Peter Maier

Heilung – Initiation ins Göttliche


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meiner Vereinssturnhalle in München - fassungslos. Es wird Volleyball gespielt wie jeden Donnerstag Abend - Kollegensport. Seit Jahren ist dieser eine willkommene Abwechslung, um Spannungen abzubauen, mich abzureagieren und so einen körperlichen Ausgleich zum Lehrerberuf zu finden. Was ist nur los mit mir? Das linke Knie tut mir bereits nach wenigen Sprüngen total weh. Was ist passiert? Hat dies womöglich mit meiner verrückten Skifahrt vom Wochenende zu tun? Aber warum denn? Ich hatte doch keinen Sturz! Solch einen Schmerz hatte ich noch nie zuvor.

      Von einem Kollegen bekomme ich die Adresse eines erfahrenen Sportmediziners in München mitgeteilt. Der Arzt punktiert mein Knie und holt ein Spritze voll gelber Flüssigkeit heraus. Das Knie ist offensichtlich entzündet. Eine Röntgenuntersuchung mit einem Kontrastmittel bringt keinen Aufschluss bezüglich meiner Schmerzen. Der Mediziner spritzt mir über einen Zeitraum von sechs Wochen immer wieder eine heilende Substanz ins Knie. Die Schmerzen gehen jedoch nicht weg. Panik ergreift mich, denn mein Leben ist bisher hauptsächlich sportlich ausgerichtet: drei Abende in der Woche Skigymnastik und Volleyballspiel, Skifahrten am Wochenende, Tennisspielen und Bergtouren im Sommer. Der Arzt empfiehlt mir einen Spezialisten für Arthroskopie.

      Schnell wird in seiner Klinik ein OP-Termin vereinbart. Eine Assistenzärztin führt das Vorgespräch, den Operateur selbst bekomme ich gar nicht zu Gesicht. An einem Freitag Nachmittag Ende März ist es dann soweit. In der Klinik bekomme ich eine Vollnarkose. Als ich bald nach Ende der OP wieder aufwache, ist es etwa 15.30 Uhr. Bereits um 16.00 Uhr bittet mich die Krankenschwester höflich aber unmissverständlich, mich doch von Angehörigen abholen zu lassen, weil die Privatklinik nur für ambulante Operationen vorgesehen sei und die Bediensteten ins Wochenende gehen möchten. Natürlich gibt es einen Notdienst, falls es Komplikationen geben sollte. Ein Taxi bringt mich zu meinem Bruder in München. Ich bin noch ziemlich von der Narkose benommen.

      Am nächsten Tag gibt es eine kurze Nachuntersuchung und einen Verbandswechsel durch das Ärzteteam. Etwa drei Minuten ist es mir gegönnt, den Operateur selbst zu Gesicht zu bekommen und von ihm Auskunft über den Eingriff tags zuvor zu erhalten: Ein Meniskus hatte sich durch jahrelange Belastungen gelöst – vermutlich bei meinen sportlichen Aktivitäten. Den letzten Ausschlag hatte anscheinend jener Skitag im Januar bei schwerem Schnee gegeben. Der Meniskus wurde während der Arthroskopie wieder angeklebt. Ein Assistenzarzt drückt mir zum Schluss noch einen Merkzettel in die Hand, auf dem einige Hinweise zum Muskelaufbau stehen. Zwei Wochen solle ich noch mit Krücken gehen, in vier Wochen könne ich wieder mit dem Sport beginnen, in acht Wochen sei ich wieder „voll sportfähig“, wird mir bei dieser Gelegenheit versichert. Dies steht auch so auf dem Zettel. Dann bin ich wieder allein und ganz mir selbst überlassen. Das sind ja schöne Aussichten. Der Operateur hat mir Mut gemacht. Ich kann also hoffen, bald wieder so sportlich unterwegs zu sein, als sei nie etwas geschehen.

      Ich denke nicht weiter darüber nach, ob vielleicht mein Sportverhalten selbst in den letzten Jahren Schuld an der Verletzung gewesen sein könnte. Die Botschaft der Ärzte ist ganz in meinem Sinne: Ich kann weiter machen wie bisher – Ski fahren, Bergtouren gehen, drei mal wöchentlich Volleyball spielen. Zumindest interpretiere ich den Merkzettel und die Worte des Assistenzarztes so. Bei einer Nachbesprechung mit einer anderen Assistenzärztin des OP-Zentrums kann ich in ausliegenden Broschüren lesen, dass 99,98 (!) Prozent aller Operationen dieses Zentrums bisher erfolgreich gewesen seien. Zudem versichert mir die Ärztin, dass die OP auch bei mir absolut erfolgreich verlaufen sei.

      Als ich im Juli eine größere Bergtagestour bestreiten möchte, bekomme ich überraschenderweise wieder Knieschmerzen. Das darf doch eigentlich nicht sein! Die Verletzung und der operative Eingriff haben offensichtlich doch Spuren hinterlassen. Oder war der Muskelaufbau zu wenig gewesen? Darüber denke ich gar nicht nach; denn ein Leben ohne sportliche Betätigung ist für mich zum damaligen Zeitpunkt unvorstellbar. Der Sport bestimmt fast mein komplettes Freizeit-Leben als Single, der ich damals noch war.

