wäre so verrückt, mir beim Braten zugucken?“ Mona kicherte.
„Ich kenne jemanden.“ Julian verzog den Mund. „Die Mullhaupt.“
„Da fällt mir ein“, sagte Alena. „Frau Mullhaupt hat angerufen. Sie kommt am Montag.“
Die beiden stöhnten. „Das hat uns gerade noch gefehlt“, brummte Mona, und auch Julian machte ein langes Gesicht.
Julian und seine Freunde gucken Fußball
Julian war ein Fußballfan. Niklas auch. Beide spielten sie in der Jugendmannschaft und, wenn man dem Trainer glauben durfte, gar nicht mal so schlecht.
Auf das Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen England freuten sie sich schon lange. Am Samstag war es endlich so weit.
Frederic und Konstantin kamen auch. Mit Coladosen und massenhaft Chips ausgerüstet saßen sie zu viert im Wohnzimmer auf der Couch. Als die Mannschaften einliefen, johlten sie mit den Zuschauern im Stadion um die Wette. Während sich die Spieler in zwei Reihen aufstellten, brüllten die Jungen durcheinander. „Wir sind in Topform.“ – „Die Engländer kriegen ‘ne Packung.“ – „An unserem Torwart kommt keiner vorbei.“ - „Ich tippe 3:0 für uns.“
Mona steckte den Kopf zur Tür herein. „Das ist ja nicht zum Aushalten! Muss man beim Fußballgucken eigentlich so herumschreien?“
„Hau ab!“, rief Julian. „Davon verstehst du nichts.“
„Pah!“, stieß Mona verächtlich hervor. „Davon will ich auch gar nichts verstehen. Fußball ist nur was für Hirnamputierte.“
Julian hielt eine Coladose hoch und tat so, als wollte er sie nach seiner Schwester werfen. Auf einmal sie flog ihm aus der Hand und schoss im Affenzahn auf Mona zu.
Aber die duckte sich nicht, sondern streckte nur die Hand aus und schloss ihre Finger um die Dose. „Danke“, sagte sie, zog an dem Ring und nahm einen tiefen Schluck. Dann verschwand sie.
„Das hätte aber auch ins Auge gehen können“, meinte Frederic.
„Du kannst ihr doch keine Dose an den Kopf schmeißen.“ Vorwurfsvoll sah Niklas Julian an.
Julian biss die Lippen zusammen. Dieses Biest! Das hatte sie extra gemacht! Jetzt konnte er zusehen, wie er seinen Kumpels die Sache erklärte. „Mona kann gut fangen“, verteidigte er sich. „Das habt ihr ja gesehen.“
„Na ja, eigentlich hat sie sich das selbst zuzuschreiben“, meinte Konstantin. „Warum kommt sie hier rein und macht Stunk?“
Frederic nickte. „Weiber!“, stieß er verächtlich hervor.
Kurze Zeit später hatten sie den Vorfall vergessen. Das Spiel war aber auch zu spannend! Zur Halbzeit stand es 1:0 für die Deutschen. Die Chips waren aufgegessen und die Coladosen leer. Julian holte Nachschub.
Nach der Pause wurde es noch aufregender. Es sah nicht schlecht aus für die deutsche Mannschaft. Die vier Jungen saßen auf der Sofakante. Bei jeder Torchance schrien sie, trampelten und ließen sich stöhnend nach hinten fallen, wenn der Ball wieder mal haarscharf am Tor vorbeigesaust war.
Kurz vor dem Abpfiff hatte sich ein englischer Torjäger den Ball geschnappt und stürmte auf das deutsche Tor los.
„Vorsicht!!!!“, brüllte Konstantin.
„Der Torwart, diese Schlafmütze!“, schrie Julian. „Diesen Ball lässt er rein. Und zehn Minuten später noch einen!“ Er warf sich nach hinten und schlug die Hände vors Gesicht.
Der englische Spieler schoss ein Tor.
Die Jungen jaulten auf.
Danach spielten die Engländer noch härter. Bei den Deutschen dagegen war die Luft raus. Zehn Minuten später fiel noch ein Tor. Als der Schlusspfiff ertönte, hatte Deutschland 2:1 verloren.
Julian stellte den Fernseher ab. Im Wohnzimmer war es ganz still, bis auf ein leises Zischen, als Niklas eine Coladose aufmachte.
