Gregor Kocot

Durch die Hölle in die Freiheit


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anderen Kazik, bekamen eine Wohnung mit ein paar Doppelzimmern zugeteilt. Ab dem Zeitpunkt, als ich ihm in Hamburg auf den Arm geklopft hatte, folgte er mir wie ein Schatten. Das war aber ein purer Zufall. Genauso gut konnte einer von uns nach Bayern versetzt werden, wo es den Asylbewerbern nicht so gut ging wie in Baden-Württemberg.

      Nun begann ein anderthalb Jahre dauerndes sorgenfreies Leben eines Asylbewerbers. Das war eine unrühmliche Zeit mit vielen Trinkereien. Die Alkohol-Gewohnheiten, die uns allmählich zum Alltag wurden, konnten wir später nicht aufgeben. Diese Gelegenheiten erschwerten den Alltag vieler Asylanten deutlich und trugen in einigen Fällen zu ihrem Tod bei. Vielen Polen nahm der Alkohol frühzeitig das Leben. Ich persönlich kannte viele Polen und Polinnen, die sich zu Tode tranken. Alkohol tarnt sich nur als Freund, und in Wirklichkeit ist er ein Vorbote für den Tod.

      Kazik wurde davon auch nicht verschont. Nach einigen Jahren eines Aufenthalts in Deutschland starb er, weil der Alkohol seine Leber so geschädigt hatte, dass sie sich nicht mehr beleben ließ. Ein Jahr vor dem Tod gab er das Trinken auf, aber das war schon zu spät, um sein Leben zu retten. Wahrscheinlich hätte er in Polen, in den Armen seiner Frau viel länger gelebt. Nicht allen kam die Auswanderung zugute, weil man dafür einen hohen Preis zahlen musste – und zwar die Sehnsucht nach Familie und Heimat. Daraufhin ertränkten viele ihre Sorgen im Alkohol. Viele aber tranken einfach zum Spaß; ich war einer davon. Fast jeder, der gerne trank, brachte seine Trinkgewohnheiten schon aus Polen mit, um sie hier sorglos und leichtsinnig zu entwickeln.

      Ein Dieb unter uns

      In der Reihe der Migranten gab es verschiedene Typen, unter anderem auch „schwarze Schafe“. Ich konnte solche Kreaturen kaum ertragen. Ich musste sie trotzdem dulden, weil faire Regeln des Zusammenlebens hier kaum jemandem wichtig waren.

      Als wahrer Bösewicht entpuppte sich ein in Karlsruhe getroffener Jurek, der ironischer weise über viele Monate lang mein Zimmergenosse war. Zunächst in Göppingen und dann auch in Stuttgart bekamen wir das gleiche Zimmer zugeteilt. In der Unterkunft in Stuttgart wohnten wir zu zehnt, und kaum waren wir eingetroffen, stellte sich heraus, dass ein Dieb in unserer Mitte sein Unwesen trieb. Ab und zu ging jemandem das Geld verloren, insbesondere während der Alkohol-Partys. Einer von uns wurde geschickt, um den Schnaps zu kaufen. Jurek, ein netter Kerl, war ein besonders verlässlicher Bote. Er konnte niemandem Hilfe verweigern, wenn ihm jemand in der Not das Geld in die Hand drückte. Im Endeffekt fehlte den Kollegen nach der Party immer etwas Geld. Es gab auch einen jungen Zigeuner, Ciawa, der mit uns wohnte, aber es war kaum wahrscheinlich, dass er gegen seine heiligen Regeln verstoßen und seine Mitbewohner beklaut hätte.

      Da ich mir mit Jurek ein Zimmer teilte, war ich der erste, der anfing, gegen Jurek Argwohn zu hegen. Etwas stimmte mit ihm nicht. Bald bestätigte die Realität meine Vormutungen, weil Jurek nicht auf der faulen Hand lag. Eines Tages, als ich schon ein paar Bierchen intus hatte, ging ich in mein Zimmer um zu schlafen. Zu diesem Zimmer hatten nur ich und Jurek den Zugang. Als ich am nächsten Tag aufwachte und die Hand in die Jackentasche legte, um die 10 DM auszuziehen, die mir vom letzten Tag übriggeblieben waren, fand ich das Geld nicht. Dieser Vorfall gab mir zu verstehen, dass Jurek der Dieb sein konnte. Als ich Jurek sagte, dass mir das Geld aus der Jacke fehlte, erwiderte er mit einem unschuldigen Lächeln, dass es schwer sei, den Überblick über das eigene Geld zu behalten, wenn man gleichzeitig trinkt. Er hatte zwar Recht, aber nicht in diesem konkreten Fall, weil ich nicht betrunken war und genau wusste, was ich tat. Ich dachte mir: „Na, warte du Früchtchen. Jetzt weiß ich Bescheid, dass du der heimliche Langfinger bist. Wir müssen das nur beweisen. Das wird bestimmt nicht einfach sein, aber es gibt doch viele schwierige Dinge auf dieser Welt zu leisten.“

      Am nächsten Tag erzählte ich allen anderen von meiner Auseinandersetzung mit Jurek. Der Zigeuner Ciawa atmete erleichtert auf, und er stand nie mehr im Verdacht uns zu beklauen. Wir wussten also schon, dass Jurek uns beklaute, wussten aber nicht, wie wir dies unter Beweis stellen konnten. Meinen Kumpeln wurde jetzt klar, warum ihnen nach den Partys immer etwas Geld fehlte. Sie merkten, dass Jurek nie den ganzen Rest zurückgab, wenn er ihnen Alkohol mitbrachte. Er war sich bestimmt sicher, dass in diesem feierlichen Kontext niemand das Geld nachrechnen würde. Der einheimische Dieb war vorsichtig, und es war äußerst schwer ihn in die Falle zu locken. Da das Klauen in seiner Natur lag, wollte er mit dem Stehlen nicht aufhören. Früher oder später musste ihm doch ein Fehler passieren. Und darauf warteten wir.

