Manuela Martini

Spurlos


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wie Sie, Detektive, bringen die Polizei in Verruf. Sie sind selbstherrlich, selbstgerecht und rücksichtslos, nur weil sie ein Schießeisen und eine Marke haben.“ Ihre blauen Augen blitzten angriffslustig, ihre leicht rosafarbenen Lippen waren gespannt.

      „Wäre es Ihnen lieber, Leute wie Ihr Mandant liefen frei herum?“, rief er ihr nach.

      5

      Gleich links vom Qantas-Gebäude begann der Park, in dem einige Ruinen - die Reste des historischen Darwin - standen und sich in Richtung Arafura-Sea der moderne kastenförmige Bau, des Supreme Court erhob. Die hohen, schlanken Säulen, die die Vorderfront bestimmten, verliehen ihm das Nötige ehrwürdig Konservative.

      Alison war etwas klar geworden: Sie musste dieser Frau ins Auge sehen. Sie musste wissen, wer sie war. Christine hatte gesagt, sie arbeite im Gericht. Das Parliament House lag nur wenige Straßen vom Writer’s Center entfernt.

      „Ich muss vor der Mittagspause noch was erledigen, Meg!“, sagte sie und nahm ihre Handtasche.

      „Bringst du mir ein Sandwich mit?“

      „Was für eins?“

      „Was du kriegen kannst. Ich bin heute nicht wählerisch!“

      Alison nahm den Wagen, fuhr zurück auf die McMinn Street und parkte in der Bennett Street. Auf dem Weg durch den kleinen Park überlegte sie, ob sie Christine anrufen solle. Sie brauchte Unterstützung, eine Aufmunterung, jemanden, der ihr sagte, dass es richtig war, was sie nun tun würde. Sie hätte auch Meg fragen können, aber vielleicht hatte sie es nicht getan, weil sie ahnte, dass Meg ihr davon abgeraten hätte. „Sprich zuerst mit Matthew“, hätte Meg gesagt, und das klang auch vernünftig. Aber sie wollte nicht vernünftig sein. Sie war wütend. Mit Matthew würde sie später reden, heute Abend.

      Entschlossen blieb sie im kühlen Schatten unter den Bäumen stehen und wählte Christines Nummer.

      „Hast du einen Moment Zeit?“

      Die Antwort kam zögernd, um nicht zu sagen, widerwillig.

      „Was ist los?“ Im Hintergrund hörte Alison Föngeräusche. Sie verdrängte den Gedanken, dass sie in einem unpassenden Augenblick angerufen haben könnte. Jetzt hatte ihre sonst geübte Rücksichtnahme keinen Platz.

      „Weißt du, wo ich gerade bin? Vor dem Supreme Court. Ich will sie sehen.“

      „Alison“, kam es im leicht genervtem Tonfall. „Die Tussi ist mehr als zehn Jahre jünger, also frisch und knackig. Da kannst du noch so oft in die Gym rennen, den Kampf hast du doch schon verloren. Warum haust du Matthew nicht einfach die Wahrheit um die Ohren? Sag’ ihm, was du weißt und stell’ ihn vor die Wahl: Du oder die Scheidung!“

      „Und wenn er sich für sie entscheidet?“ Sie hatte gar nicht so laut werden wollen.

      Christine lachte auf. Es war ein kurzes, böses Lachen, das Alison an ihre Jugendzeit erinnerte. Da hatte Christine oft so gelacht, wenn sie Alisons Kleider angezogen oder ihren Lippenstift benutzt hatte.

      „Er ist nicht der einzige Mann auf diesem Planeten, Alison!“

      „Und wenn ich mit ihr rede?“

      „Mit wem? Valerie Tate?“ Christines Stimme überschlug sich, als sei diese Idee das aller Idiotischste, das sie jemals gehört hatte. Dann aber senkte sie ihre Stimme. „Ich meine, warum schickst du nicht jemanden zu ihr? Jemanden, den sie ernst nehmen muss.“

      „Willst du damit sagen, dass sie mich nicht ernst nimmt?“ Alison wurde immer klarer, dass es ein Fehler war, ihre Schwester anzurufen.

      „Ach, Alison, komm schon!“ Christine stöhnte. „Pass’ auf, ich hab’ nicht ewig Zeit, aber wenn du unbedingt bei dieser Schnecke Eindruck machen willst, dann geh’ nicht selbst hin, sondern beauftrage jemanden. Leute, die ihre Rechnungen nicht bezahlen, die kriegen doch auch Besuch von solchen – na, wie heißen sie noch?“

      „Inkasso-Unternehmen.“

      „Genau. Ich denke dabei aber an die von der übleren Sorte, an die, die zwei Schlägertypen losschicken, die nicht zimperlich sind, die keine Probleme haben mit ´nem gebrochenen Finger oder ´nem ausgekugeltem Arm.“ Alison hörte ihre Schwester kichern.

