Manuela Martini

Spurlos


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sich selbst auszutragen.

      „Komm, setz’ dich erst mal.“ Meg erhob sich. Ihr blaues, mit winzigen Sternchen gemustertes Kleid wogte um ihren massigen Körper als sie zur Kaffeemaschine ging. Alison ließ sich auf ihren Drehstuhl mit dem fadenscheinigen roten Stoff sinken. Ihr Widerstand fiel vollends in sich zusammen als Meg fürsorglich die Milch in der Tasse verrührte und sie ihr reichte.

      „Matthew betrügt mich.“ Die Worte hörten sich fremd an. Nein, es konnte nicht sein, dass ihr, Alison, geborene van Oosterzee, so etwas passiert war.

      Meg zog sich einen anderen, in der Mitte des Raums abgestellten Bürostuhl heran. „Bist du sicher?“

      Alison nickte – und dann erzählte sie Meg alles.

      Gestern war sie mit ihrer Schwester Christine im Deckchair-Cinema gewesen, einem unterhalb der City, nicht weit von der Stokes Hill Wharf, dem Kai an dem sich Restaurants angesiedelt hatten, entfernt gelegenen sehr beliebten Open-Air-Kino. Sie traf sich nicht oft aber doch in regelmäßigen einmonatigen Abständen mit ihrer jüngeren Schwester. Hätten sie in einer größeren und mehr Unterhaltung bietenden Stadt als Darwin gelebt, wusste Alison, hätten sie sich seltener getroffen. Sie waren einfach zu verschieden. Alles an der sechs Jahre jüngeren Christine war schriller und auffälliger als an ihr. War Alisons Haar honigblond, war das von Christine wasserstoffblond, trug Alison kurze Kleider, waren die von Christine geradezu obszön kurz und auch grell gemustert. Christine wog ein paar Kilo mehr als Alison und das machte sie, die auch fast zehn Zentimeter kleiner war, kompakter: Ihr Hals wirkte gedrungener, ihre Schultern waren breiter und ihre Füße größer.

      Dennoch: Christine war durchaus nicht unattraktiv. Sie bewegte sich geschmeidig auf ihren dünnen Absätzen, hatte ein ansteckendes Lachen und brachte in jede langweilige Barbecueparty Schwung. Sie hatte kein Glück bei den Männern – nein, Alison berichtigte sich - sie hatte vielleicht zu oft Glück. Ihre Liebschaften lösten sich in nicht allzu großen Abständen ab und geheiratet hatte sie nur einmal. Phil, einen ehemaligen Cricket-Spieler. Diese Heirat hatte den Bruch mit ihrem Vater herbeigeführt. Dieses Ereignis lag nun schon acht Jahre zurück. Seitdem hatte sie an keiner einzigen Familienfeier mehr teilgenommen. Ihr Vater wiederum, seiner jüngeren Tochter was Dickköpfigkeit anging, nicht nachstehend, hatte nach dem Bruch jegliche finanzielle Unterstützung eingestellt. Nach den unterschiedlichsten Jobs war Christine seit einem halben Jahr in einem Friseurladen beschäftigt, und Alison hatte den Eindruck, dass ihr dieser Beruf endlich Spaß machte.

      Sie hatten sich gerade mit einem Drink in die bequemen Liegstühle fallen lassen, und warteten mit der hereinbrechenden Dämmerung auf den Beginn des Films, als Christine den Strohhalm ihres Cocktails aus dem Mund schnippte und in beiläufigem Ton begann: „Ach, übrigens, Alison …“ Sie brach ab und ihr Blick flüchtete sich auf die Rücken der vor ihnen Sitzenden.

      Alison erwartete Christines Bitte um eine finanzielle Hilfe, die sie natürlich so schnell wie möglich zurückzahlen würde. In Gedanken überschlug sie bereits einen Betrag, den sie entbehren könnte. Das auf ihren und Matthews Namen laufende Konto hätte sie nie ohne seine Zustimmung anzurühren gewagt. Und Matthew hätte ganz sicher nicht zugestimmt.

      „Wie viel brauchst du?“, fragte Alison also, als Christine nicht weiter sprach. Da erst kehrte Christines Blick wieder zu ihr zurück. In ihren Augen lag ein seltsames Glühen und im Nachhinein fragte sich Alison, ob Christine diesen Moment besonders genoss. „Ich brauche kein Geld.“

      Alison ignorierte den spitzen Unterton.

      Christine saugte an ihrem Strohhalm.