      Nach einer Zeitlang ging ich mit meiner Freundin zurück aus der Kneipe. Da wir ein paar Bierchen intus hatten, gingen wir schnell schlafen. Jurek ahnte nichts und hatte Pech. Genauso wie in früheren Fällen dieser Art griff er zu meiner Jackentasche. Dort fand er die 50 Mark, die ich dort vorsätzlich liegen ließ. Der Kerl schluckte den Köder. Am nächsten Tag bestätigte meine Freundin kurzerhand den Diebstahl. Nun hatten wir schlagkräftige Beweise, dass unsere Verdächtigungen gegen Jurek nicht grundlos gewesen waren. Der Zigeuner war vor Freude so aufgeregt, als wenn er eine Flasche Wodka getrunken hätte.

      Er war es auch, der die Selbstjustiz an Jurek mit aufrichtigem Vergnügen führte. Ich ernannte ihn zu dieser ehrenvollen Funktion. Ich hatte volles Recht darauf, weil ich Jurek auf frischer Tat dabei ertappt hatte, als er in meine Falle gelockt wurde. Ciawa führte die Vollstreckung meisterhaft durch. Zunächst fragte er Jurek, als ob der Angeklagte sein geliebter Sohn sei, warum er seine eigenen Kollegen beklaute. Dann schickte er ihn, um Alkohol zu kaufen. Fortan musste er aber für die Spirituosen für uns selbst aufkommen.

      Nach einigen Pinnchen lebte sich Ciawa in seine Rolle ganz gut ein und verabreichte dem Dieb ohne Vorwarnung eine ordentliche Ohrfeige. Das war aber erst ein Vorspiel zu dem, was auf ihn zukam, und zwar zu immer ausgeklügelterem Foltern verschiedener Art. Auf mein Verlangen sollte der Zigeuner dem Schuldigen keine dauerhaften Verletzungen zufügen, sondern einfach eine ordentliche Lektion erteilen. Deshalb wendete Ciawa systematisch eine psychologische Folter an. Zwischendrin kam körperliche Gewalt hinzu. Man drehte ihm die Ohren auf den Rücken und verpasste ihm Ohrfeigen. Das Letztere war kein harmloses Spiel – nach solchen Schlägen verzerrte sich das Gesicht von Jurek um 90 Grad und manchmal auch mehr.

      Ciawa, der junge, aber schon erfahrene Folterknecht machte ab und zu Pausen. Er spülte seine Arbeit mit heftigen Dosen Schnaps nach, den Jurek mitbrachte. Er ermutigte seine Opfer zum Mitmachen. Der Folterknecht vertraute sich seinem Opfer an, als wenn Jurek sein eigener Bruder gewesen wäre. Die Opfer hofften daher, dass die Folter schon vorbei gewesen wäre. Im Gegenteil. Eine unerwartete Ohrfeige kam. Schwebte der erleichterte Kerl schon im Himmel, so putzte ihn der Richter brutal herunter und ließ ihn sich davon überzeugen, dass das Spiel noch nicht vorbei war und sich dem Ende noch lange nicht zuneigte.

      Ciawa war erst neunzehn, aber in diesem Alter wies er eine besondere Begabung in puncto Foltern auf. Er war dazu geeignet, Foltern im großen Stil durchzuführen und dadurch den großen Diktatoren dieser Welt Beistand zu leisten. Ich glaube, dass er sein Talent vergeudete, indem er sich einfach in Deutschland um ein Asyl bewarb. Er hätte in irgendeiner Bananenrepublik in Lateinamerika oder Afrika um ein Asyl bitten sollen. Dort hätte er eine unglaubliche Karriere gemacht. Ciawa entpuppte sich als ein Fachfolterer. So mancher Bandit konnte sich viel von ihm abschauen. Sogar die organisierten kriminellen Banden hätten seine Fähigkeiten gerne in Anspruch genommen.

      Das Spektakel erreichte seinen Höhepunkt, als Ciawa den Hals seines Opfers festhielt und sagte, dass er Jurek nun zu seiner Frau machte. Als Zuschauer von diesem Theater wussten wir, dass Ciawa nur Spaß machte, aber der Dieb wusste es nicht und erschrak grenzenlos. Sein von den Ohrfeigen rot gewordenes Gesicht verblasste, aber die Spuren der Torturen ließen diese Blässe nicht allzu lange anhalten. Endlich wurde sein Antlitz halbwegs violett und grau.

      Die Foltern dauerten bis in die Puppen. Jurek war schon ein psychisches Wrack. Später ging nichts mehr verloren. Meine Rechnung mit Jurek beglich ich, und zwar mit einem hohen Prozentsatz, weil ich die Sachen konfiszierte, die ich brauchte.

      Ab diesem Zeitpunkt war Jurek ein Prügelknabe. Jeder konnte ihm nach Belieben eine Ohrfeige verpassen. Wenn wir Lust auf Alkohol hatten, so musste er uns die Spirituosen kaufen und aus eigener Tasche bezahlen. Er war für uns wie ein Gesetzloser. Wäre ihm etwas Schlimmes widerfahren, hätte ihm wahrscheinlich keiner von uns geholfen. Noch zweimal