George Sand

Indiana


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sagen, ich sei töricht,« bemerkte sie, indem sie ihre Hand, welche Sir Ralph noch immer hielt, zurückzog; »aber es droht jemandem ... wahrscheinlich mir ... eine Gefahr; ich fühle mich aufgeregt, als wenn mir eine neue Gestaltung meines Schicksals bevorstände ... Ich fürchte mich,« fügte sie schaudernd hinzu.

      Und ihre Lippen wurden so bleich wie ihre Wangen. Erschrocken über ihre tödliche Blässe, zog Sir Ralph die Klingel, um Hilfe herbeizurufen. Niemand kam, und da Indiana immer schwächer wurde, legte er sie auf eine Chaiselongue, eilte durch alle Zimmer, Wasser und flüchtige Salze suchend, ohne sie zu finden, zerriß alle Klingeln und rang die Hände vor Ungeduld und Unmut über sich selbst.

      Endlich kam er auf den Gedanken, die Glastür, die nach den Park führte, zu öffnen, und nach Lelièvre und nach Indianas Kammermädchen, der Kreolin Noun, zu rufen.

      Einige Augenblicke nachher kam Noun aus einer der finstersten Alleen des Parkes hervor und fragte lebhaft, ob Frau Delmare sich kränker als gewöhnlich fühle.

      »Ja, sehr krank,« antwortete Herr Brown.

      Beide traten in den Salon und eilten der ohnmächtig gewordenen Frau Delmare zu Hilfe.

      Noun war ihre Milchschwester und ist gemeinsam mit ihr erzogen worden. Beide liebten sich zärtlich. Noun, groß, stark, strahlend von Gesundheit, lebhaft, flüchtig und voll des heißen, leidenschaftlichen Blutes der Kreolen, übertraf an glänzender Schönheit den bleichen, zarten Reiz Indianas, die gegenseitige große Anhänglichkeit ließ jedoch ein Gefühl weiblicher Rivalität zwischen ihnen nicht aufkommen.

      Als Frau Delmare wieder zu sich kam, fiel ihr die Aufregung in den Zügen ihres Kammermädchens, die Unordnung und Nässe ihres Haares, die Unruhe, die sich in ihrem ganzen Wesen zeigte, sofort auf.

      »Beruhige dich doch, mein armes Kind,« sagte Indiana freundlich.

      Noun drückte die Hand ihrer Herrin an ihre Lippen und fragte in einer seltsamen Angst und Verstörtheit:

      »Ach Gott, gnädige Frau, wissen Sie, warum Herr Delmare im Park ist?«

      »Warum?« wiederholte Indiana, »wenn ich mich recht erinnere, so wollte er –«

      »Herr Delmare behauptet, es seien Diebe im Park,« unterbrach sie Noun mit bebender Stimme; »er macht mit Lelièvre die Runde, beide mit Flinten bewaffnet...«

      »Nun?« sagte Indiana, welche irgend eine Schreckensnachricht zu erwarten schien.

      »Nun,« erwiderte Noun, indem sie in höchster Aufregung die Hände rang, »ist der Gedanke nicht entsetzlich, daß sie einen Menschen töten wollen?«

      »Töten?« rief Frau Delmare auffahrend.

      »Ja, ja, sie werden ihn töten!« sagte Noun mit unterdrücktem Schluchzen. Sie ging an das Fenster des Salons und von da wieder an die Chaiselongue ihrer Herrin zurück und lauschte mit angstvoller Miene auf das geringste Geräusch.

      »Aber hast du denn ganz den Verstand verloren?« rief Sir Ralph unwillig. »Siehst du nicht, daß du deine Herrin erschreckst?« Fast in demselben Augenblicke machte der Knall eines Flintenschusses die Fensterscheiben erklirren. Noun sank auf ihre Knie.

      »Was für erbärmliche unnötige Weiberfurcht!« schalt Sir Ralph, »man wird ein Kaninchen geschossen haben.«

      »Nein, Ralph,« entgegnete Frau Delmare, mit festem Schritt nach der Tür gehend, »ich sage dir, es ist Menschenblut vergossen worden.«

      Noun stieß einen durchdringenden Schrei aus.

      Jetzt hörte man im Park Lelièvres Stimme. »Gut gezielt, Herr Oberst!« rief er. »Der Räuber liegt auf der Erde! ...«

      Sir Ralph begann nun ebenfalls unruhig zu werden. Er folgte Frau Delmare, und einige Augenblicke nachher brachte man einen blutenden Menschen ins Haus, der kein Lebenszeichen gab.

