Frank Epple

Die Sonne schaukelt mit


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ihn so lange als möglich in der Hoffnung, dass Mama sich deiner annimmt. Meistens klappt das. Dafür riecht es in unserem Bad jetzt immer wie in einer Kläranlage. Sehr lecker – vor allem morgens direkt nach dem Aufstehen.

       Übrigens haben wir uns extra einen Windelabfalleimer angeschafft, der durch ein ausgeklügeltes System angeblich in der Lage sein soll, Gerüche von Windeln zu absorbieren. Das Ding funktioniert nicht und wir könnten deine Stinkbomben genauso gut einfach in den

      Mülleimer schmeißen!

      Mama stillt dich. Wenn dieses friedliche und beschauliche Prozedere vorüber ist, nimmt sie dich auf den Arm, trägt dich in der Gegend herum und klopft dir dabei auf den Rücken. Davon musst du rülpsen. Mama nennt das „ein Bäuerchen machen“. Nachdem du das gemacht hast, wirst du fürs Rülpsen gelobt.

       Moment mal! Man darf jetzt in Mamas Gegenwart laut aufstoßen?

       Begeistert mache ich mit und lasse einen röhrenden Rülpser. Das erwartete Lob bleibt allerdings aus und Mama wirft mir einen sehr missbilligenden Blick zu.

       Anscheinend gelten für dich und mich unterschiedliche Regeln.

      Dein erstes Weihnachten verpennst du zu ungefähr 90%. Während wir auf das Festmahl warten, hält Mama es für eine gute Idee, dass ich mit dir eine Runde drehen soll. Sie packt dich schlafend in den Kinderwagen und übergibt dich mir. Dabei erteilt sie mir detaillierte Instruktionen für den Umgang mit diesem Gefährt. Gemütlich schlendere ich los und schiebe dich vor mir her. Du wartest ab, bis wir möglichst weit von unserem Ausgangspunkt entfernt sind. Dann hälst du den Zeitpunkt für geeignet und wachst auf. Leider hast du Hunger und tust dies lautstark kund.

      Da ich nicht weiß, wie lange Babys ohne Nahrungsaufnahme überleben können, haste ich so schnell als möglich zurück zu Mama.

       Bestimmt mache ich dabei eine sehr gute Figur: ein hektisch rennender Papa, der ein brüllendes Kind im Kinderwagen vor sich herschiebt…

       Die mitleidigen Blicke ignoriere ich geflissentlich.

      Kurz nach Weihnachten machst du mir das schönste Geschenk: du schläfst jetzt durch!

       Ungefähr vier Monate lang hast du uns jede Nacht ein- oder zweimal geweckt. Das war schon ziemlich unfreundlich von dir.

       Im Nachhinein erfahre ich, dass das völlig normal ist und dass es sogar Kinder gibt, die noch viel länger und auch viel öfters des Nachts ihre armen Eltern stören. Diese bemitleidenswerten Paare erkennt man daran, dass sie mit ihren blutunterlaufenen Augen wie aus einem Horrorfilm entlaufen aussehen.

      Im neuen Jahr geht Mama mit dir in eine Krabbelgruppe. Das ist eine Veranstaltung zu der Mütter hingehen, um sich in Ruhe unterhalten zu können. Ihre Kinder legen sie beiseite, in der Hoffnung dass sie schlafen und sie nicht stören. Mama zeigt mir Bilder des ersten Treffens. Ich versuche herauszufinden, welches der Kinder du bist.

      Nach mehreren Fehlversuchen gibt mir Mama entnervt einen Tipp.

       Ja klar, warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen:

       bei 9 Babys ist die Wahrscheinlichkeit eines Treffers 1:9. Zum Glück muss ich da nicht hin, denn ich würde garantiert mit dem falschen Kind heimkommen oder ich müsste so lange warten, bis alle anderen Babys eingepackt wurden und dann eben das übriggebliebene Baby mitnehmen.

      Im März lernst du krabbeln. Das sieht ziemlich lustig aus. Mama nennt dich jetzt „Käfer“. Ich nenne dich „Stinkbombe“. Dir ist es egal wie man dich nennt.

      Im April ist deine Taufe. Dabei gießt der Pfarrer dir Wasser über die Birne und murmelt Gebete. Eigentlich hätte er auch gleich deine Haare waschen können, aber dafür muss man wahrscheinlich extra zahlen.

       Die ganze Verwandtschaft ist zu dem Fest eingeladen.

