Frank Epple

Die Sonne schaukelt mit


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und vor Stärkeren Angst hatte und nebenbei

       auch noch meine armen Eltern beinahe in den Wahnsinn trieb mit meinen nicht endend wollenden Frechheiten, ist die Wahl einfach: ein Mädchen soll es sein.

       Außerdem hat Mamas Schwester auch ein Mädchen und das habe ich schon mal einen ganzen Nachmittag lang ertragen können ohne dass ich einen Nervenzusammenbruch erlitten habe.

      Während Mama sich Fachkenntnisse im Umgang mit Säuglingen aneignet, versuche ich lieber nicht so oft an das kommende, schreckliche Ereignis zu denken. Das gelingt mir anfangs noch ganz gut, wird aber mit Mamas zunehmendem Bauchumfang deutlich schwieriger. Zum Glück liegt unsere Wohnung im dritten Stock, da bleibt Mama durch das viele Treppensteigen wenigstens gut im Training. Ab Juli wird sie allerdings etwas kurzatmiger und braucht auch ein bisschen länger als früher.

      Aus irgendeinem Grund, den ich vergessen habe, wird bei Mama eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt. Dabei wird eine Nadel durch die Bauchdecke gestochen und Fruchtwasser entnommen. Die Untersuchung wird von zwei Ärzten durchgeführt: der eine

       hantiert mit der Nadel und der andere behält das

      Ungeborene im Auge, damit es der Nadel nicht zu nahe kommt. Dabei stellt sich heraus, dass du ein Mädchen bist. Gott sei Dank – kein Junge. Wenigstens dieser Kelch geht an mir vorüber.

      Mama trägt jetzt seltsame Hosen mit Stretcheinsatz am Bauch und zeltartige Kleider. Ich behalte diese Erkenntnisse für mich und behaupte standhaft, dass sie immer noch wunderschön ist.

      Wenn ich Mama im Stehen in den Arm nehmen will, dann muss ich dies in einem für mich unbequemen Winkel tun. Unsere Zehenspitzen sind dabei ca. 35cm auseinander, dafür berühren wir uns am Bauch. Die Szene erinnert mich an mittelalterliche Häuser: die sind unten auch weit voneinander entfernt und nähern sich weiter oben immer mehr aneinander an, bis sich die Giebel beinahe berühren.

      Kapitel 4

      Ende August 2005 erklärt mir Mama dass wir jetzt ins Krankenhaus müssen. „Wieso das denn?“ frage ich völlig überrascht. „Geht’s dir nicht gut?“ Das Kind kommt jetzt, also los.

      Im Krankenhaus angekommen, schleppe ich Mama in den Fahrstuhl und versuche herauszufinden, wo wir hin müssen. Im Aufzug ist ein Schild mit den verschiedenen Stationen angebracht und wie jeder normale Mensch beginne ich oben links zu lesen. Da steht irgendwas mit „Kinder“. Also ab ins oberste Stockwerk. Dort eingetroffen, stellen wir fest, dass es sich hier um die Kinderstation handelt. Dort werden Kinder behandelt aber nicht geboren, so erfahre ich.

      Also zurück in den Fahrstuhl und nochmal das Schild studieren. Tatsächlich, ganz unten steht klitzeklein „Kreißsaal“ – da müssen wir hin.

      Eine Krankenschwester im weißen Kittel nimmt uns routiniert in Empfang und geleitet Mama und mich in einen Raum der „Wehenzimmer“ heißt.

       Dieser Raum dient praktisch als Wartezimmer für den

      Kreißsaal. Dort muss man solange warten, bis die Schwester oder der Arzt der Meinung ist, dass die Geburt nun unmittelbar bevorsteht.

      Die Krankenschwester blickt mich skeptisch an und sagt „Ich muss Ihrer Frau jetzt einen Zugang legen!“ Ich zucke mit den Schultern. Na und? Ich bin seit über zwanzig Jahren Feuerwehrmann – kampf- und einsatzerprobt, habe schon Verletzungen aller Art gesehen. Mich wirft nichts so leicht um.

       Die Dame in weiß sticht mit einer langen Hohlnadel in Mamas Vene in der rechten Armbeuge. Mir wird ganz schwindelig, Tunnelblick, Rauschen in den Ohren, wackelige Knie – alles Anzeichen einer kurz bevorstehenden Ohnmacht. Ich gehe in die Hocke und konzentriere mich darauf, nicht das Bewusstsein zu verlieren.

       Geschafft! Schon nach wenigen Sekunden bin ich wieder Herr meiner Sinne und erhebe mich mit zitternden Beinen. Die Krankenschwester schaut mich schon wieder skeptisch an und erzählt mir was von Männern, die keine große Hilfe sind, weil sie dauernd in Ohnmacht fallen.