      August 1992. Alpenüberquerung von Oberstdorf nach Meran. Der Rucksack wiegt 12 Kilo. Am fünften Tag schlottern mir nach einem langen Aufstieg mit 1000 Höhenmetern und nach einem noch längeren Abstieg um 1500 Höhenmeter die Knie. Daher bekomme ich vor der anstehenden Gletscherüberquerung über den Similaun, wo einige Jahre zuvor an der Grenze zwischen Österreich und dem italienischen Südtirol „Ötzi“ gefunden worden war, ziemlich Angst. Ich muss die Wanderung abbrechen. Das stinkt mir gewaltig, ich blamiere mich zudem vor den Begleitern, da ich doch der Initiator dieser Alpenüberquerung bin. Nun muss ich klein beigeben, weil das linke Knie nicht mitmacht. Zu diesem Zeitpunkt will ich immer noch nicht wahrhaben, dass eine Knieoperation eben doch Spuren hinterlassen kann, gerade was die Stabilität betrifft, auch wenn dies in der OP-Klinik bestritten worden war. Zudem will ich mir nicht eingestehen, dass ich womöglich nicht mehr grenzenlos Berge besteigen, „wild“ Ski fahren und beliebig oft Volleyball spielen und dabei unzählige Male auf dem Hallenboden aufknallen kann wie bisher.

      Januar 1993. Volleyballspiel in der Vereinsturnhalle. Gerne nehme ich das Angebot der im Nachbarfeld spielenden ersten Freizeit-Mannschaft an, bei ihnen mitzutrainieren. Eine große Ehre für mich! Beim Übungsspiel tritt ein gegnerischer Spieler auf mein Feld über. Als ich von einem Block wieder auf dem Hallenboden landen will, gerate ich versehentlich auf den Fuß des anderen Spielers. Der Knöchel knickt um. Ich höre ein komisches Knacken im linken Knie und spüre einen stechenden Schmerz. Nein, nicht schon wieder! Nach zwei Wochen geht der Schmerz weg. Ich gehe wieder zum Volleyballspiel.

      Aus jetziger „klügerer“ Sicht kann ich nur sagen: Für ein bereits verletztes Knie sind die Sprünge auf den Hallenboden beim Volleyballspielen reines Gift. Aber damals will ich dies einfach nicht wahrhaben. Ich bin unbelehrbar – vielleicht auch deshalb, weil gerade das Volleyballspiel ein wichtiger allwöchentlicher und regelmäßiger Freizeitevent ist und eine große soziale Bedeutung für mich hat. Beim Spiel und noch mehr beim „Nachsport“ in der Stammkneipe habe ich immer einen guten und vertrauten Kontakt mit meinen Sportsfreunden, die ich ja erst beim Volleyball kennengelernt habe.

      Nach jedem Spiel habe ich Knieschmerzen, nach ein oder zwei Wochen gehen diese glücklicherweise immer wieder weg. Selbst eine kleinere Bergtour im Sommer 1993 ist noch drin. Das rechte Knie fühlt sich stark und unversehrt an, also glaube ich, weiter so tun zu können, als wäre nichts passiert. Ich ignoriere die Probleme im linken Knie. Im Herbst weiß ich aber, dass ich es so nicht mehr lassen kann. Auf den ersten Operateur bin ich sauer, weil ich nach seiner Prognose ja nach zwei Monaten wieder voll sportfähig hätte sein sollen. Ich fühlte mich jedoch die ganze Zeit unsicher im Knie, besonders nach dem Umknicken des Knöchels beim Volleyballspiel. Für diese neue mechanische Verletzung kann der Operateur aber gar nichts. Dies will ich nicht wahrhaben. Es ist viel einfacher, dem Arzt auch noch die Schuld für die zweite Verletzung zu geben. Denn dann muss ich mein Sportverhalten nicht ändern.

      Diesmal suche ich eine andere bekannte Sportmediziner-Praxisgemeinschaft in München auf. Von einem der Ärzte werde ich, ebenfalls ambulant in einer Tagesklinik, schnell und unkompliziert operiert. Die Diagnose nach der erneuten Arthroskopie: Miniskusanriss und Knorpelschädigung im linken Knie. Der Knorpel, von dessen Existenz ich bis dahin nichts gehört oder gewusst hatte, musste geglättet – „geshaved“ – werden. Ich will einfach alle Problem schnell weg haben und mich wieder unbekümmert meinem sportlich orientierten Leben widmen können. Damals, mit immerhin 39 Jahren, war ich nicht in der Lage, nach innen zu hören oder gar zu fühlen. Alles wurde mit Sport „wegtrainiert“ und verdrängt. Ich wollte einfach weiter machen wie bisher.

      Im Frühjahr 1994 versuche ich wieder, Volleyball zu spielen. Schon nach dem ersten Sprung spüre ich wieder einen stechenden Schmerz und muss erneut einen Arzt aufsuchen. Einige kleine Bänderstränge sind eingerissen. Um eine weitere OP komme ich diesmal herum. Nun beschließe ich schweren Herzens, mit dem Volleyballspielen aufzuhören – endlich. Ich bin deswegen jedoch total frustriert. Ich fühle mich jetzt in meinem Körper, aber auch psychisch ziemlich verunsichert. Ein neues, anderes Denken, eine andere Vorstellung vom und Einstellung zum Leben habe ich noch nicht gefunden, obwohl ich mittlerweile Vater geworden bin und für Mutter und Kind zu sorgen habe.

      Februar 1995. Fortbildungskurs unter Leitung eines Psychologen. In der Gruppe geht es sehr emotional zu, verdrängte Emotionen werden bewusst angetriggert und freigesetzt. In einer kurzen Pause während zwei