George Sand

Indiana


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hier herumschweifen sehen?«

      »Herr Oberst ... schon vergangene Nacht ...« erwiderte Louis verlegen, »habe ich deutlich einen Mann an den Fenstern der Orangerie gesehen.«

      »Und du bist nicht über ihn hergefallen?«

      »Herr Oberst, ich wollte es tun, aber da sah ich eine weißgekleidete Dame aus der Orangerie heraustreten und ihm entgegengehen. Vielleicht sind es der Herr Oberst und die gnädige Frau, dachte ich, die vor Tagesanbruch einen Spaziergang machen, und legte mich wieder zu Bette. Aber diesen Morgen hörte ich, daß Leliévre von einem Diebe sprach, dessen Fußspuren er im Park gesehen haben wollte, und ich sagte mir, dahinter steckt etwas.«

      »Ich verstehe, du erlaubst dir, Gedanken zu haben. Du bist ein Einfaltspinsel. Wenn du noch einmal einen solchen unverschämten Gedanken äußerst, so schneide ich dir die Ohren ab. Verstanden!«

      Der Oberst trat wieder in das Billardzimmer, und ohne darauf zu achten, daß der Verwundete endlich Zeichen des wiederkehrenden Bewusstseins gab, begann er die Taschen des Rockes zu untersuchen, welcher über einen Stuhl gehängt war. Der Verwundete streckte seinen Arm aus und sagte mit schwacher Stimme:

      »Sie wünschen zu wissen, wer ich bin, mein Herr. Ich werde es Ihnen sagen, sobald wir allein sind. Bis dahin ersparen Sie mir die Verlegenheit, in der lächerlichen und unangenehmen Lage, in der ich mich befinde, Ihnen meinen Namen zu nennen.«

      »Ich gestehe Ihnen,« antwortete der Oberst scharf, »ich habe sehr wenig Mitleid mit Ihrer Lage. Doch da ich hoffe, daß wir uns bald allein gegenüberstehen werden, so will ich mir das Vergnügen Ihrer näheren Bekanntschaft bis dahin aufsparen. Wollten Sie aber wohl mir unterdessen sagen, wohin ich Sie bringen lassen soll?«

      »In das Wirtshaus des nächsten Dorfes, wenn Sie so gütig sein wollen.«

      »Aber der Herr ist nicht transportabel,« wandte Indiana lebhaft ein. »Nicht wahr, Ralph?«

      »Der Zustand des Herrn beschäftigt dich viel zu sehr,« sagte der Oberst. »Geht hinaus,« wandte er sich an die Diener. »Der Herr befindet sich besser und wird mir jetzt seine Gegenwart in meinem Hause erklären können.«

      »Ja, mein Herr,« antwortete der Verwundete, »es wäre mir aber lieber, wenn alle Anwesende mein Geständnis hörten, denn es liegt mir sehr daran, nicht für das zu gelten, was ich nicht bin. Erfahren Sie denn, welcher Anlass mich zu Ihnen führte: Mein Herr, Sie haben durch außerordentlich einfache und nur Ihnen bekannte Mittel eine Maschine konstruiert, welche an Leistungsfähigkeit alle anderen Werke dieser Art in hiesiger Gegend übertrifft. Mein Bruder besitzt im südlichen Frankreich ein ziemlich ähnliches Etablissement, das aber ungeheure Summen verschlingt. Daher entschloss ich mich, Sie um einige gute Ratschläge zu bitten. Aber man ließ mich nicht bei Ihnen vor, sondern antwortete mir, es sei niemand erlaubt, Ihr Etablissement zu besehen. Durch diese Zurückweisung gereizt, beschloss ich, selbst mit Gefahr meines Lebens und meiner Ehre, das Unternehmen meines Bruders zu retten. Ich erstieg in der Nacht Ihre Mauer und suchte in das Innere Ihrer Fabrik zu dringen. Ich wollte mich in irgend einem Winkel verbergen und Ihre Arbeiter bestechen, um die Maschine kennen zu lernen und einen rechtlichen Mann Nutzen daraus ziehen zu lassen, ohne Ihnen zu schaden. Das ist mein Vergehen, wenn Sie noch eine andere Genugtuung verlangen, bin ich bereit, sie Ihnen zu geben, sobald ich wieder hergestellt sein werde.«

      »Ich denke, wir könnten die Sache als abgetan ansehen, mein Herr,« antwortete der Oberst. »Ihr habt die Erklärung mit angehört, ihr anderen. Geht jetzt hinaus und laßt mich mit diesem Herrn über meine Maschineneinrichtung sprechen.«

      Die Diener gehorchten. Der von seiner langen Rede geschwächte Verwundete sank auf Indianas Arm zurück und verlor zum zweiten Mal das Bewusstsein.