       Es ist übrigens das erste von vielen, vielen Festen, die wir aufgrund deiner Anwesenheit feiern müssen und bei der jeweils die komplette Sippschaft zu uns kommt, verköstigt werden möchte und als Dank dafür unsere Wohnung in einem beklagenswerten Zustand hinterlässt.

       Ich schlage Mama vor, dass wir unser Domizil nach dem Fest reinigen sollten, wenn die Störenfriede

      wieder abgezogen sind und ihren Schmutz hinterlassen haben, aber leider ist Mama anderer Ansicht. Folglich müssen wir vor und nach dem Fest eine gründliche Wohnungs-

       reinigung durchführen.

      Anfang Mai sagst du dein erstes Wort: „Mama“. Danach folgen noch ein paar andere „Wörter“ die wir leider nicht verstehen, aber zwei Wochen später sagst du „Papa“ zu mir. Zwei Silben. Eigentlich bin ich erst ab jetzt ein richtiger Papa, nachdem du mich so genannt hast.

      Nachdem du diese erste Sprachhürde gemeistert hast, folgen weitere Wortschöpfungen:

       Handsund = Eine Kombination aus „Gesundheit“ und „Hand vor den Mund!“

       Lammbamm = langsam

       Märle = Märchen

       Oggowo = irgendwo

       Latello = Nutella

       Faltaboge = falsch abgebogen

       Labelle = Libelle

       Metterlie = Schmetterling

       Abapo = apropos

       Es ist nicht immer einfach zu verstehen, was du uns sagen möchtest, aber wir geben uns Mühe und lernen schnell dazu.

      Ende Mai geht es in den ersten gemeinsamen Urlaub nach Bayern. Früher haben wir Reisen nach Namibia, Brasilien und Florida unternommen, heute reisen wir nach Bayern…

       Bei den kurzen Wanderungen die wir unternehmen,

       erkenne ich, dass es einen Unterschied macht ob man mit oder ohne Kinderwagen unterwegs ist und dass es Wege gibt, die kinderwagengeeignet sind und solche die es nicht sind. Also trägt Mama dich und ich den Kinderwagen.

       Beim abendlichen Essen im Restaurant kommst du aus dem Staunen nicht heraus: Mama und ich werden von fremdem Leuten bedient. Das bist du nicht gewöhnt und das Essen zieht sich entsprechend in die Länge, weil du nicht nur die Kellnerinnen genauestens betrachtest, sondern alle Personen die sich im Restaurant aufhalten.

       Auf der Fahrt zurück nach Hause finden wir heraus, dass es um München herum keine Rastplätze gibt. Du hast aber Hunger und tust dies mal wieder lautstark kund. Also nehmen wir irgendeine Autobahnausfahrt und füttern dich am Straßenrand.

      Im Juni lernst du stehen und laufen. Ab jetzt sind deinem Erkundungsdrang fast keine Grenze mehr gesetzt. Beim Laufen benützt du uns als Gehhilfe: wir müssen

      dabei in stark gebückter Haltung hinter dir herwatscheln, während du dich mit beiden Händen an uns fest hälst. Das ist zwar nicht gerade rückenschonend, aber dafür macht es Spaß mit dir zusammen die Welt zu entdecken.

      Im Juli erlebst du dein erstes Grillfest im Garten meiner Kusine. Du bist der absolute Mittelpunkt. Zumindest so lange bis das Essen fertig ist, dann kümmert sich Mama wieder alleine um dich.

       In dem Garten befindet sich ein Teich, der dich magisch anzieht. Leider sind die Kinder meiner Kusine schon erwachsen und daher ist der Teich nicht kindgerecht abgesichert. Wir machen die Erfahrung, dass es besser ist, wenn man immer Kinderklamotten zum Wechseln dabei hat.

      August: dein erster Geburtstag! Unsere Wohnung platzt aus allen Nähten. Die komplette Verwandtschaft beehrt uns mit ihrer Anwesenheit. ALLE sind da!

       Als sie spätabends endlich weg sind und ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann, ist es an der Zeit ein Resümee zu ziehen: Seit einem Jahr bist du bei uns und hast unser Leben komplett auf den Kopf gestellt. Alles was davor wichtig war, erscheint uns nun nicht mehr so wichtig. Ich verbringe gerne Zeit mit dir und erfreue mich an deinem Staunen und an deinem Forscherdrang.

       Du gibst niemals auf: selbst wenn es dich eine halbe Stunde kostet, bis du herausgefunden hast wie ein neues Spielzeug funktioniert.

       Du kannst dich eine volle Stunde damit beschäftigen, die unteren Schubladen in der Küche auszuräumen und sitzt konzentriert dabei auf dem Boden, die Welt um dich herum komplett vergessen.