Peter Maier

Heilung – Initiation ins Göttliche


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Wie sie selbst sagt, sind sie ihre „Helfer“. Der Gegensatz zu den zupackenden Orthopäden könnte nicht größer sein. „Aura-Reading“? Tut dies vielleicht weh? Werde ich dabei psychisch verändert? Oder ist alles nur Scharlatanerie, mit der jemand mit mir gutes Geld verdient? Solche Gedanken gehen mir gerade durch den Kopf.

      Die Heilerin hat sich auf mein Kommen vorbereitet und liest von einem Blatt ihre Erkenntnisse ab, die sie über mich bereits am Tag zuvor „gesehen“ hat. Vor dem Hintergrund meiner bayerisch-katholischen Erziehung ist dies alles Humbug und Zauberei. Wie kann es so etwas geben? Wie kann jemand in meine Seele schauen, der mich noch nie gesehen, sondern nur ein halbes Jahr zuvor bei der Terminvereinbarung einmal kurz meine Stimme gehört hat? Vor dem Hintergrund meines bisherigen Glaubens konnte das nur Jesus. Werde ich jetzt vollkommen hinters Licht geführt? Geht es womöglich nur um Geldschneiderei? Die Dame verlangt 100 Mark in der Stunde, lässt ein Tonband mitlaufen.

      Eine Stunde lang erzählt sie mir, was meine wahren Probleme seien, was eben meine Aura, das heißt mein Energiefeld, ihr „sage“. Vor allem auf zwei frühere Inkarnationen, also auf Existenzen in früheren Leben, weist sie mich hin. Dort seien schlimme Traumata geschehen. Darum versucht sie anschließend, diese Traumata durch ein sehr eigenartiges Summen-Ritual für mich aufzulösen. Denn in den beiden früheren Inkarnationen seien böse Dinge passiert, die auch mit dem jeweiligen Tod nicht beendet werden konnten, in meiner Seele festgehalten wurden und die daher bis in dieses jetzige Leben hereinwirken, die Körperprobleme und vor allem die chronischen Schmerzen verursachen, sowie eine Heilung verhindern würden. Die Mitteilung ihrer Erkenntnisse und das Heilungsritual dauern etwa eine Stunde lang.

      In der folgenden Stunde stelle ich dann Fragen an die Heilerin, die durch ihre Diagnose aufgeworfen wurden und die sie mir zu beantworten versucht. Nach zwei Stunden und um 200 Mark leichter verlasse ich die Frau wieder, eine Tonkassette in der Hand, auf der das ganze Gespräch aufgezeichnet worden ist. Es dauert über sechs Wochen, bis ich auf siebzig (!) großen Seiten die ganze „Session“ von der Kassette heruntergeschrieben habe. Denn ich spüre instinktiv, dass die Heilerin keine Spinnerin ist, sondern dass ihre Erkenntnisse über mich und meine Seele durchaus Sinn machen könnten. Außerdem möchte ich durch das Aufschreiben noch mehr Bewusstsein über diese neuen, von der Heilerin ganz selbstverständlich geäußerten Vorstellungen bekommen – etwa über frühere Inkarnationen, also Vorleben. Schließlich möchte ich vor mir selbst rechtfertigen, warum ich so viel Geld ausgegeben habe. Denn ich kann die Rechnung für diese „Session“, die die Themen „Geistheilung – Aura-Reading – Heilung von Traumata aus früheren Inkarnationen“ zum Inhalt hatte, sicher bei keiner Krankenkasse einreichen.

      Zum ersten Mal werde ich mit der Thematik der „Reinkarnation“ konfrontiert. Der Glaube an die Seelenwanderung ist ein Kernstück der großen östlichen Religionen, vor allem des Hinduismus. Auch bei vielen indigenen Völkern gibt es eine Vorstellung von Wiedergeburt der Seelen Verstorbener in die Stammesgesellschaft hinein. Diese Lehren sind mir zumindest prinzipiell und ganz grob vertraut, haben aber nichts mit den gängigen christlichen Vorstellungen gemein, in denen ich sozialisiert wurde. Nein, mit Wiedergeburtsgedanken hatte ich bisher nichts zu tun.

      Das Christentum konzentriert sich ausschließlich auf dieses jetzige Leben und geht nur von einer einzigen, nämlich der aktuellen, Inkarnation unserer als unsterblich angenommenen Seele aus. Diese – so die offizielle Lehre – wandere nach dem Tod direkt ins Paradies und zu einer personalen Begegnung mit Gott; oder in das „Fegfeuer“ oder in die Hölle, wie es etwa eine traditionelle, mittelalterlich geprägte katholische Auffassung noch immer vermitteln will.

      Da ich auf einer schon fast verzweifelten Suche nach Abhilfe für die Knieschmerzen und mittlerweile auch für die Schmerzen im Rücken bin, lasse ich den Wiedergeburtsgedanken für mich zu, wehre mich geistig nicht mehr dagegen. Wenn zwei große und uralte Religionen wie Hinduismus und Buddhismus ihre ganze Lehre darauf aufbauen, kann so etwas zumindest nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Und es wäre nach meinem Empfinden eine westliche Arroganz zu behaupten, es könne so etwas wie eine Wiedergeburt gar nicht geben.