      Herr Delmare zog Sir Ralph beiseite. »Freund,« flüsterte er, ihm die Hand fast wund drückend, »das ist eine schlau angelegte Intrige! Ich bin zufrieden, vollkommen zufrieden mit dem geschickt ersonnenen Vorwand, wodurch dieser junge Mann meine Ehre in den Augen meiner Leute bewahrt hat. Aber beim Teufel! er soll die Schmach teuer bezahlen, die er mir angetan hat. Und dieses Weib, das ihn pflegt und sich den Anschein gibt, als kenne sie ihn nicht! O, die List ist den Frauen angeboren! ...«

      Sir Ralph ging eine Weile im Saale auf und ab. Dann trat er wieder zum Oberst und zeigte mit dem Finger auf Noun, welche mit verstörten Blicken und todbleichen Wangen in der Unbeweglichkeit der Verzweiflung hinter dem Kranken stand.

      Ralph erinnerte sich, daß Noun in dem Augenblicke, wo er sie gesucht hatte, im Park gewesen war, er dachte an ihre durchnäßten Haare, ihre feuchte und schmutzige Fußbekleidung. Diese unbedeutenden Umstände waren ihm, als Frau Delmare in Ohnmacht lag, nicht sehr aufgefallen, aber jetzt kehrten sie wieder in sein Gedächtnis zurück, ebenso wie jenes Entsetzen, jene krampfhafte Aufgeregtheit und der Schrei, den Noun ausgestoßen hatte, als sie den Flintenschuss hörte ...

      Herr Delmare verstand Ralphs Andeutungen sogleich und brauchte nur das Gesicht dieses Mädchens zu beobachten, um zu merken, daß sie allein die Schuldige war. Demungeachtet mißfiel ihm die eifrige Sorge seiner Frau um den Helden dieses galanten Abenteuers.

      »Indiana,« sagte er, »entferne dich. Es ist spät und du bist nicht wohl; Noun wird bei dem Herrn bleiben, um ihn diese Nacht zu pflegen, und wenn er morgen besser ist, werden wir ihn in seine Wohnung bringen lassen.«

      Frau Delmare, welche dem Ungestüm ihres Gatten mutig zu widerstehen wußte, gab stets seiner Sanftmut nach. Sie bat Sir Ralph, noch ein wenig bei dem Kranken zu bleiben, und zog sich in ihr Zimmer zurück.

      Nicht ohne Absicht hatte der Oberst diese Anordnung getroffen. Als alles zur Ruhe und das Haus still war, schlich er sich leise in den Saal, wo Herr von Ramière lag. Hinter einem Vorhang verborgen, belauschte er das Gespräch des jungen Mannes mit dem Kammermädchen und bald stellte sich heraus, daß zwischen beiden ein Liebesverhältnis bestand. Die ungewöhnliche Schönheit der jungen Kreolin hatte in der Umgegend Aufsehen gemacht. Mehr als ein hübscher Offizier von den in Melun liegenden Lanciers hatte sich um sie bemüht, aber nur Herr von Ramiére hatte Erhörung gefunden.

      Der Oberst Delmare trug so wenig Verlangen, in das Liebesgeheimnis tiefer einzudringen, daß er sich zurückzog, sobald er sich von der Schuldlosigkeit seiner Gattin versichert hatte.

      Als Frau Delmare erwachte, sah sie Noun verwirrt und traurig an der Seite ihres Bettes, doch schrieb sie dies der Aufregung und Anstrengung der Nacht zu. Noun gewann völlig ihre Unbefangenheit wieder, als sie den Oberst ruhig in das Zimmer seiner Frau eintreten und von dem Vorfall sprechen hörte, wie von einer ganz harmlosen Sache.

      Am frühen Morgen hatte sich Sir Ralph nach dem Befinden des Kranken erkundigt. Der Sturz von der Mauer hatte keine gefährliche Folge, die Wunde an der Hand war bereits zugeheilt. Herr von Ramiére hatte gewünscht, sogleich nach Melun gebracht zu werden, und seine Börse unter die Dienerschaft verteilt, um sich deren Schweigen zu erkaufen, damit seine Mutter, die nur einige Stunden von hier wohnte, wie er sagte, nicht erschreckt werde. Der Oberst und Sir Ralph hatten das Zartgefühl, Nouns Geheimnis zu bewahren und sie nicht einmal ahnen zu lassen, daß sie es wüßten. Bald war in der Familie Delmare von diesem Vorfall nicht mehr die Rede.

      Viertes Kapitel

      Es dürfte vielleicht zweifelhaft erscheinen, daß Herr Raymon von Ramiére, ein junger Mann von glänzenden Eigenschaften, an die Erfolge im Salon und an vornehme Abenteuer gewöhnt, zu dem Kammermädchen auf einem kleinen Gute eine dauernde Neigung gefaßt habe. Herr von Ramiére schätzte die Vorteile der Geburt nach ihrem wahren Werte. Er hatte sogar Grundsätze, wenn er seiner besseren Einsicht folgte, aber er war ein Mann mit ungezähmten Leidenschaften, und wenn diese die Oberhand über ihn gewannen, war er keiner ruhigen Überlegung mehr fähig.

      Herr von Ramiére war in die junge Kreolin mit den großen, schwarzen Augen, welche bei dem Feste von Rubelles die Bewunderung der ganzen Umgegend auf sich gezogen hatte, verliebt; nichts weiter. An dem Tage, wo er über dieses leicht besiegte Herz triumphierte, kehrte er voll Schrecken über seinen Sieg in seine Wohnung zurück und sagte, sich vor die Stirn schlagend:

      »Wenn