Schließlich räusperte sich Konstantin. „Ich guck nie wieder mit dir Fußball.“ Wütend sah er Julian an.
„Wieso? Was kann ich dafür, dass wir verloren haben?“
„Du verdirbst einem die Spannung“, mischte sich Frederic ein, „weil du immer schon vorher verrätst, was passiert.“
„Nun macht aber mal ‘n Punkt!“, rief Niklas dazwischen. „Julian kann doch nicht hellsehen.“
„Trotzdem.“ Konstantin stand auf. „Das nächste Mal gucken wir ohne dich. Komm, Frederic.“
„Die spinnen“, sagte Niklas zu seinem Freund. „Obwohl, wenn ich es mir genau überlege … Erst nachdem du es gesagt hattest, ließ der Torwart zwei Bälle rein. Vielleicht solltest du demnächst tatsächlich besser den Mund halten.“
„Okay“, sagte Julian. „Willst du noch Chips?“
Julian will nichts hören
Am Sonntag brachten die Lukaskinder das ganze Haus auf Vordermann. Nicht, dass es bei ihnen unordentlich gewesen wäre. Aber für die Mullhaupt konnte es nicht aufgeräumt genug sein.
„Immer dieses Theater wegen dieser Tante“, murrte Julian.
„Wann merkt sie endlich, dass Alena gut auf uns aufpassen kann?“, maulte Mona.
„Für das Jugendamt sind wir drei Jugendliche, die allein in einem Haus leben“, erklärte Alena. „Sie müssen ein Auge auf uns haben. Wir können von Glück sagen, dass sie uns nach Papas und Mamas Tod nicht in ein Heim oder in Pflegefamilien gesteckt haben.“
Wie immer, wenn die Rede auf die Eltern kam, rannte Julian aus dem Zimmer.
Alena seufzte und begann, Zeitungen von dem niedrigen Wohnzimmertisch in einen Ständer zu räumen.
Mona seufzte ebenfalls und goss die Grünpflanzen auf dem Fensterbrett. „Julian denkt, er wäre schuld an dem Unfall. Aber er sagt mir nicht, warum.“
Alena unterbrach ihre Arbeit. „Ein paar Minuten bevor es passierte, fing er an, fürchterlich zu schreien. Und er brüllte immer: ‚Papa! Pass auf! Pass auf!‘ Mama und ich konnten ihn nicht beruhigen. Julian glaubt, dass Papa deshalb genervt war und in den Lastwagen hineingefahren ist.“
Mona ließ die Gießkanne sinken. „Und? War es so?“
Alena schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht. Julian hat zwar gebrüllt, weil er voraussah, dass ein Unfall geschehen würde. Aber die Straße war nass und hatte viele Kurven. Und der Lastwagen fuhr viel zu schnell. Außerdem ist Papa nicht in ihn reingefahren, sondern der Lastwagen in unser Auto.“
Oben in seinem Zimmer lag Julian auf dem Bett und presste sein Gesicht ins Kissen. Er kniff ganz fest die Augen zu, als ob er so die Bilder vertreiben könnte, die in seinem Kopf herumspukten: Dunkelheit, Regen, der in Strömen an den Scheiben herunterlief, grelles Scheinwerferlicht. Es war, als hörte er wieder das Brummen des Motors und dann das Kreischen der Bremsen und den ohrenbetäubenden Knall.
Bei diesem Unfall kamen die Eltern ums Leben und er selbst erlitt schwere Verletzungen. Alena passierte nichts, obwohl sie aus dem Auto geschleudert worden war. Man fand sie später ein gutes Stück vom Unfallort entfernt, wo sie wie betäubt im Gras saß.
Mona war nicht dabei gewesen. Sie hatte an diesem Tag bei einer Klassenkameradin Geburtstag gefeiert und dort übernachtet. Als es geschah, schlief sie seelenruhig und ahnte von nichts.
Julian hörte seine Schwestern im Wohnzimmer werkeln. Gleich würde er wieder zu ihnen runtergehen.
Mona schimpfte. „Diese blöde Mullhaupt! Ich kenne weiß Gott bessere Möglichkeiten, einen Sonntag zu verbringen.“
„Ich auch“, stimmte Alena zu. „Mich mit meinen