ist aus antiker Sicht jemand, der sein Leben nach den Regeln des Kosmos einrichtet. Er ist ein Mönch der Vernunft, und seine Weisheit zeigt sich darin, dass er sich selbst als eine lokale Funktion des Universums versteht. Dies ist gewiss nicht mehr sehr aktuell, an die Stelle dieses integralen Konzepts philosophischen Lebens ist ein moderner Weltbegriff getreten, bei dem es um so etwas wie eine universale Beratungskompetenz geht. Daher genießt die neuere Philosophie ein Interventionsprivileg hinsichtlich aller existenziellen und politischen Fragen. Während ansonsten Dilettantismus in Fragen der Erkenntnis zu Recht verboten ist, wird er bei den Philosophen geradezu gefordert, nämlich als Bereitschaft, in alles hineinzureden – was eigentlich auch heißt: in alle Dinge etwas hineinzulesen. Philosophie ist so gesehen eine hybride Lesepraxis. Wenn man Klassiker liest und solche Lektüren kreuzt, bleibt man Klassizist: Hierbei ist das Lektüreverhalten auf das Wechselspiel zwischen Primär- und Sekundärliteratur begrenzt. Oder aber man wird Modernist und liest interdisziplinär, dabei entstehen Hybridlektüren und gewagtere Kreuzungen. Das ist so ungefähr die Definition meiner Arbeit.
Wie würden Sie Ihr Werk in der philosophischen Landschaft verorten und wie stehen Sie zur akademischen Philosophie?
Ich will mich fürs Erste nicht so sehr in einer Landschaft, sondern zuerst in einer Zeitlinie verorten; landschaftliche Bezüge kommen erst später dazu. Wenn ich die Frage beantworten soll, wo ich herkomme, dann würde ich zuerst auf den deutschen Spätidealismus hinweisen, auf diese ganze Geschichte, die Karl Löwith in seinem Klassiker Von Hegel zu Nietzsche erzählt hat. Das war meine erste Prägung, mein Familiensystem, ich habe diese ganze Literatur quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Das liegt zum Teil daran, dass an unserem Münchner Gymnasium ein Mathematiker unterrichtet hat, der zugleich Philosoph war und der mit uns Schülern in einer Arbeitsgruppe die Kritik der reinen Vernunft gelesen hat – damals war ich fünfzehn, sechzehn. Der stärkste äußere Impuls kam damals aber von der theologischen Seite her, von einem protestantischen Religionslehrer, der nicht über den lieben Jesus redete, sondern über Nietzsche, Kierkegaard und Jaspers. Die These, dass Gott tot sei, war ja im Verhältnis zu der, dass er lebe, wirklich viel interessanter, und ein Geistlicher, der etwas auf sich hielt, diskutierte mit den Jungen damals lieber über das Testament des toten Gottes als über das Alte und das Neue. Ohnehin gab es nach dem Krieg für positive Glaubensbekenntnisse wenig Anhaltspunkte.
Was die landschaftliche Zuordnung angeht, wäre bei mir der Zug nach Frankreich zu erwähnen. Wobei übrigens der eben erwähnte Löwith der einzige Vertreter der deutschen Philosophie war, der begriffen hatte, dass Paul Valéry ein Philosoph eigenen Rechts war. Bei ihm standen der Philosoph und der Schriftsteller in völliger Gleichberechtigung nebeneinander, der eine dementierte den anderen nicht. Diese Zweisprachigkeit aus Literatur und Philosophie war für mich von früh an eine Selbstverständlichkeit. Dennoch, seit ich publiziere, stehe ich ständig vor dieser für mich völlig sinnlosen Frage, wie ich mich gegenüber der akademischen Philosophie verhalte. Das scheint mir vor allem deswegen absurd, weil ja der Typus, dem ich mich zurechne, gerade in Deutschland sehr gut etabliert war. Wir hatten im 19. Jahrhundert Arthur Schopenhauer, wir hatten Friedrich Nietzsche und Karl Marx, und seit die Übersetzungen aus dem Dänischen vorlagen, auch Sören Kierkegaard. Das waren alles keine Professoren, sondern Autoren, die den Weltbegriff der Philosophie anreicherten. Wir haben dann im 20. Jahrhundert auf französischer Seite mit Valéry, Camus, Sartre, Foucault und so weiter eine Reihe von Philosophen erlebt, die allesamt zugleich eminente Schriftsteller gewesen sind. Das ist alles Autorenphilosophie, die dem Weltbegriff von Philosophie neue Aspekte hinzufügte. Vor diesem Hintergrund verstehe ich die Frage nach meinem Verhältnis zur akademischen Philosophie überhaupt nicht, weil die Frage ja voraussetzt, dass der literaturnahe Typus delegitimiert sei und wir das Monopol des Professoralen akzeptieren sollten. Wieso eigentlich?
