Gustav Le Bon

Die Psychologie der Massen


Скачать книгу

Führer gelingt, die Menge zu begeistern, bildhaft zu sprechen, die Emotionen zu wecken, gewinnt er Macht über sie.

      Hierbei ist es ausgesprochen wichtig, immer Handlungen im Auge zu haben: die Masse will nicht denken, sie will etwas machen:

      Diese Taten müssen zumindest scheinbar mit dem Weltbild der Masse verknüpft sein. Das Weltbild der Masse, so Le Bon, ist eher konservativ und religiös. Hintergrund ist wohl der Wunsch nach einem gewissen moralischen Halt, nach gemeinsamen Werten, der gerade in der Masse sehr präsent ist und der vor allem in der Tradition und in der Religion gestillt werden kann.

       Bildung

      Gustav Le Bon schaute sehr kritisch auf die Gesellschaften seiner Zeit, in der durch die Medien die Masse eine immer größere Rolle spielte. Le Bon sah den Untergang des damaligen Bildungsbürgertums und sah eine furchtbare Herrschaft der Massen aufziehen, die manipulierbar und verführbar sind.

      Das oft vorgebrachte Rezept: „Es braucht mehr Bildung!“, wird von Le Bon sehr entschieden abgelehnt. Der Bildungsgrad des Einzelnen spielt in der Masse keine Rolle mehr. Le Bon spricht von einem „Bankrott der Wissenschaften“: diese haben zwar eine Wahrheit verkünden können, aber kein Glück und keinen Frieden.

      Es ist hier sehr wichtig, darauf zu schauen, was Le Bon eigentlich unter „Bildung“ versteht. Damit meint er natürlich die Bildung seiner Zeit. Und die, so Le Bon, bestehe nur aus dem „Auswendiglernen von Texten und Büchern“, aber nicht in der Vermittlung der Dinge, auf die es im Leben wirklich ankommt: „Urteil, Erfahrung, Tatkraft und Charakter“.

      Le Bon plädiert damit also durchaus für Bildung, aber eben für eine Bildung, die auf die wesentlichen Fragen des Lebens vorbereitet und den Menschen auf befähigt, politische Urteile abzugeben.

       Demokratie?

      Gustav Le Bons Schrift über die „Psychologie der Massen“ ist kein Werk, das einem großes Vertrauen in die Demokratie einflößt. Die Menge ist manipulierbar, sie ist sehr emotional und folgt demjenigen Führer oder derjenigen Sache, die auf diese emotionale Befindlichkeit hin ausgerichtet ist.

      Diese Problematik zu leugnen oder als arrogant gegenüber dem „Volk“ darzustellen, ist naiv. Sowohl die Wahlen von Leuten wie Donald Trump oder Silvio Berlusconi (um nicht auf andere Gestalten der deutschen Vergangenheit verweisen zu müssen), aber auch die Volksabstimmung über den Brexit sind genau in dieser Lage entschieden worden. Die ersten Versuche der Demokratie im antiken Griechenland sind genau an dieser Befindlichkeit der Massen gescheitert.

      Eine Konsequenz aus diesen uralten Erfahrungen ist das Parlament, und damit nicht die direkte, sondern die indirekte Herrschaft des Volkes. Eine andere Konsequenz ist die Gewaltenteilung des Staates.

      Dennoch erweisen sich diese Sicherungsmechanismen oftmals als hilflos. Dies gilt gerade in diesen Zeiten, in denen durch das Internet und die sozialen Medien sehr schnell das erzeugt werden kann, was Le Bon die „Massenseele“ nennt.

       Was ist zu tun?

      Bildung: Le Bon selbst beschreibt die Bildung, die es braucht: „Urteil, Erfahrung, Tatkraft und Charakter“. Das wichtigste ist das Urteil. Bildung ist nicht identisch mit der Wissensvermittlung. Zu Le Bons Zeiten wurden Bücher auswendig gelernt, heute schaut man bei Wikipedia. Es darf in der Bildung nicht nur darum gehen, wie komme ich an Wissen heran, sondern wie gehe ich mit Wissen um: wie kann ich eine Situation rational beurteilen?

      Schutz der Demokratie: Demokratie ist kein Selbstläufer und Demokratie heißt auch nicht nur: die Mehrheit entscheidet, was sie will. Demokratie lebt von bestimmten Werten (Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit usw.), diese Werte müssen in der Bildung vermittelt werden, aber sie müssen auch effektiv geschützt werden. Dies heißt, sensibler als bisher auf diejenigen zu schauen, welche diese Werte angreifen und die sich der Mechanismen bedienen, die Le Bon beschrieben hat. Hier gilt es, besser hinzusehen und auch schneller als bisher einzuschreiten.

      Pychologie der Masse

       (Von Gustave Le Bon)

      Meine frühere Arbeit war der Darstellung der Rassenseele gewidmet.*) Hier wollen wir die Massenseele untersuchen.

