Jörg Meyer-Kossert

Die letzten Jäger des blauen Planeten


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als erstaunt aus.

      „Ich hab da sogar einen konkreten Hinweis. Islamische Fundamentalisten sollen einen solchen Weg von langer Hand geplant und durchgeführt haben. Was sie mit Milzbrandbakterien schon öfter vergeblich versucht haben, könnte doch mit eingeschleusten Genveränderungen viel perfekter und wirksamer geschehen.

      Könntest du einen solchen Vorgang wissenschaftlich nachvollziehen? Ich meine natürlich nur den Weg des Gens?“

      Es folgte ein langes Schweigen auf beiden Seiten. In Malachys Gehirn liefen die Nervenbahnen heiß. Chucks Behauptung war ungeheuerlich. Aber theoretisch war das denkbar und vielleicht auch machbar. Auch wenn er das nicht so recht glauben wollte.

      Jetzt dämmerte ihm auch, warum sein Artikel nicht erwünscht war. Er kritisierte darin die künstlichen Manipulationen als zu ungenau, während gleichzeitig der natürliche Weg am versiegen war. In einem solchen Fall wollte man von offizieller Seite natürlich nicht mehr Staub aufwirbeln lassen als nötig und obendrein einen vielleicht noch möglichen Ausweg als schlecht kritisieren lassen. Malachy hatte sich schon seit längerem seine eigenen Gedanken über die Gentechnik gemacht. Einer der grundlegenden Denkfehler lag für ihn in der Annahme, dass allein in den Erbgutfäden alle Informationen und das Programm enthalten seien, anhand derer sich das Leben entwickelt und aufrechterhält. Dies glaubte er nicht.

      „Es ist eine falsche Annahme“, begann er mit nachdenklicher Stimme, „dass die Sprache der Erbsubstanz, das heißt die Abfolge der Aminosäuren, in ein und demselben Organismus immer gleich ist. Auf allen Ebenen der Umschreibung genetischer Information in Eiweiße sind bis dato mehr Ausnahmen bekannt als Regeln, die noch vor einigen Jahren aufgestellt wurden. Die Gentechnik ist keine Technik im eigentlichen Sinne, sondern ein teilweise willkürliches Herumprobieren auf der Basis von Zufall und der Auswahl von scheinbar Funktionierendem.“

      Und dann war Malachy in seinem Element und auch von Chuck nicht mehr zu bremsen. Sein ohnehin hageres Gesicht schien in solchen Momenten der Anspannung noch zerbrechlicher, es schien fast, in sich zusammenzufallen.

      „Es ist keinesfalls mit Sicherheit möglich, manipulierte Erbsubstanzstücke gezielt in bestimmte Bereiche der Erbsubstanzfäden einzubringen. Noch weniger aber, definierte Bereiche daraus zu entfernen. Die Erbsubstanzfäden – und das ist nur ein Grund – sind nämlich viel zu lang und zerbrechlich, um sie intakt der Analyse und der Manipulation zugänglich zu machen. Manipulierte Erbsubstanz fügt sich vielmehr oft zufällig und nicht gezielt irgendwo in das Chromosom ein.“

      Chuck stöhnte leise auf. Was jetzt kam, würde ihn langweilen und er hätte am liebsten den Telefonhörer neben sich auf den Tisch gelegt. Er wollte Mal auch gar nicht parieren oder gar einen Fehler in der Darlegung beweisen. Ihn interessierte eigentlich nur das Ergebnis: Waren künstlich eingeschleuste Gene in den Nahrungsmitteln die Ursache für die scheinbar fortschreitende Unfruchtbarkeit? Aber Malachy dozierte weiter.

      „Erschreckt stellt wohl auch die internationale Forschung fest, dass sich manipulierte Erbsubstanz nach allen Seiten hin unkontrolliert ausbreitet. So ist beim Menschen bis heute das Einbringen von manipulierter DNA in die Keimbahn aus guten Gründen noch überall verboten. Die Folgen im neu entstehenden Leben und für die zukünftigen Generationen sind nämlich unkalkulierbar und vor allem unwiderruflich.“

      Malachy wusste, dass er, wenn er Chuck jetzt sein ganzes Wissen preisgab, von ihm in der nächsten Zukunft vielleicht nicht ganz auf dem neuesten Stand gehalten werden würde. Also bemühte er sich, ihm, wie er meinte, möglichst Interessantes, aber doch nicht alles zu sagen. Sie kannten sich allerdings schon zu lange, um diese Spielchen nicht auf beiden Seiten sofort zu durchschauen. Aber beide spielten mit und zollten dem anderen einen gewissen Respekt für seine Reaktion.

      „Ich glaube, dass ein unkontrollierter Übergang in die Nahrungsmittelkette und von dort in die menschliche Keimbahn gut möglich ist. Aber eine gezielte Genmanipulation mit dem Ergebnis der Unfruchtbarkeit der menschlichen Keimzellen halte ich für wenig wahrscheinlich, da die Eingriffe der Gentechnik nicht so präzise vorherzubestimmen sind.“

      Chucks Miene wurde missmutig. Das Ergebnis passte ihm nicht so ganz in seinen Kram. Eine Genkatastrophe gab ja sicherlich eine gute Story her. Aber mit Vorsatz und Absicht – das war doch etwas anderes. Wenn er dann auch als Erster diese News bringen könnte – ja, das wäre schon was ...

