zu sehr über praktischem Wissen vernachlässigt wurde, dann sagte er sich zur Beruhigung, daß Rose-Marie das Versäumte alles nachholen konnte, wenn sie älter wurde.

      Die Hauptsache war neben ihrer Gesundheit dem prächtigen Vater der Charakter seiner Tochter.

      Er freute sich innig an ihrer festen, klaren Art, an ihrem warmen, guten Herzen, und vor allem an ihrem wahrhaften Wesen ohne Falsch und Heuchelei.

      Fest und treu — wahr und klar, das war sein Wahlspruch, und der sollte auch seinem Kinde zur Richtschnur dienen in allen Lebenslagen.

      Rose-Marie war auch gar nicht imstande, zu lügen und zu trügen Ihre unbestechliche Wahrheitsliebe und Offenheit war überall bekannt in ganz Burgau.

      Das hatte sie von ihrem Vater geerbt. Der galt auch, bei allen Menschen, mit denen er in Berührung kam, als ein felsenfester, ehrlicher Charakter ohne Furcht und Tadel.

      Rose-Marie verehrte ihren Vater aber auch unsagbar.

      Obwohl sie sich im Verkehr ganz kameradschaftlich zu ihm stellte, wußte sie doch, wie sie zu ihm aussehen mußte. Und sie liebte ihn mit unbegrenzter Innigkeit.

      Sie fühlte seine schlichte Größe mehr, als daß sie dieselbe verstand, dazu war sie noch zu jung.

      Was der Vater sagte, war ihr Evangelium, sie wußte, das hatte Bestand. Auf ihn konnte man bauen in allen Lebenslagen. —

      So standen die Verhältnisse in Rose-Maries Elternhaus an jenem Frühsommertag, da sie nach dem Ritt auf dein »Mordskerl« mit ihren Eltern beim Frühstück saß.

      Nach dem Frühstück gingen Vater und Tochter hinüber in die Scheune, wo eine neue Mähmaschine aufgestellt war, die ausprobiert werden sollte.

      Sie küßten die Mutter zum Abschied und legten sorglich eine wollene Decke um ihre Füße, denn sie fror immer, auch wenn die Sonne noch so schön schien.

      Während Rose-Marie dann neben dem Vater über den Hof schritt, flocht sie die Haare in einen dicken Zopf zusammen, der freilig ein wenig ruschelig aussah.

      Zum Schluß band sie die blaue Schleife wieder hinein, die sie inzwischen mit den Zähnen festgehalten hatte.

      Anmutig sah diese Schleife ganz gewiß nicht aus, das eine Ende war kurz, das andere lang und die beiden Ösen standen windschief voneinander ab.

      Aber sie hielt doch fest. Das war Rose-Marie die Hauptsache.

      Befriedigt über das gelungene Werk schlenkerte sie den Zopf über die Schulter zurück und hängte sich in Vaters Arm, tapfer mit ihm Schritt haltend.

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