      Der Inbegriff der gemeinsamen Merkmale, die allen Angehörigen einer Rasse durch Vererbung zuteilwurden, macht die Seele dieser Rasse aus. Wenn sich jedoch eine gewisse Anzahl solcher einzelnen massenweise zur Tat vereinigt, so zeigt sich, dass sich aus dieser Vereinigung bestimmte neue psychologische Eigentümlichkeiten ergeben, die zu den Rassenmerkmalen hinzukommen und sich zuweilen erheblich von ihnen unterscheiden.

      Die organisierten Massen haben zu allen Zeiten eine wichtige Rolle im Völkerleben gespielt, niemals aber in solchem Maße wie heute. Die unbewusste Wirksamkeit der Massen, die an die Stelle der bewussten Tatkraft der einzelnen tritt, bildet ein wesentliches Kennzeichen der Gegenwart. Ich habe versucht, das schwierige Problem der Massen in streng wissenschaftlicher Weise zu behandeln, also methodisch und unbekümmert um Meinungen, Theorien und Doktrinen. Nur so, glaube ich, kommt man zur Erkenntnis der Wahrheit, besonders, wenn es sich, wie hier, um eine Frage handelt, die die Geister lebhaft erregt. Der Forscher, der sich um die Erklärung einer Erscheinung bemüht, hat sich um die Interessen, die durch seine Untersuchung berührt werden können, nicht zu kümmern. Ein ausgezeichneter Denker, Goblet d'Alviella, hat in einer seiner Schriften gesagt, ich gehöre keiner zeitgenössischen Kritik an und träte zuweilen in Gegensatz zu gewissen Folgerungen aller Schulen. Hoffentlich verdient die vorliegende Arbeit das gleiche Urteil. Zu einer Schule gehören heißt: deren Vorurteile und Standpunkte teilen müssen.

      Ich muss jedoch dem Leser erklären, warum ich aus meinen Studien Schlüsse ziehe, welche von denen abweichen, die sich auf den ersten Blick daraus ergeben, z. B. wenn ich den außerordentlichen geistigen Tiefstand der Massen feststelle und doch behaupte, es sei ungeachtet dieses Tiefstandes gefährlich, die Organisation der Massen anzutasten.

      Sorgfältige Beobachtung der geschichtlichen Tatsachen hat mir nämlich stets gezeigt, dass es ganz und gar nicht in unserer Macht steht, die sozialen Organismen, die ebenso kompliziert sind wie andere Organisationen, jäh tiefgehenden Umwandlungen zu unterwerfen. Zuweilen ist die Natur radikal, doch nicht so, wie wir es verstehen; daher gibt es nichts Traurigeres für ein Volk als die Leidenschaft der großen Umgestaltungen, so vortrefflich sie theoretisch scheinen mögen. Nützlich wären sie nur dann, wenn es möglich wäre, die Seelen der Völker plötzlich zu ändern. Die Zeit allein hat diese Macht. Die Menschen werden von Ideen, Gefühlen und Gewohnheiten geleitet, von Eigenschaften, die in ihnen selbst stecken. Einrichtungen und Gesetze sind Offenbarungen unserer Seele, der Ausdruck ihrer Bedürfnisse. Da die Einrichtungen und Gesetze von der Seele ausgehen, wird sie von ihnen nicht beeinflusst.

      Das Studium der sozialen Erscheinungen lässt sich nicht von dem der Völker trennen, bei denen sie sich gebildet haben. Philosophisch betrachtet, können diese Erscheinungen unbedingten Wert haben, praktisch aber sind sie nur von bedingtem Wert.

      Man muss also beim Studium einer sozialen Erscheinung dieselbe Sache nacheinander vn zwei ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten. Wir sehen demnach, dass die Lehren der reinen Vernunft sehr oft denen der praktischen entgegengesetzt sind. Es gibt keine Tatsachen, auch nicht auf physischem Gebiet, auf die sich diese Unterscheidung nicht anwenden ließe. Vom Gesichtspunkt der unbedingten Wahrheit aus sind ein Würfel, ein Kreis unveränderliche geometrische Figuren, die mittels feststehender Formeln genau zu bestimmen sind. Für den Gesichtssinn können diese geometrischen Figuren sehr mannigfache Formen annehmen. In der Wirklichkeit kann die Perspektive den Würfel in eine Pyramide oder in ein Quadrat, den Kreis in eine Ellipse oder Gerade verwandeln. Und diese angenommenen Formen sind von viel größerer Bedeutung als die wirklichen; denn sie sind die einzigen, die wir sehen und die sich photographisch oder zeichnerisch wiedergeben lassen. Das Unwirkliche ist in gewissen Fällen wahrer als das Wirkliche. Es hieße, die Natur umformen und unkenntlich machen, wollte man sich die Dinge in ihren streng geometrischen Formen vorstellen. In einer Welt, deren Bewohner die Dinge nur abbilden oder fotografieren könnten, jedoch nicht