Gregor Kocot

Durch die Hölle in die Freiheit


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zwar die Aufmerksamkeit der anderen auf uns, aber nur kurz. Nach einer Weile fand sich eine andere Clique, die sich genauso spontan begrüßte.

      Es war erst Vormittag, und die Musiker führten ihre Proben durch. Wir entschieden also, dass ich mich mit meinem Zelt meinen Kollegen anschließen würde, die in dem Zeltstand campten. Anfangs wurde dieses Gebiet von der ZOMO-Miliz überwacht (Einheiten der Bürgermiliz in der Volksrepublik Polen, ihre Aufgabe war es, die Ordnung zu schützen und evtl. Unruhe niederzuschlagen). Das war zu den Zeiten, als unser einheimischer Gangster, Wojciech Jaruzelski, einen privaten Krieg mit seinem Volk führte (1981 wurde in Polen für 2 Jahre lang ein Kriegszustand verhängt. Wojciech Jaruzelski war dann an der Macht). Man konnte sich aber darüber nicht beschweren. Unsere „Wächter“ waren zu uns verhältnismäßig liberal eingestellt. Wir konnten also unbeschwert feiern, wie es die Musikfans tun.

      Jerzy aus Przasnysz, ein Kollege von Cezary, erließ schon früher die „Verordnung“, dass jeder etwas Schnaps mitbringen sollte – in Jarocin galt für die Zeit des Festivals ein striktes Alkoholverbot. Jerzy schmuggelte meinen Teil durch die Kontrolle der ZOMO-Miliz. Er war schon ein Profi in diesem Bereich. Einen Tag früher packte er alle Flaschen seiner Kollegen in seinen Rucksack und zog zum Eingangstor der Zeltstadt. Auf die Frage der Wächter, was er in dem Rucksack trug, antwortete er grinsend, dass er Wodka dabeihätte. Die Milizen waren sicher, dass er Spaß machte und ließen ihn durch, ohne den Inhalt seines Gepäcks zu kontrollieren. Auf diese Art und Weise, durch einen schlauen psychologischen Trick, gelang fast der ganze Vorrat an Alkohol, den wir mitbrachten, in die Zone mit striktem Alkoholverbot. Daher wurde Jerzy zu unserem Helden: Durch seine ehrenvolle Leistung konnten wir unsere nächtliche Zeit mit anderen Rockfans in dem „Zeltdschungel“ umso mehr genießen.

      Es gab nicht allzu viele Cliquen, die so schlau waren wie wir. Fast jeder brachte etwas Alkohol nach Jarocin mit, aber kaum jemand schaffte es, die Flaschen ins Zelt zu schmuggeln. Wir waren immer in guter Laune im Gegensatz zu den meisten, die einerseits versuchten, etwas Selbstverleugnung zu zeigen und beim Feiern etwas Spaß zu haben und sich andererseits gnadenlos dazu gezwungen fühlten ohne Alkohol zu feiern. Sie hatten einfach kein Glücksmittel dabei. In den Gruppen wie unserer waren die ganze Nacht lang die Gitarrenmusik, unendliche Gespräche und unkontrollierte Lachsalven zu hören. Diese Atmosphäre zog die Mädchen an, die angeblich an Schlaflosigkeit litten. Am Morgen früh war in der Zeltstadt ein lautes Schnarchen der Typen zu hören, die bis in die Puppen feierten. Ich war oft einer davon.

      Abends auf dem Stadion, unweit von unserem Zeltplatz, fanden die Konzerte statt. Eine tolle Musik unter dem schönen Sternenhimmel ließ uns in Euphorie verfallen. Inzwischen flirteten wir beide, ich und Darek, mit den Mädchen und holten sie unter welchem Vorwand auch immer zu unserer Gruppe. Unser Interesse war ihnen lieb, weil sie es gerne hatten, dass man mit ihnen flirtete. Es war wunderschön, aber vielleicht nicht für alle. Mitunter kam es zu Streitereien und Prügeleien. In solcher Menschenmenge ließ sich das nicht vermeiden. Auch das gehörte dazu.

      Direkt nach dem Festival fuhren wir nach Masuren, um Cezary zu besuchen, weiter zu feiern und die Gaben der Natur und das Land der tausend Seen zu genießen. Wir aßen fette Aale und tranken dazu Bier oder Schnaps – je nachdem, welcher Alkohol uns gerade zur Verfügung stand. Was noch wichtiger war: Wir flirteten mit den abenteuerhungrigen Mädchen, die zu den Sommerferien aus ganz Polen ankamen.

      Das waren sehr schöne Momente in meinem Leben, weil Alkohol meine Seele ganz schön erfreute und fast keine negativen Nebenwirkungen spüren ließ. Aber im Laufe der Zeit sollte sich meine Beziehung zum Alkohol radikal verändern. Zu diesem Zeitpunkt aber war ich noch weit davon entfernt, ins Grübeln zu kommen oder zu ahnen, dass etwas Schlimmes auf mich zukommen könnte. Ich trank ab und zu, hatte dabei viel Spaß und lebte ganz unbekümmert. Ich merkte gar nicht, dass ich mich allmählich an Alkohol gewöhnte, oder ich wollte das nicht sehen, um mir selbst den Spaß nicht zu verderben.