      »Nicht so viel Lärm und Geschrei!« rief der Oberst in einem Tone, der fast lustig klang, seinen erschreckten Dienern zu, welche sich um den verwundeten drängten; »meine Flinte war nur mit Salz geladen. Ich glaube sogar, ich habe ihn nicht einmal getroffen; er ist aus Schreck heruntergefallen.«

      »Und dieses Blut,« fragte Frau Delmare vorwurfsvoll, »fließt es auch bloß aus Schreck?« Mit einer Entschlossenheit, die ihr niemand zugetraut hätte, trat sie zu dem verwundeten und leuchtete mit einem Lichte in sein Gesicht. Statt eines Strolches, wie man erwartet hatte, erblickte man einen jungen Mann mit edlen Zügen, sorgfältig, wie zur Jagd gekleidet. Eine Hand war nur leicht verwundet, aber seine zerrissenen Kleider und seine Ohnmacht ließen auf einen schweren Fall schließen.

      »Kein Wunder!« sagte Lelièvre, »er ist ja zwanzig Fuß hoch heruntergefallen. Er ritt gerade auf der Mauerkante, als der Oberst auf ihn schoß. Infolge des Schmerzes ließ er los. Ich habe ihn selbst herunterfallen sehen.«

      »Wenn dieser Mensch tot ist, so ist es meine Schuld nicht,« sagte der Oberst, »untersuche einmal die Hand, Indiana, und wenn du ein einziges Schrotkorn darin findest ...«

      »Ich glaube dir gern,« antwortete Indiana, welche mit einer Kaltblütigkeit und einer moralischen Kraft, deren niemand sie für fähig gehalten hätte, aufmerksam den Puls und die Halsadern untersuchte. »Auch ist er nicht tot,« fügte sie hinzu, »sondern bedarf schleuniger Hilfe.«

      Darauf ließ sie den Verwundeten in den Billardsaal bringen, welcher zunächst lag. Auf einige Bänke breitete man eine Matratze aus, und, von ihren Frauen unterstützt, verband Indiana die verwundete Hand, während Sir Ralph, welcher chirurgische Kenntnisse besaß, einen reichlichen Aderlass vornahm.

      Der Oberst war unter dem Hauseingang bei seinen Dienern geblieben. Er war jetzt ganz zahm geworden, wie immer, sobald er seinem Zorn genug getan hatte. Jeder der Diener teilte seine Ansicht, daß es doch höchst verdächtig sei, wenn jemand sich des nachts über die Mauern einschleicht. Der Gärtner zog seinen Herrn leise beiseite und flüsterte ihm zu, der Eindringling sehe aufs Haar einem jungen Gutsbesitzer ähnlich, der erst seit kurzem in der Nachbarschaft wohne, und den er drei Tage vorher bei dem ländlichen Feste von Rubelles mit Fräulein Noun habe sprechen sehen.

      Diese Mitteilung gab Herrn Delmares Ideen eine andere Richtung; seine breite, glänzende und kahle Stirn wurde von einer starken Ader durchfurcht, deren Anschwellen stets der Vorläufer eines Sturmes war.

      »Teufel!« sagte er zu sich selbst, indem er die Fäuste ballte, »meine Frau zeigt für diesen Gelbschnabel, der sich bei mir über die Mauern einschleicht, eine ganz auffallende Teilnahme. Dahinter muß ich kommen!«

      Bleich und zitternd vor Zorn trat er in den Billardsaal.

      Drittes Kapitel

      »Beruhige dich,« sagte Indiana, »der Mann wird sich in einigen Tagen wieder erholen, wenigstens hoffen wir es, obgleich er die Sprache noch nicht wiedergefunden hat ...«

      »Darum handelt es sich nicht,« sagte der Oberst mit gepreßter Stimme, »für mich handelt es sich darum, den Namen dieses interessanten Kranken zu erfahren, und mir zu erklären, wie er so zerstreut sein konnte, die Parkmauer mit der Haustür zu verwechseln.«

      »Er ist mir gänzlich unbekannt,« antwortete Frau Delmare mit einer so stolzen Kälte, daß ihr furchtbarer Gatte einen Augenblick wie betäubt war. Aber bald kam er wieder auf seinen eifersüchtigen Verdacht zurück und sagte mit gedämpfter Stimme:

      »Ich werde es erfahren, Indiana, sei versichert, ich werde es erfahren ...«

      Frau Delmare tat, als bemerke sie seine Wut nicht. Um vor seinen Dienern nicht loszubrechen, ging der Oberst hinaus und rief den Gärtner.

      »Wie nennt sich jener Herr, der unserem Spitzbuben ähnelt, wie du sagst?«

      »Herr von Ramière; er hat vor kurzem das kleine englische Haus des Herrn von Cercy gekauft.«

      »Was ist er für ein Mensch? Ist er ein Edelmann, ist er hübsch?«

      »Sehr schön und ein Edelmann, wie ich glaube...«