      Die Vorstellung, dass zwei brutale Kerle einer Frau die Finger brachen oder den Arm ausrenkten, entsetzte sie.

      „Nein, Christine, ich kann das nicht!“

      „Klar, kannst du das!“ Christine war auf von ihrer Idee begeistert. „Ich sag’ dir, so ein Typ vor der Tür kann schon ganz schön was bewirken! Er wird ihr nur eine kleine Kostprobe geben, die sie schnell überwunden hat. Aber sie wird sich dran erinnern. Dann verfolgt er sie ein paar Mal und schon kriegt sie es mit der Angst zu tun. So toll kann Matthew gar nicht sein, dass sie das alles ihm zuliebe erträgt!“

      „Nein ...“

      „Mein Gott, Alison!“ Der Fön im Hintergrund wurde endlich ausgeschaltet, „erst rufst du mich an und jammerst mir die Ohren voll, und dann machst du den Rückzieher! Sei doch einmal in deinem verdammten Leben nicht Daddys Liebling!“

      „Lass’ Dad aus dem Spiel!“

      „…und Dad“, fuhr Christine unbeirrt fort, „kriegt von all dem doch gar nichts mit! Du wirst es dir mit dem lieben Sugardaddy schon nicht verderben!“

      „Du bist gemein, Christine.“ Hätte sie sich nicht denken können, dass Christine insgeheim triumphierte, dass sie, die Vorzeige-Schwester und Lieblingstochter auch einmal einen Schicksalsschlag ertragen musste?

      „Hör’ zu, Schwesterherz“, sagte Christine, „wenn du nichts unternimmst, dann verschon’ mich in Zukunft mit diesem Bullshit. Ich muss jetzt weitermachen.“ Ohne sich zu verabschieden legte sie auf.

      Alison fühlte sich noch niedergeschlagener als vor dem Telefonat. Eben noch war sie voller Elan auf das Gerichtsgebäude zugegangen, fest entschlossen, ihrer Widersacherin zu begegnen. Jetzt würde sie am liebsten zurück zum Wagen schleichen.

      Komm’ schon, Alison, sieh ihr in die Augen!

      Sie straffte Rücken und Schultern und hob ihr Kinn, wie schon einmal heute Morgen. Dann stieg sie die breiten Stufen zum Gerichtsgebäude hinauf.

      Der Mann vom Sicherheitspersonal lächelte freundlich als sie auf ihn zukam. Sie fragte nach Valerie Tate.

      „Die Verhandlung hat noch nicht wieder angefangen. Vielleicht treffen Sie sie noch oben.“

      Sie wollte schon losstürmen, als er auf ihre Handtasche zeigte.

      „Die muss ich noch untersuchen.“ Sie überließ sie ihm. „Und wenn ich Sie bitten dürfte.“ Er wies auf den Metalldetektor. Bebend vor Unruhe ging sie durch den Rahmen. Glücklicherweise piepste nichts, und es war offensichtlich, dass sie weder unter ihrem dünnen Sommerkleid noch in ihren Schuhen eine Waffe oder eine Bombe versteckt haben konnte. Er gab ihr die Tasche zurück.

      „Saal Nummer neun, erster Stock!“

      Sie lief zur Treppe, was ihr als der schnellere Weg erschien als den Aufzug zu nehmen. Der Teppich, mit dem die Stufen und auch die obere Etage ausgelegt waren, schluckte jedes Geräusch. Jetzt erst wurde ihr klar, dass sich sowohl im Erdgeschoss wie auch im ersten Stock die Räume nur an den Seiten befanden; und die Mitte, diese große, hunderte von Quadratmetern große Fläche ganz ohne Säulen und Zwischenwände auskam. An der kürzen Vorder- und Rückfront boten große Glasflächen den Blick nach draußen. Vor der Scheibe, hinter der Palmen wogten und das Meer türkisblau leuchtete, hoben sich auf einer Sitzgruppe die Silhouetten von vier Personen ab. Zwei davon waren Frauen. Sie hatten das Gesicht in ihre Richtung gewandt.

      Woher sollte sie wissen, wer Valerie Tate war – vielleicht befand sie sich im Gerichtssaal? Sie bemerkte einen Sheriff im blauen Hemd, der am Treppengeländer lehnte.

      „Entschuldigen