      Ein gefährlicher Vorfall in der Kohlegrube

      Im Januar 1981 nahm ich die Arbeit in der Steinkohlegrube in Katowice, in dem Viertel von Załęże, auf. Vielleicht ging es mir unter anderen darum, mich am eigenen Leib zu überzeugen, ob die Arbeit eines Bergmanns tatsächlich so gefährlich ist. Gutes Gehalt, günstige Arbeitsbedingungen und die Möglichkeit, den Militärdienst in dem Bergwerk abzuleisten trugen dazu bei, dass ich dort ganz lange blieb. Genauso wie bei Cezary, war es mir lieber, in der Grube zu arbeiten, als das kommunistische Regime in Polen mit meinem Dienst in der Volksarmee zu unterstützen. Als Bergmann arbeitete ich bis September 1986. Dann machte einen Ausflug nach Deutschland und kam nicht zurück.

      Ein Bergmann in der Grube ist vielen Gefahren ausgesetzt. Es drohen Gebirgsschläge, Methan – oder Kohlenstaubexplosion, Kohlenmonoxid usw. Allerdings kommen besonders viele Unfälle durch die Unvorsichtigkeit von den Betroffenen oder ihren Kollegen zustande. Solche Unfälle sind oft sehr folgenschwer. Ich geriet zweimal in der Lebensgefahr. Im ersten Fall war ich selbst schuld, in dem zweiten Fall war mein Steiger dafür verantwortlich.

      Als der erste Unfall passierte, arbeitete ich halbwegs zwischen der Station der unterirdischen Grubenbahn und dem tonnlägigen Schaft. Fast immer ging ich zu Fuß zur Ausfahrt. Einmal war ich aber sehr müde nach der Nachtschicht und entschied ich mich dafür, in den laufenden Zug hineinzuspringen, um sich vor dem anstrengenden Marsch zu Schaft zu schonen. Ich entschied mich für eine Kurve, weil der Zug dort ganz langsam fahren musste, und es bat sich eine gute Gelegenheit, hineinzuspringen. Bedauerlicherweise merkte ich die hölzernen Pfeiler nicht, die etwas weiter an den Gleisen standen und die Decke des Querschlags stützten. Mir kam es nicht in den Sinn, dass der Einstieg in den fahrenden Zug etwas länger als erwartet dauern konnte und dass diese Pfeiler in einem solchen Fall eine tödliche Gefahr für mich darstellen würden. Ich war zu müde, um dieses Risiko wahrzunehmen.

      Als der Zug ankam, schlummerte ich. Ich hörte ihn zu spät. Ich hatte nicht genug Zeit, mich auf den Sprung zu vorbereiten. Wie wahnsinnig lief ich dem Zug hinterher, und endlich war ich soweit. Erst als ich blitzschnell hineinsprang, bemerkte ich diese Stützpfeiler direkt vor mir. Trotz einer so großen Gefahr setzte ich mein Vorhaben fort. Als ich mich in ein rasendes Abteil hineinquetschte, wurde mir klar, dass die an den Gleisen stehenden Stempel mir den weiteren Weg versperren können. Nun ging es mir auf, dass nicht genügend Zeit haben würde mich vor den Hindernissen zu verstecken, und dass ich von den Pfeilern einfach zerquetscht werden konnte. Trotzdem hörte ich mit diesem so gefährlichen Einsteigen nicht auf, weil ich auf eine neue, ermutigende Idee kam: Vielleicht würden sich die Pfeiler vor mir beugen und mir den Weg ins Abteil öffnen. Glücklicherweise bekam gleichzeitig innerlich eine Warnung. Ein rotes Lämpchen ging an: „Spring nicht auf den Zug. Du schaffst es zeitlich nicht. Die Pfeiler beugen sich nicht, sondern du wirst von den Säulen zerquetscht.“ Einen Sekundenbruchteil lang zögerte ich. Dieser Moment dauerte aber ausreichend lang um über mein Leben und Tod zu entscheiden. Obwohl ich schon mit einem Bein fast in dem Waggon stand, sprang ich wieder heraus und hielt direkt vor den Stützpfeilern. Sie waren viel mächtiger, als ich mir vorgestellt hatte und wurden bestimmt nicht mit dem Ziel gebaut, dass sie irgendeinem Druck nicht standhalten, sondern damit sie ihre Stützfunktion erfüllten.

      Was für eine innere Stimme war es, die mich dazu bringen wollte, den Sprung in den rasenden Zug locker zu leisten? Wer um Gottes Willen flüsterte mir mal gute, mal falsche Ratschläge ins Ohr? Worum ging es überhaupt? So wie ich damals die Welt verstand, gehörten die Geschichten darüber, dass der Teufel uns verführt und falsche Vorschläge gibt, ins Reich der Fabel. Ich hatte gar keine Ahnung, dass die spirituelle Welt existiert und immer wieder in unser Leben eingreift, um uns zu helfen oder zu schädigen. Vielleicht liegt es daran, dass das Gute und das Böse in uns innenwohnen, wie auch alles andere, was im Universum zu finden ist?

      Zum ersten Mal im Leben in einer extremen Situation und in einem so kurzen Augenblick, dass sich dieser Moment in irdischen Dimensionen nicht erfassen ließ, hörte ich deutlich zwei innere Stimmen. Sie wirkten gewiss gegeneinander oder schlossen sich sogar aus mit der Absicht zu unserem Vor-, bzw. Nachteil zu wirken. Sie waren wie zwei kämpfende und einander nicht zu ertragende Berater. Glücklicherweise half mir mein analytisches Denken eine richtige Entscheidung zu treffen und einer totalen Katastrophe zu entkommen. Vielleicht