       Keine Ahnung was sie damit sagen will.

      Kurze Zeit später wird Mama in den Kreißsaal geschoben, ich wanke hinterher.

      Welches Gesetz besagt eigentlich, dass Männer bei der Geburt dabei sein müssen? Mein Vater musste das jedenfalls nicht, der kam erst danach und brachte meiner Mutter siebzehn Rosen. Heutzutage wird das aber anscheinend erwartet und ich wurde auch nicht lange gefragt ob ich will oder nicht. Ich musste mit.

      Nachdem Mama mir während der Geburt beinahe die Hand zerquetscht hat, bist du plötzlich da.

      Du siehst genauso aus wie die Babys auf den Bildern im Wartezimmer der Frauenärztin. Ich schaue dich nochmal genauer an. Nein, kein Zweifel du bist nicht anders: ziemlich klein, ziemlich rot und ziemlich kleiner Mund. Du siehst aus wie eine rote, verschrumpelte Wurst.

       Deine Augen sind zu, ich kann also deine Augenfarbe nicht erkennen. Später erfahre ich, dass sich die sowieso noch im Laufe der Zeit verändert.

      Ich habe noch eine Galgenfrist von drei Tagen, dann werdet ihr beiden aus dem Krankenhaus entlassen.

      Wir nennen dich Sofie und von jetzt an habe ich dich an der Backe!

      Kapitel 5

      Ich stelle fest, dass meine Art der Vorbereitung unzureichend war. Bei meinem mentalen Training hatte ich mir vorgestellt, dass ich 18 Jahre ins Gefängnis müsste und hielt dies für eine vergleichbar schlimme Situation. Ich hatte aber nicht in Betracht gezogen, dass du nachts schreien könntest. Schlafentzug! Schlimmer als Knast!

      Ich finde jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um mit Mama darüber zu verhandeln, dass wir keine weiteren Kinder brauchen und dass ein Sprössling völlig ausreichend ist. Mama stimmt mir leider nicht zu und hält es für denkbar, dass ein weiteres Kind notwendig sein könnte.

      Wir beschließen, dass du nicht bei uns im Bett schlafen darfst. Du sollst in deinem eigenen Bett schlafen. Wir halten das für eine kluge und vernünftige Entscheidung. Du bist anderer Ansicht und brüllst so lange rum, bis wir dich in unser Bett holen. Zwischen uns liegend schläfst du schon bald friedlich ein. Unser guter Vorsatz hat exakt eine Viertelnacht lang gehalten.

       Ich erkenne, dass du deine eigene Art hast deinen Willen durchzusetzen.

      Kaum dass ihr beiden aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen seid, setzt bei uns ein ungewohnter Besucherstrom ein. Alle wollen dich sehen. Ich weiß gar nicht warum, denn ich bin nach wie vor der Meinung, dass alle Babys gleich aussehen.

       Wie dem auch sei, jetzt habe ich nicht nur ein Kind in der Wohnung, sondern auch noch die komplette Verwandtschaft, die mir so sehr am Herzen liegt.

       Ganz toll.

       Dabei fällt mir auf, dass die Frauen die uns besuchen, mit seltsam hoher Stimme zu dir sprechen und / oder dabei auch noch unverständliche Grunz- und Schmatzlaute von sich geben.

       Ich nehme mir vor, nicht wie ein Idiot mit dir zu sprechen, sondern wie mit einem ganz normalen Menschen.

      Wenn mal glücklicherweise keine Besucher unser Domizil unsicher machen, nehme ich dich ab und zu aus deinem Stubenwagen – das ist ein 70 cm langer Wäschekorb aus geflochtenen Weidenstäben mit einem Stoffdach oben drauf und Rädern unten dran. Damit schiebt man Säuglinge in der Wohnung rum, ein Kinderwagen für drinnen sozusagen – und lege dich auf meinen Bauch. Du schläfst tagsüber sehr viel, sogar noch mehr als ich, nur dass du dafür nicht von Mama geschimpft wirst.

       Ich weiß nicht warum, aber es ist schön wenn du friedlich schlummernd auf mir rumliegst.

      Kaum ist der 1. Advent, holt Mama auch schon die Kerzen raus und verpestet damit die Luft bei uns. Wenigstens konnte ich ihr die Übelkeit erregenden „Duft“kerzen ausreden.

       Du bist ausnahmsweise mal wach und ich nutze die Gelegenheit und zeige dir eine brennende Kerze. Deine Reaktion ist bemerkenswert: Du starrst die Kerze fasziniert acht Minuten lang an. Dabei läuft dir ein Speichelfaden aus dem Mund.

       Auch unser Aquarium erfüllt dich mit grenzenlosem Staunen und ich kenne niemanden, der mit solcher Ausdauer unsere