      „Wie kommst du auf die islamischen Fundamentalisten?“, fragte

      Malachy. „Das riecht doch geradezu nach Regierungspropaganda.“ Chuck wollte nicht so recht heraus mit der Sprache. „Ich habe eine sehr zuverlässige Quelle im Innenministerium. Ich glaube nicht, dass mein Informant mich auf eine falsche Fährte schicken will. Der lanciert über mich doch regelmäßig Neuigkeiten in die Medien, die wahr sind, aber nicht von den Politikern als Erstes vorgetragen werden sollen. Nein, nein. Der belügt mich nicht. Wie zuverlässig allerdings seine Recherchen sind, weiß ich natürlich nicht.“

      Chuck erzählte noch ein wenig belangloses Zeug. Dann verabredeten sie sich für den nächsten Abend im Irish-Corner in der Hoffnung, ihre neue Story noch ein wenig weiterzubringen. In den nächsten Zeitungen kamen ein paar Hinweise auf den Geburtenrückgang. Aber die Artikel brachten nur wenig Zahlenmaterial und waren kaum konkret. Außer wilden Spekulationen von beiden Seiten tat sich in den nächsten Tagen nicht mehr viel.

      7 Inuktalik, Oktober 2018

      Natürlich drangen die täglichen Schlagzeilen auch bis zu ihnen. Wegen der schlechten Infrastruktur waren Max und Shane mit Internet, E-Mail und Handy bestens ausgestattet. In Punkto Genkatastrophe waren sie so stets auf dem neusten Stand. Auch bei ihnen war die weltweite Unfruchtbarkeit Gesprächsthema Nummer eins. Zwar war hier die Geburtenanzahl wie überall drastisch gesunken, aber es gab doch wenigstens noch vereinzelt Säuglingsgeschrei, vor allem in den entlegenen Höfen. Die meisten Menschen hatten ihre Ernährungsweise, gemäß den offiziellen Listen, mittlerweile umgestellt. Allerdings zeigte der Geburtenrückgang, dass diese Maßnahmen sehr wahrscheinlich bereits zu spät kamen.

      Shane und Max hatten demgegenüber Glück gehabt. In ihrer anfänglichen Begeisterung über den frischen Fisch aus dem Meer und den Flüssen hatten sie, ohne Kenntnis der bevorstehenden Verseuchung mit genveränderten Lebensmitteln, automatisch die richtigen Dinge auf ihren Tisch gebracht. Sicher hatte auch das fehlende Geld dazu beigetragen, dass sie auf die aus dem Süden eingeflogenen Sachen, die sie lange genug gegessen hatten, verzichtet hatten. Das Land hatte sie mit dem ernährt, was es hergab. Nachdem die Katastrophe bekannt geworden war, war es ihnen leicht gefallen, sich in Bezug auf die Ernährung noch weiter abzuschotten. Getreide und Pflanzenanbau war im nördlichen Manitoba und in Novanut von jeher nicht möglich. Sie lebten gern von frischem Fisch und Fleisch, von Beeren und Früchten und selbst angebautem Gemüse.

      Max verließ meist in aller Frühe das Haus, um zu angeln, wohingegen Shane sich zum Langschläfer entwickelte. Als er an diesem Morgen seinen Kahn am Steg festzurrte, saß sie allerdings schon auf der Terrasse und sah ihm erwartungsvoll entgegen. Max schulterte sein Gerät und kam den Weg hinauf. „Was ist los mit dir? Du bist ja schon auf!“

      „Ich konnte es im Bett nicht mehr aushalten.“

      Max ließ sich auf seinem Stuhl nieder. Zum Frühstück aßen sie in dieser Jahreszeit Beeren mit selbst gemachtem Joghurt. Brot stand auf ihrem Index, aber Beeren gab es in Hülle und Fülle hinter dem Haus.

      „Wieso hast du für drei gedeckt?“ Max blickte erstaunt auf. „Kommt noch jemand?“

      „Es kommt schon noch jemand. Aber ich glaube nicht, dass er oder sie pünktlich sein wird. Trotzdem habe ich schon mal mitgedeckt.“

      Max und Shane waren nun schon mehr als drei Jahre zusammen. Aber in den fünf Monaten hier in Novanut waren sie erst so richtig zusammengewachsen. Sie hatten wenig Fremde um sich herum und lebten so eng miteinander, dass sie sich manchmal wie ein altes Ehepaar vorkamen. Wenn sie bei ihrer Ankunft hier noch Zweifel gehabt hatten, ob sie es überhaupt so miteinander aushalten konnten, konnten sie sich jetzt ein Leben ohne den anderen nicht mehr vorstellen.

      Max schaute