Jörg Meyer-Kossert

Die letzten Jäger des blauen Planeten


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die Gewissheit über das, was sie ihm sagen wollte. Er sprang auf, ging um den Tisch und nahm sie behutsam in die Arme.

      „Ich glaub’ s einfach nicht!“ Wieder versuchte er, in ihren braunen Augen zu lesen.

      „Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass es nur noch ein paar Monate dauern kann, bis wir hier zu dritt sitzen?“

      Sie nickte nur. Max’ Augen wurden feucht. Er war äußerlich vielleicht härter geworden, seit sie hier wohnten. Aber innerlich war er noch sanfter und führsorglicher, als er es ohnehin schon immer gewesen war. Er drückte Shane vorsichtig an sich, als hätte er Angst, dem kleinen Kind in ihrem Bauch zu schaden. Minutenlang standen sie so da, eng umschlungen, und weinten ihre Freudentränen.

      Max sah vor seinen Augen die letzten Jahre vorbeiziehen. Shane war seine erste große Liebe gewesen. Niemals wäre er ohne sie von zu Hause weggegangen. Er sah den Kai vor sich, auf dem er sie kennen gelernt hatte. Es war eine große Demonstration für den Umweltschutz gewesen. Mit zahllosen kleinen Booten waren sie auf den Ontariosee hinausgefahren und hatten den Hafen von Rochester mit ihrer Bootskette blockiert. Anfangs hatte man sie gewähren lassen. Aber nach zwei Stunden hatte die Polizei Marineboote zusammengezogen und versucht, die Blockade aufzulösen. Sie hatten sich gewehrt, und dabei war ihm Shane aufgefallen. Sie war eher zart gebaut und machte nicht den Eindruck eines Menschen, der zupacken kann. Wie er sich doch damals getäuscht hatte! Sie war sehr ruhig gewesen, aber auch eine der Letzten, die der Polizei Widerstand geleistet hatten. Den ganzen Abend hatten sie danach zusammengesessen, und Max hatte sie von da an nie mehr aus den Augen verloren.

      In Cleveland hatte er die Ablenkungen des Studentenlebens genossen: Jeden Tag war er woanders unterwegs gewesen. Auch sein Einsatz für politische Ziele hatte viel Zeit in Anspruch genommen. Es war schön und anstrengend zugleich gewesen, aber sie hatten nur wenig Zeit für sich beide gehabt.

      Das hatte sich hier dann schlagartig verändert. Zeit war im Überfluss da – Zeit, um gemeinsam zu erzählen, Zeit, um einfach nur den Kopf aneinander gelehnt stundenlang auf den See zu gucken, Zeit zum Lieben und Zeit für ekstatische, heiße Nächte. Sie hatten diese Zeit wie eine milde Meeresbrise an sich vorbeiziehen lassen und sie wie pures Glück genossen.

      Shane setzte sich auf seinen Schoß.

      „Das ist das schönste Geschenk für unseren Ausstieg. Ich glaube nicht, dass wir zu Hause noch ein Kind bekommen hätten.“ Shane stimmte ihm wortlos zu.

      „In den USA ist die offizielle Rate null, und selbst hier hörst du nichts mehr von Geburten – und wir bekommen ein Baby!“ Sie lächelten sich an. Max strich Shane zärtlich über den Bauch. „Dann kommt hier wenigstens mal ein bisschen Leben in die Bude!“

      „Du hast bestimmt schon über einen Namen nachgedacht?“, versuchte Max sie auszuspionieren.

      Sie sprachen noch eine Weile über Namen, über Jungen und Mädchen und alles, was in diese neue Welt hineinpasste. Dann glitt das Gespräch langsam in die allgemeinen Fragen der Zukunft ab. „Wenn es wirklich so ist wie wir im Radio und von den anderen hören, dann wird dieses Kind einmal ganz ohne andere Kinder aufwachsen. Wo sollen sie auch herkommen?“

      „Oder wir machen noch welche“, lachte Shane und ließ ihre spitzbübischen Grübchen aufblitzen, die Max so sehr liebte. „Sicher gibt es noch eine ganze Menge solcher versteckter, einsamer Orte, an denen noch Kinder geboren werden. Die müssen sich dann eben suchen und finden.“

      Max war mit seinen neunzehn Jahren noch ein ziemlich jungenhafter Typ. Aber jetzt zeigten sich doch erste Falten auf seiner Stirn.