Auf der anderen Seite würde ich auf meinem Feld nie eine reine Literatur verteidigen, die nicht über das Handwerkszeug des Fachs verfügt. Die Rezeptionsverweigerung, die in der deutschen akademischen Szene meiner Arbeit gegenüber hier und dort zu beobachten war, betrifft ja üblicherweise nicht das Handwerk, sondern den literarischen Mehrwert, der bei mir hinzukommt, und auf den sich einzulassen für den Homo academicus ein existenzielles Risiko beinhaltet. Ich selbst bin von guter Schulphilosophie begeistert, aber sie muss, denke ich, ihr Gegenlager in einer vitalen Zeitphilosophie haben, das heißt in einer Autorenphilosophie, die die intellektuelle Evolution mit vorantreibt. Ansonsten bereitet gerade der Akademismus den Untergang der Philosophie vor. Akademismus, das soll man nicht vergessen, kann eine Form von Dekadenz sein.
Sind Philosophen die Ärzte der Kultur, wie Nietzsche schreibt?
Das ist zu hoch gegriffen. Kulturen brauchen keine Ärzte, weil Kulturen als Ganzes nicht krank sein können, zumindest nicht im Sinn der Inneren Medizin. Aber sie weisen Haltungsfehler auf, die nach Korrektur verlangen. Die großen Orthopäden der jüngeren Philosophie – ich denke zum Beispiel an Husserl oder Heidegger oder Hermann Schmitz – arbeiten sich an den Fehlhaltungen der europäischen Rationalitätskultur ab. Und solch ein Fehlhaltungstheoretiker war in gewisser Weise auch Nietzsche, sofern er die durch das Christentum eingeführte moralische Verkrümmung des westlichen Menschen therapieren wollte.
Heidegger selbst wies im Übrigen alle Symptome einer typischen Philosophenkrankheit auf, nämlich zu glauben, die Bewegung des Weltgeistes vollziehe sich durch seine schreibende Hand beziehungsweise durch seinen akademischen Vortrag. Immerhin: Er war auch einer von denen, die vorgeführt haben, dass Philosophie, wenn sie bei der Sache ist, immer von einer anderen Kanzel als dem akademischen Lehrstuhl aus spricht.
Wie würden Sie das Verhältnis der Philosophie zur Wissenschaft bestimmen?
Diese Frage führt uns auf ein weites Feld. Philosophie ist selbst keine Wissenschaft. Sie ist so etwas wie eine Moderatorin oder Partnerin der Wissenschaft, in historischer Sicht auch eine Matrix der Wissenschaften – doch nicht diese selbst. Sie ist, wenn Sie so wollen, sogar in ihrer wissenschaftstheoretischen Ausprägung, bestenfalls so etwas wie ein Wissenschaftsrat. Aber sie kann und soll keine Wissenschaft sein, weil sie eine ganz andere Funktion ausübt. Ich erinnere noch einmal an die Tradition der Philosophie als Modus vivendi, in der es immer einen klaren Primat der Lebensberatung gab. In der Antike wurde wissenschaftliche Betätigung immer nur so weit betrieben, wie sie nötig war, um die Therapie der Seele voranzubringen.
Bleibt da noch Raum für überzeitliche Wahrheiten?
Ja, selbstverständlich, wenn man Wahrheit als Eigenschaft von Sätzen versteht. Sätze sind überzeitlich wahr, weil und insofern es so etwas wie unverwüstliche Sätze gibt, die noch länger da sein werden, als Atommüll in Endlagern strahlen kann. Die wahren Sätze strahlen immer, die euklidischen Gesetze oder die Winkelsumme im Dreieck, die braucht man nicht in einem alten Salzbergwerk aufzubewahren, sie strahlen auf eine Weise, die mit unserem Dasein im alltäglichen Biotop bis zum Beweis des Gegenteils kompatibel zu sein scheint. Dasselbe gilt auch für historische Sätze. Nach allem, was wir wissen, wurde Cäsar an den Iden des März ermordet, und eine richtige Beschreibung dieses Vorgangs – egal wieviel daran von den Redakteuren stammt – bleibt für den Rest der Zeiten wahr. Es ist nicht so, dass wir eines Tages erklären müssten: Im Lichte neuerer Erkenntnisse oder durch eine Veränderung der Perspektive verändert sich das, was damals passiert ist, von Grund auf – und Caesar wurde an den Kalenden des Januar ermordet. Keine Sorge, die Interpretationen verändern sich, aber es gibt eine relativ entrückte Dimension. Ich bin, wie Sie sehen, kein Anhänger des radikalen Konstruktivismus, der davon ausgeht, dass es keine objektive Wirklichkeit gibt, dass alles nur durch meine grammatischen Entscheidungen und unsere kollektiven Verabredungen konstruiert wird. Ich neige eher zu einer konventionell realistischen Ontologie. Andererseits meine ich, wir wissen vielleicht noch gar nicht, wie viele Ontologien es geben muss. Es könnte zehn verschiedene Ontologien für jeweils verschiedene Dimensionen geben – eine für Zahlen, eine für geometrische Figuren, eine für Sachverhalte, eine für einzelne Ereignisse, eine für Ereignisströme, eine für Maschinen, eine für Personen, eine für Kunstwerke, eine für Götter, eine für Tiere und so weiter.
Edmund Husserl war bestrebt, Philosophie als