      Dabei hat mich bisher eine solche östliche Lehre im Grunde überhaupt nicht interessiert. In meiner Herkunftsfamilie, die sehr traditionell christlich geprägt ist, hatten Vorstellungen von einer Wiedergeburt absolut keinen Platz. Anscheinend passt auch unsere westliche Schulmedizin genau zu der christlichen Vorstellung von einem einzigen Leben, nämlich dem jetzigen. Wenn man nur ein Leben hat, muss es möglichst schnell eine Lösung geben, falls man krank ist. Diese Lösung ist ausschließlich körperorientiert und soll durch Medikamente und durch Operationen herbeigeführt werden, weil solche Maßnahmen oft einen schnelleren sichtbaren Effekt erzielen können als etwa alternative, sanfte Methoden. Dafür ist keine Zeit, besonders dann nicht, wenn es eben nur dieses eine jetzige Leben gibt.

      In meinem Kopf fängt es jedenfalls an zu arbeiten. Das Christentum geht ja – wie die meisten anderen Weltreligionen auch – davon aus, dass wir eine unsterbliche Seele haben. Warum sollte es für diese nur eine einzige Inkarnation geben – dieses jetzige Leben? Und was passiert mit kleinen Babys, die gleich nach der Geburt wieder sterben, bevor sie auch nur einen Tag gelebt haben? Was ist mit Frühgeburten, die gar nicht ins Leben kommen konnten? Fragen über Fragen. Rein rational und im Religionenvergleich sollte die Wiedergeburtslehre, die etwa der Hinduismus propagiert, zumindest eine gleichwertig logische Berechtigung wie die christliche Auffassung haben. Ich sehe dies alles eher pragmatisch: Wenn mir die Geistheilerin in der Sitzung mit ihren Vorstellungen von Reinkarnation helfen konnte, dann soll es mir recht sein, unabhängig davon, was ich selbst wirklich glaube.

      Mehr passiert im Herbst 1999 nicht mehr. Eine fühlbare Heilung von Knie und Rücken geschieht nicht. Aber neue geistige Wege haben sich für mich aufgetan. Dies ist notwendig, damit ich offen für die Begegnungen bin, die sich bald darauf ereignen. Denn die Heilerin, die mittlerweile aus meinem Ort weggezogen ist, hat mich noch auf zwei Dinge hingewiesen, die ich in nächster Zukunft tun solle, oder die angeblich passieren würden:

       Ich solle mir ein bestimmtes „Aura-Soma-Produkt“ besorgen.

       Es würden heilende Menschen auf mich zukommen.

      Tatsächlich werden beide Aspekte auf einmal erfüllt: Auf der Suche nach der Aura-Soma-Farbflasche, die mir die Geistheilerin empfohlen hat, gerate ich nach einigen Nachfragen in Apotheken an eine damals etwa 40-jährige Heilpraktikerin. Sie bietet neben einer Aura-Soma-Beratung auch Familienaufstellungen an.

       Eine unglaubliche Knieheilung beginnt

      Dezember 1999. Weihnachtsbazar in der Pfarrei meines Ortes. Beim Kaffeetrinken komme ich mit einer Frau unerwartet in ein sehr tiefschürfendes Gespräch. Sie erzählt mir, dass sie von dem Todesmarsch von KZ-Häftlingen aus dem KZ Dachau in den letzten Kriegstagen durch ihre Ortschaft geträumt habe. Von der Gemeindeverwaltung ihres Ortes wisse sie bereits, dass dabei 49 Häftlinge während des Durchmarschierens von SS-Leuten brutal erschossen worden seien, weil sie entweder körperlich zu sehr erschöpft waren und auf der Straße zusammenbrachen oder mit letzter Kraft fliehen wollten. Im Traum habe sie diese Menschen schon mehrfach „gesehen“, darum habe sie vor, für die Seelen dieser armen und bestialisch Ermordeten nun ganz alleine ein heilendes und würdigendes Gedenkritual abzuhalten. Sie wisse, dass sie selbst sonst keine innere Ruhe mehr finden würde. Es scheint ihr so, als ob die Seelen dieser Verstorbenen förmlich um solch ein Würdigungsritual schreien würden, um endlich Ruhe finden und in die geistige Welt der Toten hinübergehen zu können.

      Dieses Gespräch beschäftigt mich sehr. Denn ich habe seit Monaten den Eindruck, als würden ebenfalls Tote, Verstorbene, vielleicht irgendwelche ungewürdigten Ahnen, aus meinem linken Knie um Hilfe schreien. Ich habe aber keine Ahnung, wer diese sein könnten. Von meiner verstorbenen Großmutter väterlicherseits ist mir die auf dem Land weit verbreitete Vorstellung vertraut, dass Tote „umgehen“ können; dass also die etwas gruseligen oder sogar makaberen Geschichten vom „Gespenst im Schloss Canterville“ durchaus eine reale Grundlage im katholischen Volksglauben haben. Schon als Kinder hatte uns diese Großmutter daher strengstens verboten, abends nach dem sogenannten Gebetläuten bei Einbruch der Dunkelheit noch auf einen Friedhof zu gehen.

      Die