      „Wenn du an das denkst, was wir letzte Woche in Churchill auf dem Markt über das Vieh gehört haben, dann glaube ich, dass wir auf lange Zeit diesen Ort nicht mehr verlassen können. Hier sind wir zumindest teilweise sicher. Aber wie willst du dich ernähren, wenn du von hier weggehst? Bei fast allem, was du isst, musst du Angst haben, diese aggressiven Gene in dich einzuschleusen.“ Shanes’ Gesicht sah nachdenklich aus. Ihre fröhlichen Grübchen waren wie weggeblasen, und die dunklen Locken hingen ihr irgendwie traurig ins Gesicht.

      „Wenn es wirklich so weit kommt, hat unser Kind eine einsame und traurige Zukunft vor sich.“

      Die hoffnungsvolle Stimmung, die sie durch ihre Nachricht verbreitet hatte, schien zusammenzubrechen. Aber sie hatten gelernt, mutig ihr Leben anzupacken. Und so siegte am Ende doch die Gewissheit, vielleicht den einzig möglichen Weg eingeschlagen zu haben. Nach dem Frühstück kam Max mit einer neuen Idee. „Du kennst doch am Ausgang des Sees die große Insel?“

      „Du meinst die mit den umgestürzten alten Bäumen?“ „Ja, genau. Ich fahre morgens oft mit dem Boot daran vorbei. Wie

      wäre es, wenn wir dorthin umsiedeln?“ Shane schaute ihn entgeistert an.

      „Na ja. Die Insel liegt sehr günstig, und manches wäre dort einfacher. Mein Anfahrtsweg zum Fischen wäre von dort wesentlich kürzer. Wir hätten außerdem nicht so oft diesen auflandigen Wind, der das Boot immer gegen den Steg schlägt. Je nach Wind könnten wir auch die Angeln und Netze besser auslegen.“ Er wartete, was Shane sagen würde. Aber sie saß nur da und hörte ihm zu. Manchmal, wenn sie ihn so ansah, hatte Max das Gefühl, sie wollte ihn mit Röntgenstrahlen durchleuchten. Sie schien seine Gedanken lesen zu können. Es lohnte sich nicht, dass er sie länger zurückhielt.

      „Außerdem sind wir dort sicherer als hier.“ Darauf schien Shane nur gewartet zu haben.

      „Max, du willst dich immer mehr abschotten. Wir sind nicht auf der Flucht!“

      Max fühlte sich angegriffen. Sah sie denn nicht die Gefahr, die immer mehr um sich griff?

      Die Genmutationen schienen jetzt schon auf das Vieh überzuspringen. In Texas und in New Mexiko waren in den letzten Wochen keine Kälber mehr zur Welt gekommen. Und das war sicherlich nur die Spitze des Eisberges, denn die Notstandskommissare hielten die meisten Nachrichten so lange zurück, bis es nicht mehr anders ging.

      „Auf der Insel können uns die veränderten Gene nicht so einfach erreichen. Wir können ...“

      „Maaaax! Ich will kein Eremit werden. Unser Kind soll auch noch andere Menschen sehen können außer uns zwei. Lass uns lieber enger mit Tom und Alisha zusammenrücken. Das macht manches leichter. Außerdem haben wir in dieser kurzen Zeit so viel Überschüsse erwirtschaftet, dass wir darüber reden sollten, einen Gehilfen einzustellen. Ich denke da zum Beispiel an den jungen Ben. Der schuftet nicht nur wie ein Pferd, man kann sich mit ihm auch noch gut unterhalten. Das ist einfach angenehm hier in der Einsamkeit.“

      Max schwieg. Im Moment hatte Shane sicher die besseren Argumente. Kurz nach dem ersten heftigen Wintereinbruch zog Ben zu ihnen. Max und Ben errichteten einen kleinen Anbau hinter dem Blockhaus, den Ben dann in Besitz nahm. Max erwähnte seine Inselgedanken nicht mehr, aber er vergaß sie auch nicht.

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