      „Ich hab’ übrigens deinen Matthew mit einer jungen Frau gesehen. Das Ganze wirkte ziemlich ... äh ... vertraulich.“

      An das, was dann geschehen war, konnte sich Alison nur noch vage erinnern. Sie war wütend geworden, hatte Christine beschimpft, Matthew schlecht zu machen, und war dann aufgesprungen und gegangen. Ziellos war sie durch die Stadt gefahren, und erst, auf dem langen Stuart Highway entlang des Flughafengeländes war ihr klar geworden, dass ihre Schwester nichts dafür konnte.

      Irgendwann fuhr sie heim, legte sich ins gemeinsame Bett. Spät in der Nacht als sie ihn kommen hörte, kauerte sie sich an den äußersten Rand des Bettes und stellte sich schlafend. Doch Matthew ging ins Gästezimmer. Am Morgen konnte sie ihm nicht in die Augen sehen. Sie fragte sich, ob dies derselbe Mensch war, den sie vor achtzehn Jahren geheiratet hatte, und wann sie aufgehört hatte, ihn genau anzusehen.

      2

      „Er weiß nicht, was er an dir hat!“ Meg schüttelte heftig den Kopf. Die roten Flecken auf ihrer Haut waren dunkler geworden, wie immer, wenn sie sich aufregte. Christine hatte ihr sogar den Namen der Frau genannt. Sie hieß Valerie Tate und war zweimal Kundin im Friseursalon gewesen.

      „Wie alt?“, wollte Meg wissen.

      „Sechsundzwanzig.“ Das war die nackte, bittere Wahrheit.

      „Mein Gott, Schätzchen, und jetzt?“

      Alison zuckte mit den Schultern. Diese Frage hatte sie sich auch gestellt – und nicht nur einmal.

      „Hast du es Matthew gesagt?“

      „Nein.“

      „Sag’s ihm! Stell’ ihn vor die Wahl: du oder sie!“

      Das hätte Alison sicher auch einer Freundin in dieser Situation geraten. Doch eine merkwürdige Lähmung hatte sie befallen, die sie dazu zwang, zuzusehen anstatt zu handeln.

      „Alison! Das darfst du dir doch nicht gefallen lassen!“

      Auch das hätte sie der Freundin gesagt. Ein Klopfen an der Tür ließ sie beide herumfahren.

      „Wer hat sich denn schon so früh zu uns verirrt?“ Meg hob verwundert die Brauen. „Na gut, reden wir später weiter.“

      Alison nickte. Sie war ganz froh für den Themenwechsel.

      „Nur herein!“, rief Meg fröhlich.

      Das erste, was die beiden Frauen zu sehen bekamen war ein von der Sonne gebräuntes Gesicht, mit eckigem Kinn, weichen, geschwungenen Lippen und strahlenden Augen, die vom jahrelangen Zukneifen im hellen Licht Falten umspielten. Ein ehemaliger Segler, dachte Alison, oder Tennis-Spieler – dazu passten sein hellblaues Poloshirt und die weißen Hosen.

      „Oh, ich wollte nicht stören…“ Er lächelte charmant, nein, er strahlte. Seine Stimme war angenehm.

      „Brett!“ Meg wandte sich an Alison. „Alison, das ist Brett Horkay! Vielgereister Romancier, Journalist, Sprachlehrer, Höhlenforscher und …“ Sie lachte kokett. „Hab’ ich was vergessen?“

      „Und guter Freund!“ Jetzt lachte er und zeigte in seinem großen Mund weiße Zähne. Er war sicher einen Meter fünfundachtzig groß und hatte einen durchtrainierten Körper. Wie alt mochte er sein? Vierzig?

      „Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, Brett.“ Alison streckte ihm steif ihren Arm entgegen. Seine Hand war warm und fest. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, ob sie Matthew nicht eins auswischen, und eine Affäre mit dem erstbesten Mann anfangen sollte.

      „Willst du einen Kaffee, Brett?“ Meg stand bereits auf, „das ist Alison, meine geschätzte Kollegin. Sei ein bisschen nett zu ihr, sie hat´s gerade nicht leicht.“

      Alison warf Meg einen strafenden Blick zu, den diese nur mit einem Augenbrauenhochziehen und einem lapidaren Schulterzucken abtat, und auf die Kaffeemaschine zusteuerte.

      „Oh, das tut mir leid“, er lächelte – wie Alison fand, ein wenig zu mitfühlend. Sie winkte ab. „Reden wir von etwas anderem.“

      Er nickte verständig und verschränkte die blond behaarten Arme vor der breiten Brust.

      „Meg ist manchmal etwas taktlos!“

      Meg rollte die Augen und reichte ihm einen Becher Kaffee. Er nahm ein paar Schlucke ohne sich hinzusetzen während Meg Alison berichtete, dass Brett